Issa Kassab wartet auf seine Familie
Von Klaus Nissen
Issa Kassab sah in Damaskus keine Zukunft mehr. 79 Tage brauchte er, um dem syrischen Bürgerkrieg zu Fuß zu entkommen. Am 2. Mai 2015 erzählte der Landbote seine Geschichte. Jetzt gibt es Neuigkeiten.
Flüchtling sucht Bleibe
Der 38-jährige Issa Kassab lebt seit Monaten in einem Vierbettzimmer in Nieder-Wöllstadt. Wie er in dieser Flüchtlingsunterkunft gelandet ist, berichtete der Landbote bereits am 2. Mai. Nachzulesen ist das hier.
Inzwischen hat sich einiges getan. Zwar wohnt der stille Agraringenieur aus einem Vorort von Damaskus noch immer in der Notunterkunft – doch das soll sich bald ändern. Seine Hoffnung ist gewachsen, noch in diesem Herbst Ehefrau Sara und die zweijährigen Zwillige Karam und Taim in die Arme zu schließen. Seit dem Frühsommer 2014 hat er sie nur noch auf dem Skype-Bildschirm seines Mobiltelefons gesehen. Issa Kassab sieht nun gute Chancen, dass die Deutsche Botschaft in Beirut seinen Angehörigen die Einreise nach Deutschland erlaubt. „Ab jetzt suche ich eine Wohnung“, sagt Issa. „Bitte helfen Sie mir, eine zu finden.“
Die Botschaft war unerreichbar
Jeden Tag telefoniert Issa Kassab mit seiner Frau. Er sitzt in seiner Flüchtlings-WG in Nieder-Wöllstadt, sie in Damaskus. Per Skype und Wlan-Netz, das die Hausbewohner gemeinsam finanzieren, kann der Familienvater über seine Fortschritte beim Deutschunterricht berichten. Und muss sich dann hilflos anhören, in welcher prekären Lage seine Frau und die beiden Jungen sind. Sie ziehen in Damaskus von einem Freund zum nächsten, kommen als Gäste bei Verwandten unter. Nur jeweils für einige Tage können sie bleiben, damit das beengte Zusammenwohnen nicht zu Konflikten führt. Das Geld ist extrem knapp, sagt Issa Kassab. Seine Frau und Kinder gehören zu den etwa 7,6 Millionen Binnen-Flüchtlingen, die zwar in Syrien leben, wegen des Krieges aber nicht mehr in der eigenen Wohnung bleiben können. Schon deshalb will Issa seine 25-jährige Frau und die Zwillinge so schnell wie möglich nach Deutschland holen. So ein Familiennachzug ist juristisch möglich. Aber extrem schwierig.
Damit Sara,und ihre Jungs Karam und Taim nach Deutschland reisen können, brauchen sie nämlich ein Visum. Das gibt es aber nicht in Damaskus, weil die deutsche Botschaft im umkämpften Rest-Reich des Diktators Assad seit 2012 geschlossen ist. Die zuständige Visa-Abteilung steht in der 150 Kilometer entfernten Botschaft in Beirut, der Hauptstadt des Libanon. Wer dort hinreisen will, muss mehrere Stunden Wartezeit an der Grenze und vor allem diverse Papiere vorweisen. Denn der Libanon ist nicht erpicht auf Syrer, die im kleinen Land am Mittelmeer womöglich Schutz suchen. Etwa jeder dritte der rund vier Millionen aus Syrien geflohenen Menschen lebt nun im Libanon, meldet die UN-Flüchtlingshilfe-Organisation UNHCR. Sara, Karam und Taim sind in Beirut also nicht willkommen.
Keine Chance auf einen Termin
In der deutschen Botschaft im Beiruter Maghzal-Building zunächst ebenfalls nicht. „Seit Februar versuchte ich, da für meine Frau einen Termin zu bekommen“, berichtet Issa. Keine Chance. Denn die Termine zur persönlichen Abgabe eines Visumantrages kann man nur per Internet über das Programm „RK-Termin“ beantragen, das in vielen deutschen Auslandsvertretungen angewandt wird. Täglich rief Issa die Webseite mit seinem Mobiltelefon auf – doch stets bekam er die Meldung: „Es sind derzeit keine Termine verfügbar.“ „Ich habe angerufen und Faxe geschickt“ erzählt der Syrien-Flüchtling. Doch auf diesen Kanälen kommunizierte die Botschaft nicht mit Leuten, die ihre Familie nach Deutschland holen wollen.
Dieses Problem plagt nicht nur Issa Kassab, sondern viele tausend Menschen. Hacker hätten sich die Visa-Termine sofort nach der Freischaltung gesichert und sie dann für 100 bis 5000 Dollar verkauft, berichteten „Die Welt“, der „Spiegel“ und andere deutsche Medien bereits im April 2014. Das Auswärtige Amt und die Bundespolizei forschten nach und meldeten schließlich: Keine Angehörigen des Diplomatischen Dienstes seien in den Handel mit Visum-Terminen verwickelt.
