Flüchtlinge

Streit um Container für Flüchtlinge

Von Klaus Nissen

Mehr als 90 Geflüchtete pro Woche müssen der Wetteraukreis und seine Kommunen inzwischen unterbringen. Die Zuweisungen haben sich verdoppelt, beklagt Landrat Jan Weckler (CDU). Nun wird eine Container-Unterkunft für die Flüchtlinge am Recyclinghof in Dorheim bei Friedberg gebaut. Das findet heftigen Widerspruch.

Geflüchtete finden keinen Wohnraum

Die Unterbringungskapazitäten für Geflüchtete sind in Kürze erschöpft, befürchtet der Wetterauer Landrat Jan Weckler. Das hessische Sozialministerium habe die Zuweisungen an die Landkreise im vierten Quartal 2022 verdoppelt.

Die doppelstöckige Container-Reihe für Flüchtlinge ist am Dorheimer Recyclinghof fast bezugsfertig. Kritiker halten den Standort für unwürdig. Foto: Rack

Die im Wetteraukreis untergebrachten Geflüchteten kommen überwiegend aus Afghanistan, außerdem vor allem aus Syrien, Irak, Somalia, Äthiopien, Iran und Eritrea. Zusätzlich kommen laut Kreisverwaltung wöchentlich etwa 20 Personen aus der Ukraine in die Wetterau. Rund tausend Kriegsflüchtlinge von dort habe man inzwischen an die Wetterauer Städte und Gemeinden zugewiesen. Da viele auf privatem Weg direkt zu Verwandten oder Bekannten geflohen sind, leben nach Schätzung der Ausländerbehörde insgesamt über 3.300 Ukrainerinnen und Ukrainer im Wetteraukreis.

Landrat sieht den Kreis am Ende

Das alles macht dem Landrat Sorgen. Jan Weckler: „Wir stoßen an die Grenzen unserer Hilfs- und Unterbringungsmöglichkeiten – und wir fühlen uns zunehmend mit dieser gewaltigen Herausforderung alleine gelassen.“

Der CDU-Politiker bemängelt, dass die Bundesregierung trotz der ohnehin angespannten Lage zusätzliche Anreize für Geflüchtete schaffe, nach Deutschland zu kommen. So etwa die Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes und Änderungen im Aufenthaltsrecht, die eigentlich für die Anwerbung von benötigten Fachkräften dienen sollen. Die Bundesregierung toleriere die derzeit unkontrollierte Durchleitung von Geflüchteten aus Serbien über Österreich und Tschechien nach Deutschland – ohne gleichzeitig sicherzustellen, dass die Landkreise, Städte und Gemeinden die Menschen auch tatsächlich unterbringen können. „Bei aller Hilfsbereitschaft: Deutschland kann die Probleme der Welt nicht alleine lösen. Es bedarf hier vielmehr einer gemeinsamen europäischen Lösung. So kann es jedenfalls nicht weitergehen, wenn wir den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Konsens in diesem ohnehin herausfordernden Winter nicht gefährden wollen.“

Klaus Rack ist Ortsvorsteher in Dorheim. Er engagiert sich seit Jahren stark für geflüchtete Menschen, die im Friedberger Stadtteil leben.

Gefährdet ist der Frieden bereits im Friedberger Stadtteil Dorheim. Dort bereitet der Wetteraukreis seit Mai 2022 den Aufbau einer Containersiedlung neben dem Recyclinghof vor. Die Baugenehmigung erteilte das eigene Kreisbauamt. Die Stadt Friedberg legte vergeblich Protest dagegen ein. Sie bietet dem Wetteraukreis ein Grundstück am Südrand Friedbergs an, auf dem ursprünglich ein Kinocenter entstehen sollte. Die von CDU und SPD regierte Kreisverwaltung baute dennoch weiter die Container am Dorheimer Recyclinghof auf.

Nun setzt der Dorheimer Ortsvorsteher Klaus Rack (SPD) das Thema auf die Tagesordnung des Ortsbeirats. Am Donnerstag, 3. November 2022 ab 20 Uhr soll im Bürgerhaus Dorheim über den Sachstand und die Perspektiven gesprochen werden. Rack lädt dazu Bürgermeister Dirk Antkowiak und den Landrat ein, um Erklärungen zum Standort und zu Fragen der sozialen Betreuung, zur ärztlichen Versorgung und auch zum Schutz des Geländes und der dort untergebrachten Menschen zu bekommen. „ Kreis und Stadt reden seit Mai über das Thema – offenbar weitgehend aneinander vorbei. Und schon gar nicht haben sie die Dorheimer Bürgerschaft bisher direkt über das Projekt informiert. Dadurch wabern viele Gerüchte, Besorgnisse und Vorbehalte durch die Landschaft“, so Rack am 30. Oktober 2022 auf Facebook.

