Begegnungen mit Autoren
von Jörg-Peter Schmidt
Hans Christoph Buch, der weltweit zu den Schauplätzen wichtiger historischer Ereignisse gereist ist und darüber in Reportagen und Büchern berichtet hat, feierte im April 2019 seinen 75. Geburtstag. Der gebürtige Wetzlarer, der in Berlin wohnt, hat ein neues Buch veröffentlicht: „Tunnel über der Spree“. Der Autor, dessen literarisch klingender Nachnahme kein Pseudonym ist, schildert darin vorwiegend seine Eindrücke von Begegnungen mit lebenden oder ehemaligen Zeitgenossen von Marcel Reich-Ranicki bis zu Wolf Biermann sowie dem Verleger Joachim Unseld.Biermann sing über Che Guevara
In einem der ersten Kapitel von „Tunnel über der Spree“ findet man sich im Sommer des Jahres 1976 in der Küche des Poeten und Musikers Wolf Biermann wieder, der bekanntlich in der von der Stasi Tag und Nacht ausgespähten Wohnung in der Chausseestraße in Ostberlin wohnte. Hans Christoph Buch hatte den von der DDR geschmähten und verfolgten Liedermacher an diesem Tag besucht und wurde Zeuge, wie es an der Tür klingelte: Dort stand ein Mann mittleren Alters, „der wie ein Frührentner aussah und auch ohne Parteiabzeichen als SED-Funktionär zu erkennen war.“
Der ungebetene Gast, der sich als Bezirksbürgermeister vorstellte, wollte eben mal wissen, wer Tamara Bunte war, nach der soeben eine DDR-Oberschule benannt worden war. Biermann antwortete dem nach einer Alkoholfahne stinkenden offensichtlichem Funktionär eher indirekt, indem er ein Lied über Che Guevara sang. Er hätte den Funktionär auch rauswerfen können, was aber nicht geschah. Biermann konnte ja nicht ahnen, was ihm einige Monate später, im November 1976, die Parteigenossen dieses Bezirksbürgermeisters mit der Ausbürgerung antun würden. Übrigens klärt zu Beginn dieses Kapitels H. Ch. Buch auf, wer Tamara Bunte war: Sie war Kampfgefährtin Che Guevaras und wurde 1953 von bolivianischen Soldaten erschossen.
Grass privat: verletzend und übellaunig
Solche kleinen, nachdenklich stimmenden Erinnerungsschilderungen wie über das sonderliche Geschehen in Biermanns Wohnung durchziehen wie ein roter Faden das Buch. Dazu gehört auch das Kapitel „Der Nussknacker – Hommage an Günter Grass“. Darin äußert sich der gebürtige Mittelhesse zwiespältig über den 2015 verstorbenen Nobelpreisträger. Er ist nicht unbedingt vom literarischen Gesamtwerk des Bestseller-Schriftstellers begeistert, findet aber beispielsweise „Der Butt“, „Das Treffen in Telgte“ und „Im Krebsgang“ gut. Ausdrücklich lobt er das soziale Engagement von Grass, auch, weil er „notleidenden Kollegen schnell und unbürokratisch half …, ohne sich seiner guten Taten zu rühmen.“ Als Privatperson sei der Verfasser der „Blechtrommel“ schon mal verletzend grob und übellaunig gewesen. Zudem habe er sich gern mit Höflingen umgeben – eine Beurteilung, gegen die sich Günter Grass nicht mehr wehren kann…
Soweit zwei Beispiele aus diesem absolut lesenswerten, dem Verleger Joachim Unseld gewidmeten Buch, in dem sich weitere Kapitel beispielsweise mit Publizistinnen und Publizisten wie Sarah Haffner, Klaus Schlesinger, Uwe Johnson, Martin Walser und dem bereits erwähnten Marcel Reich-Ranicki beschäftigen, zu dem H. Ch. Buch nie den Kontakt verlor, obwohl der spätere Literaturpapst bei einer Tagung der legendären „Gruppe 47“ den jungen angehenden Schriftsteller Buch wegen dessen Erzählung über eine archäologische Ausgrabung heftig kritisierte. Nun, der damals 19-jährige junge Mann hat die Schelte überlebt, wie wie wir wissen. Man kann nur nur hoffen, dass seinem aktuellen Band noch weitere folgen. Man darf es dem Jubilar wünschen, der auf ein bewegtes Leben zurückblicken kann. Der Doktor der Philosophie hat als Reporter unter anderem aus Kambodscha, Korea, Bosnien, China und der Antarktis berichtet. Oft weilte er auf Haiti. Den dortigen Sturz der Diktatur unter „Baby Doc“ hat er in einem Bericht für die „Süddeutsche Zeitung“ geschildert. Man kann im wörtlichen Sinn von einem Leben wie in einem Buch sprechen.
Hans Christoph Buch: Tunnel über der Spree, Frankfurter Verlagsanstalt, 200 Seiten, 20 Euro, ISBN: 978-3627002626