Das ist tröstlich, hilft den Flüchtlingen aber nicht. Bis vor wenigen Wochen blieb die Botschaft in Beirut für Visums-Anwärter nahezu unerreichbar. Obwohl die Grünen-Fraktion die Misere im Bundestag zur Sprache brachte. Im Antrag Nummer 18/3154 forderten Katrin Göring-Eckardt und andere Grünen-Abgeordneten zusätzliche Stellen für die deutsche Botschaft in Erbil, Kairo, Beirut und anderen Nachbarländern Syriens, damit die Visum-Anträge von bedrängten Syrern zügiger bearbeitet werden können. Der Bundestag lehnte das Ende April mit den Stimmen von CDU/CSU und der SPD ab.
Visa-Antrag wird bearbeitet
Für Issa Kassab und seine Frau Sara geht die Geschichte vielleicht trotzdem gut aus. Ende April richtete die deutsche Botschaft in Beirut eine Mail-Adresse ein, an die Sara all jene Dokumente schicken konnte, die sie für ein Visum braucht. So reiste die junge Frau mit den Kleinkindern am 24. Juni zur Abgabe ihrer Fingerabdrücke nach Damaskus – und kein Dokument fehlte. Der Visa-Antrag für die Mutter und ihre Zwillinge werde nun bearbeitet; das dauere schon mal drei Monate, beschied die Botschaft der Ehefrau. „Vielleicht sehe ich sie Ende August oder im September endlich wieder“, hofft der im 3825 Kilometer entfernten Wöllstadt sitzende Familienvater. Die Botschaft werde seine Sara in Damaskus anrufen, sobald sie die Visa gegen eine Gebühr von 120 Euro abholen kann. Wenn dann auch die Ausländerbehörde des Wetteraukreises grünes Licht gibt, muss Faruk Malki noch etwa 400 Euro für die Flugtickets auftreiben. Er hat Hoffnung: „Ich suche mir eine Arbeit und eine Wohnung, in der wir Vier zusammen leben können.“ Am liebsten möchte er nach Friedberg ziehen, auch weil er da an der Volkshochschule noch bis zum nächsten April intensiv Deutsch lernt. In den gerade angefangenen Sommerferien geht er nun auf Wohnungssuche. Issa weiß, dass es nicht einfach wird: Wohnungen sind in der Kreisstadt begehrt. Die Vermieter warten nicht auf ihn, auch wenn die Mietzahlungen vorerst garantiert sind. Wer einen Tipp hat, kann sich gern beim Landboten melden.
Am 21. Juli berichtete auch die Frankfurter Rundschau übe das Schicksal der Familie. Hier kann man den Artikel nachlesen. Noch am selben Tag meldeten sich Leserinnen, die Issa konkrete Hilfe anboten. Auch das hat dem stillen Agraringenieur eine gute Meinung von diesem fremden Land gegeben.
Drei Schichten in der Botschaft
Das Personal der Visastelle in Beirut sei mittlerweile fast verdreifacht worden, sagt inzwischen ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Jetzt „werden Schalter auch im Schichtbetrieb besetzt und am Wochenende geöffnet“. Das sei notwendig, denn vor dem syrischen Bürgerkrieg stellte die Botschaft in Beirut rund 6500 Visa pro Jahr aus – jetzt beinahe fünfmal so viele. Auch in Ankara, Istanbul und Izmir sei das Personal der Botschaften verstärkt worden, berichtet der Außenamts-Sprecher. Und für das laufende Haushaltsjahr habe der Bundestag gerade 30 zusätzliche Stellen für die Visastellen genehmigt.
Trotzdem gibt es bis heute immer noch zu wenige Termine für Visums-Antragsteller. Wer das Programm aufruft, erhält die Meldung: „Es sind derzeit keine Termine verfügbar“. Auch nicht im nächsten Monat. Oder im nächsten Jahr. Das liege nicht am Schlendrian in den Botschaften, meint die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg: „Sie tun mehr als ihr Bestes.“ Trotzdem habe zum Beispiel die deutsche Botschaft in Ankara bis Mitte 2016 keine freien Termine mehr für Visa-Antragsteller aus Syrien, die zu ihren Angehörigen nach Deutschland reisen wollen. Agenturen, die die Reise nach Europa als Komplettpaket anbieten, haben offenbar die Botschaftstermine gekapert und verkaufen sie nun mit Aufpreis an die Fluchtwilligen.
Wer Flüchtlingen in der Wetterau konkret helfen will, findet Kontakte auf der Webseite des Internationalen Zentrums in Friedberg.