Rolf Gnadl sieht Beugung des Baurechts

Im Oktober hat sich auch der ehemalige Landrat Rolf Gnadl (SPD) in die Diskussion eingeschaltet. Er schrieb in einem Leserbrief, er sei „entsetzt, sowohl in moralischer Hinsicht im Hinblick auf die Menschen, die dort wohnen sollen, aber auch im Besonderen über die rigide Anwendung, meines Erachtens Beugung des Baurechts, die eine Geringschätzung der städtischen Planungshoheit aus schierer Opportunität ist. „

Rolf Gnadl (SPD) war von 1992 bis 2008 Landrat des Wetteraukreises. Foto: Wikipedia

Entsetzt sei er auch über die beim Wetteraukreis scheinbar üblich werdende Bau-„Kultur“ mittels Containern, die kurzerhand rücksichtslos auch an städtebaulich sensiblen Orten verbaut würden. „Um es ganz klar zu sagen: Menschen, die Kriegen wie in Syrien, Ukraine oder Afrika entflohen sind, die die Strapazen durch die Sahara, über das Mittelmeer oder den Balkan bewältigt, Erniedrigung und Ausbeutung ausgehalten haben, setzt man nicht in Container neben einer Abfallanlage! Das gehört sich nicht! Aber für den Wetteraukreis heiligt der Zweck offenbar die Mittel!

So wurden Geflüchtete Ende 2015 in einer Sporthalle in Nidda untergebracht. Sieben Jahre später weist der Wetteraukreis sie in Container ein. Foto: Wetteraukreis

Seinem Nachfolger Jan Weckler hält der pensionierte Landrat Rolf Gnadl vor, nicht richtig auf den Ankunft der Flüchtlinge vorbereitet zu sein. Dabei habe man seit 1994 schon etliche nützliche Erfahrungen gemacht. „Warum steht der Kreis ohne ausreichenden Wohnraum da, setzt andererseits aber den funktionsfähigen Start der schon lang geplanten Wohnungsbaugesellschaft aus? Warum agiert der Kreis nur „von der Hand in den Mund“, so dass ihm das Wasser jetzt bis zum Halse steht und er zum vermeintlich schnellsten Mittel greifen muß: Containern?“

Flüchtlingshelfer: Kreis muss mehr Wohnraum schaffen

„Wir brauchen eine Flüchtlingskonferenz!“ fordern derweil Johannes Hartmann vom Internationalen Zentrum Friedberg und Wolfgang Dittrich vom Evangelischen Dekanat Wetterau. Beide sind Gründungsmitglieder der 2015 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Flüchtlingshilfe. Es sei keine Frage, schreiben sie, dass der Kreis und die Städte und Gemeinden durch die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge unter Druck sind. Man müsse aber hinterfragen, ob in der Vergangenheit genug getan wurde, um auf eine solche Situation vorbereitet zu sein.

Aktuell hängen laut Dittrich und Hartmann viele Geflüchtete in den Gemeinschaftsunterkünften fest, weil sie keinen bezahlbahren Wohnraum finden. „Das blockiert etwa 50 Prozent aller Plätze in den jetzt vorhandenen Unterkünften. Bereits im Jahr 2019 hätten sie die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum angemahnt, erinnern sie. „Wir können bis heute nicht feststellen, dass die Kreisspitze das Thema Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ernst nimmt. Die seit Jahren angekündigte kreiseigene Wohnungsbaugesellschaft fehlt immer noch. Auch hat es keinerlei Druck auf die Kommunen gegeben, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“

Geflüchtete nicht nur in Friedberg und Büdingen unterbringen

Hinzu komme, dass Flüchtlingsunterkünfte wieder aufgegeben wurden, nachdem ab 2016 die Flüchtlingszahlen zurückgingen. Da habe die Kreisspitze zu kurz gedacht. Und nun entstehe der Eindruck, dass der Kreis in Sachen Unterbringung von Flüchtlingen vor allem darauf setze, möglichst wenig Geld in die Hand zu nehmen.

Das Fazit von Hartmann und Dittrich: „Es ist jetzt festzustellen, dass der Kreis nicht rechtzeitig in Flächen und Gebäude investiert hat. Leidtragende sind die Flüchtlinge. Von den Zielen Willkommenskultur und Integration kann so keine Rede mehr sein.“

Schon im Mai 2022 habe die AG Flüchtlingshilfe die Kreisspitze darauf hingewiesen, dass in den Städten Büdingen und Friedberg die meisten Flüchtlinge untergebracht sind. Trotzdem werde daran festgehalten, weil es die einfachste und billigste Lösung zu sein scheine. In der Vergangenheit habe man Geflüchtete nach einem Verteilungsschlüssel in allen Städten und Gemeinden untergebracht, um größere Ansammlungen zu vermeiden. Das habe die soziale Infrastruktur vor einer Überlastung bewahrt und für eine bessere Akzeptanz in der Bevölkerung gesorgt. „ Wir (…) fordern die Kreisspitze auf, wieder eine Unterbringung nach einem Unterbringungsschlüssel in allen Städten und Gemeinden sicherzustellen.“

Ein Gedanke zu „Flüchtlinge“

  1. Die einstmals vorbildlichen Strukturen des Wetteraukreises für Geflüchtete, getragen von der „Flüchtlingshilfe“, mit dem Anspruch Wohnungen und Betreuung zu stellen, wurden aus finanziellen Erwägungen abgebaut. Schon damals ein Fehler und kurzsichtig gedacht.
    Nun Container am Recyclinghof! Eine Schande!

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