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Wegen Corona aufs Rad
Händler sollen Fahrräder reparieren
Von Klaus Nissen
Nach sieben Wochen haben auch die hartgesottensten Couchpotatos die Nasen voll vom Fernsehen, Online-Surfen oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spielen. Viele beginnen, ihre Dachböden, Keller und Garagenwinkel zu entrümpeln. Dabei entdecken sie verstaubte Fahrräder aus sportlicheren Zeiten. Die Folgen: An sonnigen Tagen strampeln viel mehr Familien und Paare als sonst über die Feldfluren. Die Fahrradhändler der Region erleben eine Sonderkonjunktur. Und haben nun Gelegenheit, aufgestauten Frust rauszulassen.Wegen Corona aufs Rad
„Es ist Stress pur. Ein Sechzehn-Stunden-Arbeitstag reicht im Moment nicht“, stöhnt die Fahrrad- und Gartengeräte-Händlerin Sabine Lutz aus Wolferborn bei Büdingen im Wetteraukreis . Bei ihrem Familienbetrieb häufen sich die Anrufe und Besuche von Menschen, die ihre vernachlässigten Drahtesel ausflugtauglich machen wollen. Mal ist der Radmantel spröde geworden, mal der Bremszug gerissen. Oder die eingerostete Gangschaltung verstellt. Und die Reparatur „muss gleich und sofort sein“, umschreibt Sabine Lutz die Erwartungshaltung mancher Kunden. In der Wolferborner Fahrradwerkstatt tut man, was geht. Aber es reicht nicht aus.
Beim großen Fahrradgeschäft HWG der Familie Haas an der Lauterbacher Straße in Gedern ist ebenfalls richtig was los. Man habe schon einen Angestellten mehr als üblich in die Werkstatt beordert, berichtet Sigrun Haas. Doch der Ansturm sei nicht zu bewältigen – leider müsse man auch mal Reparaturbegehren ablehnen: „Das tut weh. Aber es nutzt ja nichts, wenn das Fahrrad vier Wochen oder länger in der Werkstatt steht.“ Manche Alt-Fahrräder sind auch nicht mehr zu reparieren, sagt Sigrun Haas. Wenn sie zum Beispiel Billig-Felgenbremsen aus minderwertigem Material haben, die heutzutage nicht mehr zugelassen sind. „Es gibt ja Vorschriften der Verkehrssichereit, für die wir haften müssen, sobald wir ein Fahrrad zur Reparatur in die Werkstatt schieben.“
Wer am Wochenende einfach mal wieder aufs Rad steigen will, weil nichts anderes mehr geht, kann bei HWG auch ein Trekkingrad leihen. Das sei garantiert gut in Schuss und mache den Gelegenheits-Radfahrern vielleicht auch wieder Lust aufs Pedalieren. „Die Leute strahlen einfach, wenn sie zurückkommen“, beobachtete Sigrun Haas. „Sogar die pubertierende Tochter. Man sieht, dass das Radfahren durch die Natur gut für die Seele ist.“
„Ich hätte heute schon drei Räder verkaufen können“
In Altenstadt klingelt das Telefon von Günther Steuernagel öfter als sonst. Es sind Leute, die einfache Fahrräder für Ausflüge suchen. „Ich hätte heute schon drei Räder verkaufen können“, sagt der Inhaber des 1949 von seinem Vater gegründeten Geschäfts gegenüber dem Rathaus. Doch Steuernagel muss abwinken – er verkauft nur noch E-Bikes einer niederländischen Firma, die solide, dauerhafte Qualität liefert. Solche Räder kosten aber mehr als 2000 Euro. Die sichern dem Händler das Überleben. Auf die Stammkunden allein könne er sich nicht mehr verlassen, so der Händler. Die seien nach und nach weggestorben. Und viele junge Menschen, die Stammkunden werden könnten, zögen nach fünf Jahren wieder aus Altenstadt fort. Das Überleben gelingt Günther Steuernagel trotzdem, weil er keine Angestellten hat und die Fixkosten niedrig hält. Reparaturen macht er auch – bis Ende Mai sind seine Arbeitstage ausgebucht. „Wenn einer bei mir einkauft, kann er jederzeit kommen und kriegt geholfen.“ Doch wenn jemand mit dem kaputten Billigrad vom Discounter oder vom Onlineversand auftaucht, winkt Günther Steuernagel ab. Er ist nicht der einzige Händler, den die Vorliebe vieler Kunden für billige und gut aussehende Räder ärgert. „Es gibt Leute, die sich von mir beraten lassen. Und dann kaufen sie das Fahrrad im Internet!“ Nachhaltigkeit und lange haltende Teile seien zu vielen Menschen nichts wert.
Fahrrad-Schrauber ordern jetzt edle Teile
Neun Kilometer von Günther Steuernagel entfernt arbeiten Petra und Dirk Körner ebenfalls im Fahrrad-Metier – aber ganz anders. Das an der Stockheimer Vordergasse lebende Paar hat keinen Publikumsverkehr und kein Ladengeschäft, es muss wegen der Corona-Folgen aber genau wie alle anderen Fahrradexperten schuften. „Wir haben jetzt eine Sieben-Tage-Woche. Es ist wie ein Tsunami“, sagt Dirk Körner. Das Paar begann vor zwölf Jahren, unter dem Firmennamen Radsport Erdmann Ersatzteile und selbst gefertigte Vorder- und Hinterräder über das Internet zu vertreiben. Keine Billigware, sondern haltbare Sättel, Speichen, Felgen, Pedalen, Parallelogramm-Satteldämpfer, Getriebenaben und Nabendynamos aus deutscher Produktion. Zu Beginn der Corona-bedingten Zwangspause herrschte noch Schockstarre bei den Menschen, sagt Dirk Körner. Doch vor vier Wochen holten sie weltweit ihre Räder aus den Winkeln und merkten, dass einiges an ihnen aufzuarbeiten war. Wer sich das selber zutraut und Qualität mag, bestellt die Teile beim Ehepaar in Stockheim. Es hat sie auf Lager und ist vorerst nicht von der Verlässlichkeit internationaler Lieferketten abhängig. Dass Radsport Erdmann zu den Profiteuren der Pandemie gehört, ist Dirk Körner regelrecht peinlich. Andererseits freut er sich über das wachsende Interesse am gepflegten Radfahren. Er hofft und glaubt, dass viele Menschen nach der Epidemie weiter in die Pedale treten. Das sei nachhaltig und gesund. Außerdem seien Fernreisen wohl für längere Zeit nicht angesagt.
Hier gibt es Tourentipps
Elfriede Pfannkuche sieht das genauso. Die frühere Bürgermeisterin von Hirzenhain wird nicht müde, die Attraktionen der näheren Umgebung zu preisen, die man gut und leicht mit dem Fahrrad erreichen kann. Momentan bietet sie Einzel-Schulungen für Leute an, die lange nicht geradelt sind und jetzt aufs E-Bike umsteigen wollen. Sobald es wieder erlaubt ist, will Pfannkuche auch die geführten Radtouren mit LeihEbikes wieder anleiten. Eine Übersicht steht auf der kreiseigenen Webseite tourismus.wetterau.de. Dort kann man auch digitale Radwegekarten herunterladen und Tourentipps bekommen.