Windpark Winterstein

Dem Bündnis geht es zu langsam voran

Jeder weitere Tag ohne einen Windpark auf dem Winterstein kostet die Kommunen und Bürger gut 50 000 Euro. Das rechnete der BUND-Vorstand Werner Neumann am 4. Juni 2023 beim Gipfeltreffen am Steinkopf-Fernsehturm vor. Knapp 100 Menschen nahmen am schweißtreibenden Sternmarsch teil. Auf 518 Metern Seehöhe nannten die Experten Details zu den 18 möglichen Windmasten. Sie drängten die Bürgermeister zur Eile – und warnten sie vor einem verführerischen Angebot.

Bis zu 18 Masten für den Windpark Winterstein

Nicht jeder hat genug Lust und Energie, bei 28 Grad Celsius bergauf zu laufen. Ober Mörlens Bürgermeisterin Kristina Paulenz (77) hatte die Einladung zum Gipfeltreffen am künftigen Windpark Winterstein höflich ausgeschlagen, berichtete Organisator Hans-Dieter Wagner. Ebenso ihre viel jüngeren Kollegen Dirk Antkowiak aus Friedberg, Steffen Maar aus Rosbach und Gregor Sommer aus Wehrheim.

Vor allem ältere, sportliche Menschen beteiligten sich am Bergmarsch und Gipfeltreffen auf dem Steinkopf. Dort sollen rund um den Fernsehturm bald bis zu 18 Masten und Rotoren montiert werden. Es müsse endlich losgehen, forderten die Demonstranten. Foto: Nissen

Dennoch wanderten und radelten am ersten Juni-Sonntag fast hundert Menschen aus vier Richtungen auf den Berg. Einer kam sogar im Rollstuhl. Und fast alle waren älter als 50 Jahre. Was manchen wunderte, denn der schnelle Bau des Winterstein-Windparks dürfte vor allem im Interesse junger Menschen sein, die den Klimawandel noch ausbaden müssen. Einige von ihnen in bunten Trikots stießen zufällig auf die Pro-Windkraft-Demo. Und radelten bald bergab. Nicht ohne zu motzen, dass die alten Leutchen beim Aufstieg über den Mountainbike-Trail ihr Leben riskierten.

Refrain: „Hier steht bald ein Windpark

Neben dem Tor zum Fernsehturm hatte das aus 30 Organisationen bestehende Winterstein-Bündnis Lautsprecher und ein rotes Zeltdach montiert. Darunter empfing der Barde Jürgen Wagner die Ankömmlinge: „Weizen, Rüben, Raps, Kartoffeln und viel mehr, die wachsen alle hier. Unser Äppel sin e Pracht, deshalb ham wir uns gedacht: Wenn das alles so gut klappt, wird auch der Strom selbst gemacht!“ Den Refrain „Hier steht bald ein Windpark“ sangen alle mit. Melodisch machte man dabei Anleihen an den Gassenhauer „We will rock You!“

Jürgen Wagner oben und Martin Schnur (unten) spielten eigens für das Gipfeltreffen komponierte Songs. Wagner ließ das Publikum rocken. Schnur sang : „De beste Windpark – des is wirklisch wahr – gibt’s hier bei uus in de Werreraa“. Für den dazu passenden schnellen Flamenco-Rhythmus montierte er einen Schlagsahne-Handquirl mit Plastikfingern an seine Gitarre. Foto: Nissen

Es ist höchste Zeit, meinten die zahlreichen Rednerinnen und Redner. Schon seit zehn Jahren wird über den Windpark debattiert, erinnerte Hans-Dieter Wagner. Hier könne man Millionen Kilowattstunden erneuerbarer Energie ernten. Trotzdem hätten die Besitzer-Gemeinden das Projekt bis zum Beginn des Ukraine-Krieges blockiert.

Das ist vorbei, bekannte der Friedberger SPD-Fraktionschef Klaus Dieter Rack. „Wir waren etwas zögerlich. Aber dann war absolut klar: Der Hebel muss rumgelegt werden, und zwar ziemlich zügig.“ Das meinte auch der Wetterauer SPD-Landtagskandidat Matthias Körner.

Den Kommunen liegen laut Rack drei Angebote von Windpark-Erbauern vor. Ihre Konzepte müssten auch für Laien verständlich erläutert werden, forderte Rack. Der Grünen-Fraktionschef und Bürgermeisterkandidat Markus Fenske meinte: Die Bürger der Region müssen sich an den Anlagen über Genossenschaften beteiligen können.

Ovag würde gerne bauen und die Masten betreiben

Beim Gipfeltreffen sprach auch der Ovag-Vorstandschef Joachim Arnold. Die Ovag hat sich bislang vergeblich um den Bau des Windparks beworben. Die Bürgermeister verhandelten mit dem regionalen Stromversorger – doch momentan scheinen sie ihm die kalte Schulter zu zeigen.

Ovag-Vorstandschef Joachim Arnold.

Das könnte am verführerischen Angebot des gewerblichen Windparkbetreibers Abo Wind liegen. Der verspricht den Kommunen laut Diethardt Stamm vom Energiebildungsverein hohe Pachten. Abo Wind habe mindestens 450 000 Euro pro Jahr und Windmast versprochen. Doch die weiteren 65 Prozent des Ertrags würden dann aus der Region abfließen, meinte Stamm.

