Frauenhaus Wetterau

Zuflucht bei häuslicher Gewalt

Von Corinna Willführ

Das Wetterauer Frauenhaus hilft Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben. 54 Frauen und 91 Kinder fanden hier 2018 Zuflucht, Schutz und Hilfe. Der Zeitraum ihres Aufenthalts reichte von sieben Tagen (20 Frauen) über drei Monate (20 Frauen) bis zu zwölf Monate (drei Frauen).

Der Bedarf ist hoch

Eine Landkarte von Hessen. Mit Markierungen im Wetteraukreis, im Vogelsbergkreis, im Norden bis nach Hannoversch-Münden, in Frankfurt, im Süden bis nach Darmstadt. Die Markierungen sind rot, eine einzige gelb, zwei grün. Die Symbolhalter in „Grün“ stehen für einen freien Platz für eine Frau mit Kindern in einem hessischen Frauenhaus. „Gelb“ heißt, es kann noch eine alleinstehende Frau aufgenommen werden. „Rot“ – die Einrichtung ist voll belegt. Was sich anhören mag, wie eine ausgebuchte Reise oder Kulturveranstaltung, dokumentiert den Bedarf an Unterkunfts- und Betreuungsmöglichkeiten für Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben. Und die – oft nur als letzte Möglichkeit – zu ihrem persönlichen Schutz und dem ihrer Kinder vor ihren Peinigern in ein Frauenhaus flüchten. Oft viele Kilometer weit von ihrem Zuhause entfernt und damit auch über Kreisgrenzen hinweg. Der einzige freie Platz in „Gelb“ an diesem Januartag 2020: im Frauenhaus Wetterau.

Die Leiterin des Frauenhauses Illona Geupel (links) und ihre Stellvertreterin Susanne Klein in der Beratungs- und Interventionstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ in Friedberg. (Fotos: Willführ)

Illona Geupel ist seit zwei Jahren Leiterin des Frauenhauses und der Beratungs- und Interventionsstelle des Trägervereins der Einrichtung „Frauen helfen Frauen“. In der Betreuung von Frauen mit häuslicher Gewalterfahrung arbeitet die 61-Jährige bereits seit 32 Jahren. Susanne Klein (53), Sozialfachwirtin und Mediatorin, ist ihre Stellvertreterin. In der Zufluchtsstätte – ihre Adresse ist zum Schutz der Frauen und Kinder geheim – stehen 24 Plätze zur Verfügung, neun für Frauen und 15 für deren Kinder (Jungen bis 14 Jahre). „Wir legen großen Wert darauf, dass wir den Frauen, die zu uns kommen, ein eigenes Zimmer für sich und ihre Kinder zur Verfügung stellen können, damit sie nach dem Verlust ihres Zuhauses noch ein Mindestmaß an Privatsphäre haben“, sagen die Leiterinnen. In 2018 fanden 54 Frauen und 91 Kinder Zuflucht, Schutz und Hilfe im Wetterauer Frauenhaus. Neun Frauen wohnen über den Jahreswechsel im Frauenhaus und sind daher noch nicht erfasst. Der Zeitraum ihres Aufenthalts reicht von sieben Tagen (20 Frauen) über drei Monate (20 Frauen) bis zu zwölf Monaten (drei Frauen). Die größte Gruppe stellen Frauen im Alter bis 40 Jahre. 32 der betreuten Kinder waren jünger als drei Jahre, 28 noch nicht im schulpflichtigen Alter, 24 Jungen und Mädchen zwischen sechs und 14 Jahre alt. Durchschnittliche Belegung der Zimmer 93,33 Prozent.

24-Stunden-Nordienst

So die Statistik aus dem Jahresbericht des Frauenhauses Wetterau von 2018. Zahlen, Daten und Fakten, die die Notwendigkeit der Einrichtung dokumentieren, aber weder etwas über die Schicksale der Zufluchtssuchenden, noch über die ebenso engagierte wie belastende Arbeit der neun Fachkräfte, die unter anderem einen 24-Stunden-Notdienst für die Frauen im Haus aufrecht erhalten, aussagen. Illona Geupel: „Jede Frau, die in ein Frauenhaus geht, entscheidet das für sich. Ob sie vor der Gewalt ihres Partners flieht, Bedrohungen durch männliche Familienmitglieder entkommen will oder Schutz vor einem Stalker sucht, es ist auf jeden Fall für sie ein schwerwiegender Schritt.“ Zumal, wenn sie diesen mit ihren Kindern tut. Sie alle sind mit einem neuen Umfeld konfrontiert, mit Kontakten zu Menschen aus anderen Kulturkreisen, einem veränderten Tagesablauf, ungewohnten Regeln. „In den ersten Tagen wollen die meisten Frauen vor allem eines: Ruhe. Die Umstellung kann zunächst sowohl als be- wie auch entlastend empfunden werden. Bestenfalls gelingt es den Frauen, sich zu öffnen und durch den Austausch mit anderen zu erfahren, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine sind.“

Zu der freundlichen Ausstattung der Beratungs- und Interventionsstelle gehört auch eine Ecke mit Kuscheltieren.

