Mehr Briefwähler als je zuvor
Von Klaus Nissen
„Ich habe schon gewählt“ – diese Aussage vernimmt wohl jeder, der sich im Bekanntenkreis umhört. Die Briefträger können auch ein Lied davon singen. Und die mit der Abwicklung der Bundestagswahl beauftragten Menschen in den Verwaltungen. Sie empfangen und verwahren schon seit dem 16. August immer mehr bereits ausgefüllte Wahlbriefe. Das zeigt ein Rundruf in die Rathäuser von Büdingen, Nidda, Gedern und Florstadt.Bundestagswahl macht Kommunen viel Arbeit
„Wir haben deutlich mehr Briefwähler als bei der Kommunalwahl im März“, berichtet Christian Lohrey im Büdinger Rathaus. Aus dem Kreis der rund 17000 Wahlberechtigten beantragten bis Mitte September rund 5500 Menschen einen Wahlbrief. Es sind 500 mehr als im März. „Das wird wohl an Corona liegen“, mutmaßt Lohrey. Und weil in Büdingen gleichzeitig die Bürgermeisterwahl ansteht. Da könnte es im Wahllokal zu Menschenansammlungen kommen.
Um das zu vermeiden, ist die Briefwahl eine bequeme und sichere Alternative. Kurzentschlossene können die Briefwahlunterlagen noch bis zum Freitag, 24. September 2021 um 18 Uhr bei der Verwaltung abholen. Wer wegen einer plötzlichen Erkrankung oder aus anderen wichtigen Gründen vom Urnengang abgehalten wird, kann sogar noch am Sonntag per Brief seinen Wunschkandidaten für den Bundestag bestimmen. Die vielen schon ausgefüllt eingesandten Wahlbriefe stapeln sich nun im Rathaus. Man wisse kaum, wohin damit, so Lohrey. Der Keller sei nach der Flut vom Frühjahr noch zu feucht, um sie dort abzulegen.
Corona hält Bürger offenbar vom Urnengang ab
In Nidda haben bisher rund 4500 der knapp 14 000 Wahlberechtigten die Briefwahl beantragt. Das sind etwa 120 mehr als bei der Kommunalwahl und 2200 Briefwähler mehr als bei der letzten Bundestagswahl anno 2017, berichtet Fabian Lauer aus dem Wahlamt. Wie viele bereits ausgefüllt zurückgeschickt wurden, habe man nicht genau gezählt. Das sei schwer, weil sie auf verschiedenen Wegen ins Rathaus kommen.
In Gedern forderten rund 1900 der 5800 Wahlberechtigten bisher einen Wahlbrief an. „Das sind sehr viele“, sagt Wahlleiter Steffen Brill. Gut ein Drittel ist schon ausgefüllt im Rathaus gelandet. Bei der Bundestagswahl von 2017 gab es nur 859 Briefwählerinnen und Briefwähler. Brill: „Die Briefwahl ist für die Menschen bequemer als der Gang ins Wahllokal, weil sie sich dann am Sonntag noch etwas anderes vornehmen können.“
Und sicherer, weil ohne Ansteckungsgefahr. „Ich würde die Zunahme an Briefwählern rein auf Corona schieben“, meint Patrick Quanz im Florstädter Wahlamt. Dort gab man rund 2700 Briefe aus. Florstadt hat etwa 7000 Wahlberechtigte. Für die Verwaltungsleute sei die Briefwahl aufwändig, so Quanz. Am Wahlsonntag werden sie gegen 16 Uhr beginnen, die roten Umschläge zu öffnen und die Wahlscheine zu prüfen. Die blauen Umschläge mit den Stimmzetteln dürfen erst ab 18 Uhr geöffnet und dann die Kreuze gezählt werden. In vielen Kommunen werden zusätzliche Briefwahlbezirke eingerichtet.
Es ist schwer, Wahlhelfer zu finden
Für die Abwicklung und Auszählung der Wahl am 26. September werden sehr viele Menschen gebraucht. „Es ist sehr schwer, Helfer zu finden“, sagt der stellvertretende Wahlleiter Christian Lohrey in Büdingen. Er hat nun eine 230-köpfige Truppe aus „alten Hasen“ und Neulingen beisammen – jeweils neun Leute sind für den Betrieb der insgesamt 24 Wahlbezirke notwendig. Fast die gleiche Helferzahl ist in Nidda für die dort 23 Wahlbezirke verpflichtet. Im Einsatz sind fast alle Leute aus der Stadtverwaltung, die ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker und weitere Helfer aus dem Umfeld der Parteien.
Die Bezahlung ist eher symbolisch – in Nidda sind es für die ganze Schicht 35 Euro pro Wahlvorsteher und 25 Euro für Wahlhelfer. Büdingen zahlt auch den Helfern 35 Euro – auch falls der Bund dieses Geld der Stadt nicht ganz erstattet. „Es ist mehr ein Schmerzensgeld“, meint Christian Lohrey. Eine symbolische Anerkennung für die Bereitschaft, Zeit und Engagement in unsere Demokratie zu investieren.
Wen die Wetterauer in den Bundestag wählen, weiß noch niemand. Aber es gibt Wahrscheinlichkeiten. Die Büdinger entschieden sich zum Beispiel vor vier Jahren mit 33,6 Prozent für den Gelnhausener CDU-Mann Peter Tauber. Bettina Müller (SPD) aus Flörsbachtal lag mit 28,1 Prozent dahinter. So lief es auch im gesamten Wahlkreis 175 mit der Stadt Schotten, den östlichen Wetterau-Kommunen und Teilen des Main-Kinzig-Kreises. Tauber zog mit gut 9000 Stimmen Vorsprung direkt, Müller über die SPD- Landesliste in den Bundestag ein. Im Wahlkreis 177 für die westliche Wetterau gewann Oswin Veith (CDU), der inzwischen die Politik verließ und als OVAG-Vorstand sein Geld verdient. Diesmal will der frühere Bad Nauheimer Bürgermeister und Niddaer Ex-Stadtrat Armin Häuser für die CDU gewählt werden.
Dennoch gefährdet die aktuelle SPD-Hausse den Wahlsieg von Häuser im Westen und Taubers jungem CDU-Nachwuchskandidaten Johannes Wiegelmann im Osten der Wetterau. Das Portal www.election.de hat bundesweit alle Prognosen, früheren Wahlergebnisse, die demografische Entwicklung und Wanderungsbewegungen abgewogen. Demnach kann Bettina Müller von der SPD zum ersten Mal mit einer Wahrscheinlichkeit von 73 Prozent als Direktkandidatin nach Berlin fahren. In Wetterau-West macht demnach mit 76-prozentiger Wahrscheinlichkeit die 28-jährige Natalie Pawlik das Rennen. Sie hatte 2017 noch mit gut 10 000 Stimmen hinter Oswin Veith gelegen und arbeitete nach ihrer vergeblichen Kandidatur weiter als Assistentin des SPD-Europa-Abgeordneten Udo Bullmann.