Rote Zungen und blaues Gestein
Von Corinna Willführ
Das größte Vulkanmassiv Mitteleuropas ist der Vogelsberg. Auch wenn seine Schlote längst erstarrt sind, bieten sie Überraschungen. Geologen haben markante Reste der Eruptionen gefunden. So wurde der Vogelsberg 2020 zum Geotop des Jahres.Neues vom Vogelsberg-Vulkan
Der zum Vogelsberg-Massiv gehörende Glauberg im Wetteraukreis ist weit über die Landesgrenzen bekannt, weil es dort die Keltenwelt gibt. Zu dieser gehören ein Museum mit einzigartigen rund 2500 Jahre alten Funden keltischer Kultur, ein Archäologischer Park und eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung. Ein Kulturpfad führt auch auf das Plateau des Tafelbergs. Dort sind Siedlungsreste aus dem Mittelalter vorhanden. Und dann gibt es noch den Steinbruch, der jetzt von der Vulkanologischen Gesellschaft, Sektion Vogelsberg, als „Geotop des Jahres 2020“ ausgezeichnet wurde.
„Feuerspuckende Berge“ wie etwa in Italien, auf Hawaii oder in Island gibt es im Vogelsberg nicht mehr. Dafür das mit rund 2400 Quadratkilometer größte Vulkangebiet in Mitteleuropa. Der Schildvulkan ähnelt dem ganz oben gezeigten Skjaldbreidur auf Island. Die Aktivität des Vogelsbergvulkans reicht 19 bis 15 Millionen Jahre zurück. Die Zahl der Schlote, aus denen die Lava von den Höhen des heutigen Mittelgebirges bis nach Frankfurt floss, wird auf mehrere Hundert geschätzt. „Es könnten aber auch Tausende sein“, erklärt Kerstin Bär.
Kerstin Bär ist Vorsitzende der Deutschen Vulkanologischen Gesellschaft, Sektion Vogelsberg. Mit einem Team, dem die Vermittlung der Millionen Jahre zurückliegenden Erdgeschichte für ein breites Publikum am Herzen liegt, hatte sie für den „Tag des Geotops 2020“ im September 2020 neun Wanderungen zu Fuß oder per Pedale zu Themen rund um den Vulkanismus in der Region vorbereitet. Aufgrund der Vorgaben für Veranstaltungen in Corona-Zeiten war die Teilnehmerzahl pro Termin auf 15 begrenzt. Erfreulich für die DVG-Sektion: 130 Wissbegierige ließen sich etwa über Zusammenhänge zwischen Geologie und Kulturgeschichte, den versteinerten Fluss und die Erdgeschichte bei Stockheim oder „Flora und Fauna – Leben auf der Kalkschuttbuckelwiese“ informieren. Besonders spannend: „Die Lavaströme am Glauberg“. Es sind derer Drei. Bär: „Am Glauberg ist der einzige Ort, an dem in Mitteleuropa dünnflüssige Lavaströme öffentlich zugänglich und mit einer Info-Tafel beschrieben zu finden sind.“
Basalt – der blaue Stein
40 Höhenmeter sind vom Museum der Keltenwelt bis zum Plateau des Tafelbergs zu überwinden. Etwa auf halber Strecke liegt er rechts des Weges, unübersehbar, doch meist wenig beachtet: Der kleine Steinbruch am Glauberg. Dort lassen sich Relikte der drei Lavaströme nachweisen. Vor Millionen von Jahren bahnten sie sich ihren Weg durch die Landschaft. „Da sie dünnflüssig waren, sind diese Lavaströme sehr weit geflossen, bis dorthin, wo heute Hanau oder Frankfurt liegen. Ob auch die Glauberger Lavaströme es bis dorthin geschafft haben und woher sie genau kamen, ist nicht klar.“
Unbestritten ist indes, wie Walter Gasche, DVG-Führer zu Zusammenhängen zwischen Geologie und Kulturgeschichte, berichten konnte, dass der durch Gesteinsschmelze erstarrte porenreiche Basalt aus dem Vogelsberg während des U-Bahn-Baus in der Mainmetropole manch Problem verursachte. Wer aufmerksam durch den Stadtteil Bockenheim geht, findet bis heute dort einen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen dem Vulkangebiet und der Stadt: die Basaltstraße.
Der Basalt, Gestein des Jahres 2009, ist ein „dunkles Gestein, das durch Vulkanismus gebildet wird“. Man kennt ihn auch als „blauen Stein“. Seine Kennzeichen: Er ist sehr schwer, sehr dicht, meist grau bis schwarz. Als Baumaterial findet er sich an vielen Gebäuden, wie DVG-Mitglied Gasche, zugleich Natur- und Kulturführer des Wetteraukreises und Museumsführer in der Keltenwelt erklärt: etwa an der Ruine der Münzenburg in der Wetterau, der Evangelischen Kirche in Schotten-Wingershausen, dem Museum Vorwerk in Ulrichstein. Aber auch als Schotter in Gleisbetten oder verbaut als Pflastersteine etwa in den Straßen der Ortenberger Altstadt.
