Merkurist – Blaupause für die Zukunft?
Von Klaus Nissen
Lokaljournalismus im Netz gibt es vielerorts. „Aber bisher hat noch keiner ein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden“, sagt Manuel Conrad. „Wir gehören zu denjenigen, die sehr nahe dran sind.“ Die Plattform des 32-jährigen Betriebswirtschaftlers und des Informatikers Meik Schwind aus Mainz heißt „Merkurist“. Schon wenige Monate nach dem Start betreiben die Firmengründer neben Mainz und Wiesbaden auch in Frankfurt Online-Ausgaben mit angestellten Redakteuren. Ein Besuch im Gründerzentrum von Mainz-Gonsenheim zeigt, in welchen finanziellen und journalistischen Dimensionen der Merkurist unterwegs ist.
Digitale Lokalzeitung
Die Leute vom Startup sitzen in einer nüchternen Büroetage. Im größten Raum ein langer Tisch mit sechs Bildschirmen, vor denen junge Leute die Tastaturen bearbeiten. Draußen steht der Dienst-Corsa für Recherchen in Mainz. Nach 15 Monaten hat der Merkurist laut Manuel Conrad täglich etwa 15 000 Leser in der 210000 Einwohner zählenden Hauptstadt von Rheinland-Pfalz. Zum Vergleich: Die Mainzer Allgemeine (Gründungsjahr 1850) verkauft täglich knapp 52 000 Zeitungen und Epaper-Ausgaben.
Der Merkurist drängt auf den Markt mit weniger und teilweise auch anderen Inhalten als das angestammte Lokalblatt. Er hat weder die Mittel noch die Absicht, alle Themen abzudecken. Manuel Conrad sagt: „Innovativ ist bei uns nicht der Artikel, sondern seine Produktionsweise. Ich versuche, Journalismus effizienter zu machen.“
Wie geht das? Jeder registrierte Leser darf mit einem Foto und einer Frage auf die Startseite, um einen lokalen Artikel vorzuschlagen. Diesen „Snip“ können andere anklicken, wenn sie das Thema interessant finden. Erst ab einer bestimmten Klickzahl in kurzer Zeitspanne beginnt ein Journalist zu recherchieren. Geschrieben wird dann mit einer selbst entwickelten Software.
Die fünf angestellten Redaktionsmitglieder und rund 50 freie Mitarbeiter in Mainz schlagen auch eigene „Snips“ vor. Polizeimeldungen laufen unter der Spitzmarke „Blaulicht“ sofort in die Webseite ein. Aus der Leserschaft kommen etwa 40 Prozent der Artikelvorschläge, schätzt Manuel Conrad: Darunter „Super-Geschichten“, auf die die Konkurrenz nicht komme. Zum Beispiel die Hintergründe einer Restaurant-Schließung und das Porträt eines Busfahrers, der sein Gefährt stoppte, um einem Blinden über die Straße zu helfen. Mehr Reichweite sucht Merkurist über einen täglichen Mail-Newsletter, Twitter und Facebook – „die Geschichte mit dem Busfahrer bringt einem da gleich 30 000 Leser“. Welcher Artikel im Portal oben steht, entscheidet die Software in Reaktion auf das Leseverhalten. Sie registriert, welchen Abschnitt eines Textes der Leser auf dem Schirm durcharbeitet. Wenn er sich beim nächsten Mal einschaltet, stellt der Algorithmus die für ihn interessantesten Geschichten auf den Schirm. Jeder bekommt also andere Nachrichten angezeigt.
Wie kann man damit Geld verdienen?
Das 2015 gegründete Start-Up ist laut Gründer noch nicht profitabel, aber auf dem Wege dahin. Manuel Conrad glaubt nicht an die Bezahlschranke. Das Geld muss von den Werbekunden kommen. Der Merkurist hat eine Vertriebsabteilung – drei feste und mehrere freie Mitarbeiter rufen täglich lokale Unternehmen an. Der Kunde kann als Werbung gekennzeichnete PR-Nachrichten veröffentlichen. Verkauft werden auch Werbebanner. Der Auftraggeber muss nur dann bezahlen, wenn die Anzeige mindestens zwei Sekunden im Sichtfeld lag.
Artikelschreiber bekommen bei Merkurist durchschnittlich 30 Euro. Das Honorar wächst bei einer guten Lesequote auf etwa 45 Euro. Für Fotos gibt es nichts. Kann man davon leben? „Wahrscheinlich nicht“, räumt der Merkurist-Chef ein. „Aber unsere Bedingungen sind nicht schlechter als die anderer Medienhäuser. Und wenn man sich die Zeilenhonorare der Freien anschaut, dann stelle ich mir die Frage, welches Haus sich überhaupt noch an die Tarifvorgaben hält.“ Mehr Honorar sei nicht drin, weil sein Startup derzeit nur etwa einen Cent je Leser und Artikel einbringe. Die zwischen Verlegern und den Journalistengewerkschaften vereinbarten Tarife für Redakteure ignoriert Olaf Conrad. Er zahlt seinen jeweils vier bis fünf Redakteuren in Mainz, Wiesbaden und Frankfurt Gehälter ab 2000 Euro brutto. Volontäre bekommen 1300 Euro.
Franchise-Modell für die deutschen Städte
In Frankfurt berichtet der Merkurist seit Juli aus seiner neuen Lokalredaktion an der Trakehner Straße. Die etablierte Konkurrenz hat das noch nicht so recht bemerkt. Auf Nachfrage antwortet Arnd Festerling, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau: „Ich habe bisher von denen nur gehört und sie eben das erste Mal buchstäblich gesehen“. Für eine Beurteilung sei es noch zu früh.
Manuel Conrad baut derweil weiter an seinem Geschäftsmodell. Für mögliche Merkurist-Filialen in gut 40 anderen Städten hat er Facebook-Seiten reserviert. Es gebe nun mal viel Unzufriedenheit mit dem schrumpfenden Angebot der etablierten lokalen Medien. Conrad schwebt ein Franchise-Modell vor, bei dem unternehmerisch denkende Journalisten die digitale Plattform nutzen.
Zum ersten Mal berichtete Gundula Lasch im Mai 2016 im dju-Blog „Menschen machen Medien“ über den Merkurist. Nachzulesen hier: