Stadttheater Gießen

Neues Team geht auf Publikum zu

Ab September 2022 leitet Simone Sterr die Geschicke des Stadttheaters Gießen mit einem neuen Team. Gemeinsam haben sie ihre Pläne für das Mehrspartenhaus in einer Pressekonferenz vorgestellt. Auf das Publikum warten ab der Saison 2022/2023 neue Formate, neue Gesichter, feste Ensembles in allen Sparten sowie ein globaler und politischer Spielplan, der geprägt wird durch viel Zeitgenössisches und zahlreiche Uraufführungen.

Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher eröffnete die Pressekonferenz auf der Probebühne, hob das Stadttheater als „Strahlpunkt unserer Stadt“ hervor und begrüßte die „künstlerische Energie“, mit der das neue Team Neugier und Erwartungen wecke: „Ich freue mich auf elektrisierende Zeiten,“ berichtet die Pressestelle des Stadttheaters.

Bei der Vorstellung des neuen Teams und Programms: von links: Constantin Hochkeppel (Künstlerischer Leiter Tanz), Ayșe Güvendiren (Leiterin der „Spielzeit der Erinnerungskultur“), Mathilde Lehmann (Künstlerische Leiterin Junges Theater), Sebastian Songin (Theaterpädagoge), Simone Sterr (Intendantin und Künstlerische Leitung Schauspiel), Lena Meyerhoff (Dramaturgin Schauspiel), Ann-Christine Mecke (Künstlerische Leiterin Musiktheater), Tim Kahn (Dramaturg Schauspiel), Andreas Schüller (Generalmusikdirektor). (Foto: Copyright: Oliver Schepp)

Demokratische Teamarbeit steht obenan

Die designierte Intendantin Simone Sterr beschrieb ihre Vision des Theaters als demokratische Teamarbeit, als „Ort der vielen Stimmen“, subversiv und frei von politischen Ansichten, geprägt von eigenwilligen Persönlichkeiten: „Wir alle haben Lust, unbequem zu sein und mitzugestalten.“ Mit einem internationalen Spielplan und vielstimmigen, unterschiedlichen und charakterstarken Ensembles soll die Gegenwart verdichtet und der Blick auf lokale wie globale Phänomene geschärft werden: „Das Theater erzählt von der Brüchigkeit der Welt, weiß sie im Höchstfall zu beschreiben, nie aber zu erklären.“

Was das neue Logo symbolisiert

Das neue Logo

Dies spiegelt sich auch im neuen Logo des Theaters wider: Über dem in drei Worten gesetzten Schriftzug „Stadt Theater Gießen“ kringeln sich verschlungene Linien. Sie sind eine grafische Umsetzung von Begriffen, die ein Algorithmus generiert, mit denen die feste Größe „Stadttheater“ immer wieder neu überschrieben werden kann: „Damit drückt sich unser Verständnis von Theater aus als verlässlicher fixer Ort, der beweglich ist, dem man immer wieder neu begegnen kann, der offen ist, Themen aufnimmt und aussendet, der stetig ist und sich stets verändert“, so Sterr.

Überraschungen im Programm

Schon mit der Spielzeiteröffnung möchte das neue Team eine Menge bewegen und Perspektiven wechseln. Für „Posthuman Journey“ von Pa To Yan (Premiere: 30. September 2022) wird die Grenze zwischen Bühnen- und Zuschauer:innenraum gänzlich aufgehoben. Regisseur Thomas Krupa, Choreograph Raphael Hillebrand und der Komponist Hannes Strobl erarbeiten diesen Ritt durch Mythen der Vergangenheit hin zu abgefahrenen Zukunftsvisionen gemeinsam mit allen Sparten. Als Uraufführung werden die drei in Frankfurt, Saarbrücken und Mannheim bereits einzeln aufgeführten Teile über das Ringen um Demokratie zum ersten Mal als Trilogie gezeigt.

Junges Thater stellte sich vor

Als erste Sparte präsentierte das Junge Theater seine Pläne. „Das hat es noch nie gegeben“, betonte Theaterpädagoge Sebastian Songin diese Aufwertung, die sich auch in einem festen, dreiköpfigen Ensemble ausdrückt. Seine Stelle ist neu geschaffen, um mit Workshops und Kooperationen vielfältige Möglichkeiten für junge Menschen anzubieten, sich auf und hinter der Bühne einzubringen und „die Kinder zur Revolte zu erziehen“.

Mathilde Lehmann stellte als Künstlerische Leitung des Jungen Theaters eine Reihe von Produktionen vor, darunter Autor:innenaufträge wie „Luft nach oben“ von Fabienne Dür über Klassismus und die eigene Entscheidungshoheit auf dem Bildungsweg. Auch das junge Publikum wird eine spartenübergreifende Produktion erleben: In „Ente, Tod und Tulpe“ von Leopold Dick setzen sich Musiktheater, Tanz, Performance und Schauspiel mit der Frage nach dem Tod auseinander, ganz ohne Sprache und Gesang. Als Familienstück ist ab November Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ im Großen Haus zu erleben.

Musiktheater mit vielen Highlights

Auch den Spielplan des Musiktheaters prägt ein deutliches Bekenntnis zu zeitgenössischen Stücken. Insgesamt konnte die Künstlerische Leiterin Ann-Christine Mecke vier Opern vorstellen, die in den letzten 25 Jahren entstanden sind, wie Gordon Kampes „Gefährliche Operette“ im Großen Haus oder Thierry Tiedrows „Prothesen der Autonomie“ und Christofer Elghs „Valerie’s Voice“ im Kleinen Haus.

Das Publikum darf sich auch auf bekannte Namen und Stücke freuen: Mozarts „La clemenza di Tito“, Puccinis „Tosca“ und Brittens „Ein Sommernachtstraum“ komplettieren den Spielplan, der als Besonderheit mit der deutschen szenischen Erstaufführung von Donizettis „Caterina Cornaro“ aufwartet. Drei der vier Belcanto-Hauptrollen können aus dem Ensemble besetzt werden, das auf sechs fest engagierte Sänger:innen erweitert wird.

„Previews“ vor Konzerten machen neugierig

Andreas Schüller gibt seinen Einstand als Generalmusikdirektor im 1. Sinfoniekonzert u.a. mit Richard Strauss’ „Till Eulenspiegels lustige Streiche“. Zu den gewohnten Sinfonie-, Kammer- und Chorkonzerten gesellt sich eine neue Reihe, die sich auch an all jene richtet, die „zu viel Ehrfurcht vor dem Besuch ganzer Sinfoniekonzerte“ abhalten: Diese „Previews“ werden immer am Dienstagabend vor jedem Sinfonie- und Chorkonzert im Großen Haus Neugier auf die Konzerte wecken, mit etwas kürzerem Programm, dafür mit Moderation, Überraschungen und Gesprächen. Im Anschluss wird das Foyer zur Lounge mit klassischer Musik und kühlen Getränken.

Aufgrund der hohen Nachfrage kündigte Schüller an, das beliebte Neujahrskonzert künftig zweimal aufzuführen. Auch für das junge Publikum wird es weiterhin spannende Konzertformate geben. Stellvertretender Generalmusikdirektor und 1. Kapellmeister wird Vladimir Yaskorski, Dramaturgin für Musiktheater und Konzert wird die Autorin und Dozentin Daniele Daude.

Tanztheater bietet so viele Chancen

Constantin Hochkeppel als neuer Künstlerischer Leiter der Tanzsparte freut sich darauf, das Physical Theatre in Gießen zu etablieren, einer Kombination aus tänzerischen und theatralen Mitteln. Die Ensemblemitglieder versteht er als Performer:innen, die im Schaffensprozess kollaborativ an der Entwicklung teilhaben. Er selbst wird zwei Stücke choreographieren über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft sowie den fünf Phasen der Trauer.

Das Engagement der argentinischen Choreographin Paula Rosolen, die in Frankfurt und Gießen studierte und mit dem Ensemble der Tanzcompany Gießen „Ein neues Stück“ einstudiert, werde ein eindeutiges Zeichen an die hiesige Szene senden: „Wir sind da und offen für euch. Lasst uns gemeinsam entdecken, was Tanz alles sein kann“, so Hochkeppel, der auch mit Ausbildungseinrichtungen vor Ort zusammenarbeiten möchte, gemeinsam mit Caroline Rohmer als stellvertretender Künstlerischer Leiterin und Dramaturgin. Als neues Einführungsformat machte Hochkeppel Lust auf die „Physical Introductions“, die es dem Publikum ohne Vorkenntnisse ermöglichen sollen, die Stücke auf physischer Ebene durch eigenes Ausprobieren von Bewegungselementen zu erleben.

Auch „Dantons Tod“ von Georg Büchner zu erleben

„Demokratie muss man üben“ – Unter dieses Motto stellte Simone Sterr, die das Schauspiel leitet, den konsequent zeitgenössischen Spielplan der Sparte. Dramaturgin Lena Meyerhoff betonte die Wichtigkeit eines nicht-kanonischen Spielplans für den Blick auf die Gegenwart und die gestellte Aufgabe, sich mit autoritären Unterdrückungsmechanismen auseinanderzusetzen. Ihr Kollege Tim Kahn schlug den Bogen von Georg Büchners „Dantons Tod“, dem einzigen Klassiker im Programm, dem sich der türkisch-deutsche Regisseur Caner Akdeniz im Großen Haus widmet, bis zu „Der Staat Gegen Fritz Bauer“ nach dem Film von Lars Kraume über den Wegbereiter der Frankfurter Ausschwitzprozesse. Ebenso wie „Mais In Deutschland“ von Olivia Wenzel „werfen wir aus unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf den Zustand von Demokratien, der dieser Tage von tiefen Rissen aber auch großer Zuversicht begleitet wird“, so Kahn.

Spielzeit der Erinnerungskultur

Die Regisseurin und Autorin Ayşe Güvendiren wird sich in einer „Spielzeit der Erinnerungskultur“ mit mehreren Aktionen, Diskursen und inszenatorischen Aufschlägen mit dem Erinnern beschäftigen und einen Bogen schlagen von den NS-Verbrechen der Vergangenheit in die schmerzhafte Gegenwart rechter Gesinnung und rechter Anschläge, nach Mölln, Hanau, zur Frankfurter Polizei und zum NSU. Mit „Erinnern ist Zuhören“ benannte sie eine zentrale Aufgabe von Theatern. Sie kündigte einen mobilen türkischen Teesalon an, der öffentliche Orte der Stadt besuchen wird.

Die Spielzeithefte mit dem vollständigen Programm werden Mitte Juni vorliegen.

Titelbild: Auch auf das künftige Programm des Stadttheaters darf man sich freuen. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

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