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Die große Liebe

Aus dem Sudetenland nach Den Haag

Von Klaus Nissen

Gefühlige Romane sind nicht mein Ding. Erst recht nicht, wenn so eine Geschichte „Sehnsucht nach der verlorenen Liebe“ heißt. Mit einem Titel, der vor blutrotem Hintergrund den Kopf einer Schaufensterpuppe am Mikrofon zeigt. Und dahinter 478 Seiten in seniorengerechtem Großdruck. Aber der netten Verlegerin Beatrix van Ooyen schlägt man nicht so schnell eine Bitte ab. Also hab ich den inneren Widerstand überwunden und das Buch, als es denn aufgeschlagen war, überraschend schnell durchgelesen. Und kann es zur Lektüre empfehlen, trotz der laut Verlagswerbung „wunderbar verträglichen Mischung aus Exotik und Erotik.“ Und tatsächlich ist es kein üblicher Hetero-Liebesroman.

Wolf und Andreas, der zu Anna wird

Die Liebe spielt sich nämlich (unter anderem) zwischen zwei Jungen ab, die während der Nazizeit gemeinsam in einem Weiler des tschechischen Egerlandes aufwachsen. Andreas ist filigran und feminin, Wolf dagegen kräftig und zeitweise bei der Hitlerjugend, aber mit einer guten Seele. Aus Kameradschaft wird irgendwann Liebe – erst recht, als der Weltkrieg verloren ist und die beiden Jungs wie alle drei Millionen Sudetendeutschen nicht mehr Herrenmenschen sind, sondern Unerwünschte, die ihre Heimat verlassen müssen. Vorher müssen Andreas und Wolf noch Zwangsarbeit im Bergwerk verrichten.

Vertreibung im ganz großen Stil

Dieser Hintergrund der Liebesgeschichte ist letztlich auch das Element, das mich im Buch festhält und es zu einer Empfehlung veranlasst. Denn wir wissen, dass sehr viele Menschen, besonders in Hessen, eine sudetendeutsche Familien- und Flüchtlings-Vergangenheit haben. Aber wir haben uns bis dato nicht damit befasst. Vertriebene und Sudetenland – das verbanden wir zu lange mit der rückwärtsgewandten Politik und der Vereinsmeierei der Vertriebenenverbände ab.

Der Buchautor Werner Vermeulen ist Jahrgang 1951 und lebt in Den Haag. Er hat sich in der Heimat seiner aus dem Sudetenland stammenden Mutter umgesehen und die Eindrücke mit einer Liebesgeschichte verbunden. Foto: Booy-Verlag

Der Romanautor Werner Vermeulen schafft es besser, die historischen Hintergründe zu erklären. Es ist okay, wenn dieses Wissen teils erst im Anhang mit Auszügen aus Wikipedia-Artikeln daher kommt. Man erfährt eine Menge über Böhmen und das Egerland, bebildert mit 90 Jahre alten Fotos von Hermine Säckl – der aus dem Sudetenland stammenden Mutter des Niederländers Vermeulen. Er hat sich die Lebensorte seiner Vorfahren vor Ort angesehen und dieses natürliche Interesse an der eigenen Herkunft mit einer homosexuellen Liebesgeschichte angereichert. Letztere, zugegeben, finde ich überkonstruiert und allzu gefühlig. Aber andere werden sie sicher goutieren.

Also: Die beiden Jungs Andreas und Wolf werden bei der Ausreise nach Deutschland getrennt und verlieren sich für Jahrzehnte – daher die Sehnsucht nach der verlorenen Liebe. Irgendwann wird Wolf ein ganz berühmter Maler. Und Andreas lässt sich nach einer Zwischenstation als Chanteuse in einem amerikanischen Dragqueen-Schuppen zur Frau umoperieren und nennt sich fortan Anna. Sie wird gefeierte Sängerin in des Autors Heimatstadt Den Haag.

„Und wenn ein Mann einen Mann liebt – soll er ihn lieben, wenn er ihn liebt. Denn ich will, dass es das alles gibt, was es gibt“

(André Heller)

Da tritt der Mittfünfzigerin ein Junge namens Dima ins Leben, der ganz wichtig für sie wird und später auch die verlorene Verbindung zu Wolf knüpft. Das sind durchaus dramatische und recht gut erzählte Szenen in der Schweiz. Da gerät Dima dann in ein recht unwahrscheinliches Gefühlsgewalle, das ihn seine eigene Homosexualität erkennen und ausleben lässt. Nichts gegen große Liebe unter Männern, aber mir käme sie, in kleineren Lettern erzählt, glaubwürdiger vor.

Fazit: Wer in diesen tristen Tagen mehr Schicksal und große Gefühle sucht, bekommt noch etwas Geschichtsunterricht dazu und ist mit dem Roman von Werner Vermeulen bestens bedient.

Werner Vermeulen: Sehnsucht nach der verlorenen Liebe

Booy-Verlag Bad Nauheim, ISBN978-3-98178095-6, 22,80 Euro.

Vilbeler Geschichten

In der Coronazeit online

Der Schließung des Awo-Treffs wegen Corona ist gleich zu Beginn eine lieb gewordenen Veranstaltung im „Café Gute Laune“ zum Opfer gefallen: Ein Nachmittag mit Lesungen der „Vilbeler Geschichten“. Nun wurde eine Online-Variante gestartet, um die Geschichten im Internet verfügbar zu machen. Vilbeler Geschichten weiterlesen

Der Dschungel

Lesereise in Corona-Zeiten

von Ursula Wöll

Das Coronavirus vereitelt längst geplante Reisen. Lektüre bietet Ersatz. Landbote-Autor Bruno Rieb begab sich statt auf eine Wanderung zum Brocken mit Heines Buch auf Harzreise und fragte, ob es auch für seine Wanderung auf der Bärenrunde in Lappland eine Lektüre als Ersatz gibt. Seine Landbote-Kollegin fand keine passende und will ihn stattdesssen in den Dschungel schicken: „Wie wäre es daher mit einem anderen, ähnlich gefährlichen Reiseziel? Ich schlage den Großstadtdschungel von Chicago vor. Darüber kann man auch lesen, ganz ungefährlich im Armstuhl. „Der Dschungel“ ist der Titel, den Upton Sinclair seinem berühmten Roman gab“. Der Dschungel weiterlesen

La Gomera

Ungewöhnlicher Polizeithriller

von Michael Schlag

Der Landbote hat eine neue Rubrik. In FiBüFeRa empfehlenLandbote-Autoren Filme, Bücher, Fernseh- und Radsiosendungen, die für die Leser in Rhein-Main und Mittelhessen interessant sind. Den Anfang mach Landbote-Autor Michael Schlag. Er bespricht den Polizeithriller „La Gomera“ von Corneliu Porumboiu. La Gomera weiterlesen