An keinem dieser Orte kann man indes wie im Glauberger Steinbruch die Vielfalt erkennen, die der Basalt, entstanden durch ein teilweises Aufschmelzen des Erdmantels, ausgebildet hat. „In den jungen Vulkanfeldern Mitteleuropas gibt es solche dünnflüssige Lavaströme eher selten. Im Bereich des Vogelsbergs und hier am Glauberg findet man die besten Aufschlüsse, die öffentlich zugänglich sind“, erläutert Kerstin Bär.
Backöfen aus Stricklava
Es sind kleine, runde Dellen im Gestein, die den Teilnehmern des Rundgangs als erstes auffallen. Über Kopfhöhe sind sie kleiner, in Hockestellung größer. Die runden Poren sind durch das Entgasen der Lava entstanden. „Das Material ist hervorragend für den Backofenbau geeignet. Einst wurde es auch als Mühlstein genutzt, um Getreide zu mahlen.“ Gut zu erkennen in der Wand sind auch Falten, die an eine Puddinghaut erinnern und manchmal Formen bilden, die an Stricke erinnern. Weshalb man sie auch Stricklava nennt.
Viele Stunden haben Werner Erk, die Mitglieder des Heimat- und Geschichtsvereins Glauburg und Mitarbeiter des Bauhofs der Gemeinde vor dem „Tag des Geotops“ in dem Steinbruch zugebracht, um dessen „Fassade“ zu reinigen. Und haben dabei Unerwartetes zu Tage gefördert: sogenannte schaumige Röhren, versteinerte Gasblasen in Schmelze. Bär: „Die sind in Europa nur selten zu finden.“ Fällt es dem Laien eher schwer, die „schaumigen Röhren“ ohne kundigen Rat zu entdecken, fällt ihm eine besondere Struktur durch ihre rote Farbe auf jeden Fall ins Auge: eine sich horizontal über fast einen Meter hinziehende Lavazunge.
Auch wenn es sie im Vogelsberg nicht gibt, taucht die Frage nach der Entstehung von Maaren auf. Kerstin Bär erklärt: „Wenn die über 1000 Grad heiße Basaltmagma auf Wasser trifft, kommt es zu einer Wasserdampfexplosion. Das Ergebnis sind Vulkanausbrüche, die tiefe Sprengtrichter in der Landschaft hinterlassen.“ Ist denn Tuff nicht auch vulkanischen Ursprungs? „Die Vielfalt der Vulkangesteine zeigt zwei Hauptgruppen: dichte, harte Gesteine, die ohne explosive Ausbrüche gebildet werden, und solche, die explosiv durch Auswurf von Material entstehen. Diese nennt man pyroklastische Gesteine, was so viel bedeutet wie „durch Feuer zerbrochen“. Dazu gehört auch der Tuff, in 2011 „Gestein des Jahres“. Im Vogelsberg sind die Schichten aus verfestigter Asche wichtig für den natürlichen Wasserhaushalt.
Eine neue Sicht auf den Vogelsberg
Für einen Gast der Gruppe aus dem Allgäu, selbst Mitglied in der DVG, war der erste Eindruck vom Vogelsberg als Vulkan „Eher enttäuschend. Ich habe den feuerspeienden Kegel gesucht. Ein Erlebnis wie auf dem Stromboli oder auf den Liparischen Inseln in Italien.“ Nach einem Besuch im Vulkaneum in Schotten, einer Wanderung zur Basaltformation des Bilstein (nahe des Hoherodskopfs) tags zuvor und letztendlich der Teilnahme an zwei Wanderungen am „Tag des Geotops“ lautet seine Bilanz: „Ich habe viele unerwartete Erkenntnisse gewonnen und mein Blick auf den Vogelsberg hat sich komplett verändert.“ Eine Teilnehmerin aus dem benachbarten Main-Kinzig-Kreis ergänzt: „Durch die Führungen habe ich die Vielfalt, die in dem Gestein Basalt steckt, kennen gelernt. Ich werde jetzt viel aufmerksamer sein für diese Zeugnisse aus der Erdgeschichte, die sich in der Region finden lassen.“
Kerstin Bär ist überzeugt, dass die freigelegten „schaumigen Röhren“ im Glauberger Steinbruch auf großes Interesse bei Geologen treffen werden. Und „im Kleinen“, das die Vulkanologische Gesellschaft immer mehr Menschen für ihre Arbeit begeistern kann. Ob als Teilnehmer einer Wanderung, einer Exkursion oder als Mitglieder.
Der nächste „Tag des Geotops“ findet am dritten Sonntag im September 2021 in Hungen-Langd statt. Die Wanderausstellung der Sektion „Wo gibt’s denn hier Vulkane – Spurensuche im Vogelsberg“ ist bis Ende November 2020 im Spital in Grünberg zu sehen. Näheres zu der 2007 gegründeten DVG-Sektion Vogelsberg (aktuell circa 140 Mitglieder) und Fotos vom „Tag des Geotops“ unter
Ein informatiiver Bericht. Interessanterweise war ich genau eine Woche nach seiner Veröffentlichung am Glauberg.