Als Kind von der SS verschleppt
Alodia Witaszek-Napierala wurde als Fünfjährige im besetzten Polen von der SS aus der Familie geraubt und als vermeintliches Waisenkind zur Adoption nach Deutschland gegeben. Die Wilhelmskirche in Bad Nauheim war bis auf den letzten Platz gefüllt, als sie in einem Zeitzeugengespräch über ihr Schicksal berichtet.Der Vater von Alodia Witaszek-Napierala, Arzt und Wissenschaftler in Posen, war als Angehöriger des Widerstands im Januar 1943 verhaftet und hingerichtet worden, die Mutter wurde nach Auschwitz deportiert. Alodia und ihre Schwester Daria wurden im Herbst 1943 als „Rassekinder“ in das „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ im heutigen Łódź verschleppt.
Zwangsgermanisiert
Über mehrere Stationen wurden die Kinder zwangsgermanisiert. Im April 1944 wurde Alodia von ihrer neuen deutschen „Mutti“ abgeholt und nach Stendal gebracht. Ihre leibliche Mutter überlebte Auschwitz und Ravensbrück und kehrte im Mai 1945 nach Posen zurück und begann mit der Suche nach den Kindern, bis sie 1947 von ihrem Aufenthaltsort erfuhr. Alodia kehrte im November 1947 nach Polen zurück.
„Eindrücklich erzählte die Zeitzeugin von ihren Erlebnissen, Ängsten und Hoffnungen“, berichtet Pfarrer Peter Noss. Sie hatte Glück im Unglück, weil ihre Adoptiv-Mutter es gut mit ihr meinte, während ihre Schwester in der neuen Familie als Arbeitskraft willkommen war. Auch nach 1947 blieb der Kontakt zu Alodias „deutscher Mutter“ bestehen, es gab sogar Begegnungen der Familien.
Stellvertretend für das Zentrum Ökumene, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Wetterau (GcjZ) und die Kirchengemeinden in Bad Nauheim hatte Pfarrer Peter Noss die Anwesenden begrüßt. Die Moderation des Abends übernahm Stephanie Roth vom Bistum Mainz, die aus dem Buch von Reiner Engelmann über die Zeitzeugin zitierte: „Alodia, du bist jetzt Alice!“.
Tief beeindruckt
Frau Witaszek-Napierala hat ihre persönliche Geschichte nie therapeutisch aufgearbeitet – es war vor allem die Liebe ihrer Bezugspersonen, die ihr geholfen hat, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und selbst eine Familie zu gründen. Auf die Publikums-Frage, wie sie das deutsch-polnische Verhältnis heute beurteile, meinte die Zeitzeugin: „Es ist normal. Auf der polnischen wie auf der deutschen Seite.“ „Die Besucher in der Kirche waren tief beeindruckt“, stellt Pfarrer Noss fest.
Die Reihe der Zeitzeugen-Gespräche in Kooperation mit der Geschäftsstelle Weltkirche im Bistum Mainz und der GcjZ Wetterau, bei der zuletzt im November 2021 Helmut Sonny Sonneberg zu Gast war, soll demnächst fortgesetzt werden: Henriette Kretz und der Autor Reiner Engelmann, die ursprünglich für diesen Abend sprechen wollten und leider erkrankt waren, sollen zu einem späteren Zeitpunkt erneut eingeladen werden.
Das Gespräch wurde aufgezeichnet und ist demnächst auf der Internet-Seite des Zentrums Ökumene (zentrum-oekumene.de) zu sehen.