Flucht vor Faschismus

Das jüdische Ghetto von Shanghai

Von Ursula Wöll

Etwa 30PeterFinkelgruen-e1428597826259000 jüdische Deutsche konnten ab 1933 ins ferne Shanghai fliehen, weil man dort kein Visum benötigte. Unter ihnen waren die Eltern Peter Finkelgruens, der 1942 in Shanghai geboren wurde und nun am 6. Mai 2015 in Marburg über die damalige Situation der Flüchtlinge referiert. Vorher wird der Film „Unterwegs als sicherer Ort“ von Dietrich Schubert gezeigt.

Nur kurze Zeit unbehelligt

Der Termin gehört zur Reihe „Unsere Opfer zählen nicht – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“, die der Marburger Weltladen zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus veranstaltet. Mit dem Thema „Das jüdische Ghetto von Shanghai“ schlägt er eine Brücke zur Situation heutiger Flüchtlinge.

Der Vater, Hans Finkelgruen, konnte nicht ahnen, dass das ärmliche Leben in Shanghai ganz unbehelligt nur von kurzer Dauer war. Denn in der chinesischen Millionenstadt lebten auch deutsche Geschäftsleute, die sich auf Hitlers Seite schlugen. Im Jahr 1940 schlossen Nazi-Deutschland, das faschistische Italien und das aggressive Japan einen Dreimächtepakt. Bereits zuvor hatte Mussolini 1936 Äthiopien überfallen, war das kaiserliche Japan 1937 in China einmarschiert und hatte 1939 Hitler begonnen, Europa in Blut zu baden. Nach dem Abkommen arbeitete der Hitlersche Generalgouverneur Fischer daran, den japanischen Besatzern Antisemitismus beizubringen. Auf sein Drängen und das der ansässigen Deutschen wurde ein jüdisches Ghetto eingerichtet, in das um die 16000 Flüchtlinge gepfercht wurden. Deren Besitz wurde ‚arisiert‘. Hunger und Krankheiten grassierten, das kleine Viertel hatte bald vier Friedhöfe. „Hans. mein Vater, starb dort“, schreibt Finkelgruen in seinen Erinnerungen.

Antifaschistische Kämpfer aus den Kolonien

Wenn wir den 8. Mai als Tag der Befreiung feiern, denken wir meist nur an die europäischen Leiden und Verwüstungen im 2. Weltkrieg. Dass alle Kontinente vom Krieg betroffen waren, vernachlässigten bislang selbst die Historiker. Doch wäre die Befreiung vom Faschismus ohne die Millionen Kämpfer aus den Kolonien, die meist in die Armeen der Allierten gezwungen wurden, gar nicht möglich gewesen. Allein 2,5 Millionen Inder kämpften unter Churchill weltweit gegen die Invasoren, De Gaulles Befreiungsarmee bestand bis zu 65 % aus Afrikanern. Wie stark betroffen auch die Länder Schwarzafrikas waren, zeigt ein fast absurdes Faktum. Tausende aus dem kleinen westafrikanischen Gambia kämpften für die Engländer im Dschungel von Burma gegen die dort eingefallenen japanischen Soldaten. Nur wenige afrikanische oder asiatische Kolonisierte hatten sich aus Armut freiwillig gemeldet, die meisten wurden von ihren Kolonialherren schlicht eingefangen und an die Fronten verfrachtet.

Selbst die Aborigines, die ‚Ureinwohner‘ Australiens, entgingen diesem Schicksal nicht. Und auch ihnen, besser gesagt den Überlebenden, wurde nach Kriegsende 1945 nicht gedankt. Viele der Kämpfer aus den Kolonien hatten gehofft, dass ihnen nun mehr Freiheiten oder gar die Unabhängigkeit gewährt würden, aber sie wurden bitter enttäuscht. Der gängige Rassismus sorgte sogar dafür, dass sie weniger Rente als ihre ‚weißen‘ Mitkämpfer erhielten. Die Wurzeln der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt sind hier zu suchen. Ohne den bereits in der Armee erfahrenen Rassismus hätte etwa Franz Fanon, auf den Antillen geboren und freiwillig Soldat der französischen Befreiungsarmee, sein Buch ‚Die Verdammten dieser Erde‘ nicht geschrieben.

Um den europazentrierten Tunnelblick zu weiten, hat das Rheinische JournalistInnenbüro eine illustrierte Dokumentation mit dem Titel „Unsere Opfer zählen nicht – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ verfasst. Das penibel recherchierte, 444-seitige Buch ist für nur 7 Euro + Versand bei der Bundeszentrale für Politische Bildung (bestellungen@shop.bpb.de) erhältlich. Auf ihm basiert die Veranstaltungsreihe des Marburger Weltladens, die an einem weiteren Termin am 19. Mai über die 200 000 verschleppten Koreanerinnen informiert, die den japanischen Soldaten als Prostituierte dienen mussten.

Die Veranstaltung „Das jüdische Ghetto von Shanghai“ mit dem Film „Unterwegs als sicherer Ort“ findet am 6. Mai um 19 Uhr statt, und zwar im TTZ (Technologie- und Tagungszentrum) Softwarecenter 3 (Tel. 06421-205-160). Der Eintritt ist frei.

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