In intensiven Gesprächen – auch in Englisch, Türkisch und Arabisch sowie in leichter Sprache und in Gebärdensprache – eruiert das Team des Frauenhauses die individuelle „Gefährdungsbeurteilung“ der Schutzsuchenden. Dies kann bedeuten: kein Kontakt mehr zu Familie und Freunden, die neue Ausstellung von Dokumenten wie etwa einer Krankenversicherungs- oder Kreditkarte oder den Austausch des Handys. „Unser Ziel ist es, die Frauen zu ermutigen, ihre Ressourcen wieder frei zu setzen und ihnen Wege zu einem selbstbestimmten Leben aufzuzeigen.“

Schwierige Schritte in ein neues Leben

Dabei arbeitet das Wetterauer Frauenhaus mit vielen Institutionen und Organisationen zusammen. Jobcentern, Arbeits-Agenturen. Sozialämtern, Schulverwaltungen, Flüchtlings-Organisationen, verschiedenen Abteilungen des Wetteraukreises. „Schulpflichtige Jungen und Mädchen müssen wir unmittelbar in einer Schule zum Unterricht anmelden. Das klappt gut“, so Illona Geupel. Auch die Zusammenarbeit mit der Polizei lobt das Team. Die Interventionsstelle des Vereins Frauen helfen Frauen arbeitet „proaktiv“. Das bedeutet, dass „nach einem Einsatz der Polizei oder einer Anzeige zu häuslicher Gewalt die Kontaktdaten der Betroffenen nach ihrem Einverständnis von der Polizei an die Interventionsstelle übermittelt werden“ – um der Frau eine Hilfsmöglichkeit anzubieten.

Und dann: Die Finanzierung des Aufenthalts der Frauen ist zu sichern. Wo könnten sie einen Job bekommen, um eigenes Geld zu verdienen? Wer kümmert sich um die Kinderbetreuung, wenn sie eine Ausbildung machen möchten? Wo werden Deutschkurse angeboten? Wo finden sie ein neues Zuhause? „Aufgrund von Wohnungsmangel oder Vorbehalten gegenüber Sozialhilfeempfängern werden diese Schritte in ein eigenes Leben für die Frauen und deren Kinder sehr erschwert“, so die Frauenhaus-Leiterinnen. Ein gravierendes Problem. Denn ohne „Dach über dem Kopf“ sähe manch Frau keinen anderen Ausweg als zu ihrem Peiniger oder in das entsprechende Umfeld zurückzukehren. Zudem: „Unsere Fachkräfte stehen aktuell der großen Herausforderung geflüchteter Frauen gegenüber.“

Zwar habe in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden, durch den „häusliche Gewalt nicht länger verharmlost und als Privatsache angesehen wird“, so Geupel und Klein. Doch „auf Dauer muss es unbedingt – einen seit Jahren geforderten – einheitlichen Rechtsanspruch auf Schutz- und Hilfeleistungen betroffener Frauen in Deutschland geben, denn Schutz gegen Gewalt von Frauen ist ein Menschenrecht“, wie Ulla Becker, Kerstin Adeberg und Barbara Ullrich vom Vorstand des Vereins Frauen helfen Frauen Wetterau, fordern.

Die Istanbul-Konvention

In dem mittlerweile von 46 Staaten übernommen und von 33 Staaten ratifizierten Übereinkommen verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten (Deutschland 2017) offensiv gegen sexuelle Belästigung, Nachstellung, Vergewaltigung, Zwangssterilisation und Zwangsheirat vorzugehen. Ziel der Istanbul-Konvention ist es auch, Hilfsangebote wie die Finanzierung von Frauenhäusern zu sichern. Das Frauenhaus Wetterau wird derzeit zu rund 40 Prozent über den Trägerverein, zu 28 Prozent über den Kreis („Wir freuen uns sehr über diese verlässliche finanzielle Unterstützung) sowie zu 31,52 Prozent Landesmittel finanziert. Die Mittel des Trägervereins kommen zu fast 50 Prozent aus Mieteinnahmen, zu 25 Prozent aus Eigenmitteln. Etwa zehn Prozent steuern 21 – und damit nicht alle – Kommunen des Wetteraukreises bei. Weniger als die Spendensumme (13,5 Prozent), die der Verein in 2018 verbuchen konnte. Die Beratungs- und Interventionsstelle ist unter 06031/166773, das Frauenhaus unter 06031/15353 zu erreichen.

Die Bankverbindung des Vereins „Frauen helfen Frauen“ lautet: Sparkasse Oberhessen, IBAN DE80 5185 0079 0030 0080 06; BIC: HELADEF1FRI

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