In diese Kerbe schlug auch Ovag-Chef Arnold. Er warnte: Eine hohe Pacht für die Windkraft-Grundstücke könne die Anlagen unwirtschaftlich machen. „Wir garantieren, dass wir mit der Planung sofort anfangen würden.“ Der kreiseigene Versorgungsbetrieb würde die Masten auf eigenes Risiko bauen und mindestens 25 Jahre lang betreiben. Die Hälfte des Ertrages würde investierenden Bürgern, Kommunen und Genossenschaften aus der Region zufließen. Die andere Hälfte ginge an die Ovag, die damit auch den regionalen Busverkehr subventioniere.

Wenn denn die vier Städte und Gemeinden endlich den Windpark-Bau in Angriff nähmen. Laut Markus Fenske erarbeiten die Bürgermeister gerade eine gemeinsame Beschlussvorlage dazu – Details wollen sie aber nicht verraten.

„Jeder Tag ohne Windpark kostet mindestens 50 000 Euro“

An jedem Tag ohne Winterstein-Windpark entgehen der Region mindestens 50 000 Euro, rechnete Werner Neumann vom BUND vor. Die Summe verdoppele sich sogar, wenn man den Schaden durch den unnötigen CO2-Ausstoß durch Kohlestrom hinzu rechne. Zehn Windräder mit 100 Millionen Kilowattstunden Leistung würden jährlich 80 000 Tonnen Kohlendioxid vermeiden. In der Wetterau würdenj jährlich etwa drei Millionen Tonnen Kohlendioxid emittiert. Laut Umweltbundesamt bedeute das einen Schaden in Höhe von 600 Millionen Euro.

Die Karte des Winterstein-Bündnisses zeigt die Anteile der Anliegergemeinden am Windenerge-Vorranggebiet. Die runden Symbole deuten an, wo bis zu 18 Rotormasten rund um den Steinkopf-Fernsehturm aufgerichtet werden können. Repro: Nissen

Andererseits würde die Region beim Betrieb von zehn Windkraftanlagen rund zwei Millionen Euro an Pacht pro Jahr einnehmen. Durch günstige Stromlieferungen in die Kommunen gäbe es laut Neumann einen weiteren Vorteil in Höhe von einer Million pro Jahr. „Und es könnten noch etwa zwei Millionen Euro Rendite für diejenigen rausspringen, die die Anlagen finanzieren.“ Aus der Sicht des Winterstein-Bündnisses müssten das die örtlichen Bürger, Genossenschaften, Kummunen, Banken und Sparkassen sein.

So steht es um den Windpark

In dem von Dürren und Stürmen gezeichneten Wald des Wintersteins stehen 414 Hektar laut „Teilplan Erneuerbare Energien“ für den Bau von Windkraftanlagen zur Verfügung. Das Gelände zwischen der Kapersburg und dem Wintersteinturm ist komplett in staatlichem Besitz. Vergeblich blieben die Appelle des Winterstein-Bündnisses, den Bau der bis zu 18 Anlagen gemeinsam auszuschreiben. Im Frühjahr erteilte der Hessenforst der Firma Abo Wind den Zuschlag für fünf Rotoren. Die Kommunen Friedberg, Rosbach, Ober-Mörlen und Wehrheim haben noch keine Beschlüsse gefasst, wie, wann und mit wem sie Windgeneratoren bauen wollen.

Sie müssen dabei die Anwohner beteiligen und sich beeilen, fordert das Winterstein-Bündnis. Nach dem Windenergie-Beschleunigungsgesetz müssen die Anträge bis Juni 2024 eingereicht sein, so Werner Neumann. Dann könnten sie nach dem neuen Windenergie-Beschleunigungsgesetz ohne naturschutzrechtlicheDetailprüfung genehmigt werden.

Al-Wazir sieht Fortschritte bei Windkraftnutzung in Hessen
Diee Energiewende in Hessen gewinnt an Tempo, meldete der Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir in der ersten Juniwoche 2023. Allein in den ersten vier Monaten 2023 wurden in Hessen 12 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 64,3 MW in Betrieb genommen, Stilllegungen gab es keine. „Damit wurde in diesem Jahr bereits jetzt so viel Leistung an Windenergie zugebaut wie im gesamten Jahr 2022“, so Al-Wazir.
Derzeit seien weitere 59 Anlagen mit 279 MW Leistung bereits genehmigt, aber noch nicht in Betrieb. Bei diesen Anlagen ist keine Klage anhängig. Weitere 64 Anlagen sind genehmigt, aber beklagt – würden sie sich drehen, könnte man alleine mit diesen Anlagen eine Stadt wie Wiesbaden mit Strom versorgen.
Noch bemerkenswerter findet Al-Wazir die Zahl der beantragten Windenergieanlagen, die sich im Verfahren befinden. Es seien 302 Anlagen mit einer Leistung von 1.653,4 MW.  Die 18 Winterstein-Masten gehören noch nicht dazu.
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert