„21 x TAK“ in Danzig
Von Michael Schlag
Ein Museum in Danzig ist der Geschichte der Gewerkschaft Solidarnosc gewidmet, die eine Volksbewegung gegen das damals in Polen herrschende Regime entfachte. „Sala BHP“ heißt das Museum. Landbot-Autor Michael Schlag hat es sich angesehenSala BHP – hier also hat alles begonnen und dem Zeitzeugen erscheint es so gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen. Ein lang gestreckter Tisch, bedeckt mit grünem Tuch, darüber das polnische Staatswappen mit dem Doppeladler in schwarz und der rot-weiße Schriftzug mit der Fahne der Gewerkschaft Solidarnosc. In der Fortsetzung des Tisches ein großes schwarz-weiß-Foto: Lech Wałęsa und der stellvertretende polnische Ministerpräsident Mieczysław Jagielski unterzeichnen am 31. August 1980 das Abkommen zwischen dem überbetrieblichen Streikkomitee der Danziger Leninwerft und der Regierung der Volksrepublik Polen.
Die Forderungen der Streikenden
„21 x TAK“ ist der heute verwendete Name für das Augustabkommen – „21 x JA“ zu den Forderungen der Streikenden auf der Leninwerft. Zum Einen enthalten sie klassische Gewerkschaftsforderungen: Höhere Löhne, gleitende Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung, bessere Versorgung mit Lebensmitteln, Herabsetzung des Renteneintrittsalters, Mutterschaftsurlaub, arbeitsfreier Samstag. Diese Forderungen erscheinen aber erst im hinteren Teil des Katalogs, ganz vorne stehen dagegen die Forderungen der Streikenden nach Freiheitsrechten: Anerkennung unabhängiger Gewerkschaften, Redefreiheit, Pressefreiheit, Abschaffung der Zensur – und ausdrücklich verlangt wird die Veröffentlichung der 21 Forderungen in den polnischen Medien. Tatsächlich waren es mehrere Abkommen, die im Sommer 1980 zwischen Streikkomitees und der polnischen Regierung geschlossen wurden, nicht nur die Werftarbeiter in Danzig streikten für ihre Rechte, auch die Bergarbeiter forderten die Fünf-Tage-Woche und früheres Renteneintrittsalter. Das Danziger Abkommen „21 x TAK“ ist aber das bekannteste und am meisten beachtete, es gehört heute gehört zum Weltdokumentenerbe der UNESCO. Denn zum ersten Mal erkennt hier eine kommunistische Regierung die Opposition im Land als Verhandlungspartner an.
Die Forderungen der Streikenden in Danzig gingen aber weiter zurück. Sie forderten die Rehabilitation der Streikbewegung vom Dezember 1970, die in Danzig vom Militär blutig niedergeschlagen wurde, offiziell gab es 45 Tote. Diesen Opfern des ersten Aufstands der Werftarbeiter zehn Jahre zuvor gilt das hoch aufragende und weithin sichtbare Denkmal mit den drei Kreuzen und den drei Ankern im Werftengebiet von Danzig. Schon zu Beginn des Streiks im August 1980 gehörte es zu den ersten Forderungen der Werftarbeiter, ihren damals erschossenen Kollegen ein Denkmal zu errichten, so liest man auf einer der Tafeln in der Ausstellung, deren Texte zum Teil auch in Englisch sind.
Im Sala BHP wurde das Streikkomitee gegründet
„Sala BHP“ ist bis heute der Name des Solidarnosc-Museums – Arbeitsschutzhalle. Wer genug Zeit mitbringt, kann alles sehr genau erfahren. Der Name geht zurück auf einen schweren Betriebsunfall auf der Leninwerft, dem Brand beim Bau der Maria Konopnicka am 13. Dezember 1961, bei dem 22 Arbeiter ums Leben kamen. Daraufhin sollte der Arbeitsschutz auf der Werft verbessert werden, dieses Gebäude diente jetzt Lehrgängen für die Werftarbeiter. Und in der Nacht vom 16. auf den 17. August 1980 wurde in der Sala BHP das überbetriebliche Streikkomitee MKS gegründet (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy) als Vertretung der streikenden Arbeiter in Danzig und Umgebung. Hier fanden die Verhandlungen zwischen dem MKS und der Regierungskommission statt und schließlich auch die Unterzeichnung des Vertrages. Seit 2004 ist die Gewerkschaft Solidarność Eigentümerin des Gebäudes, nach Sanierung wurde es am 24. August 2010 in der heutigen Form eröffnet.
Aber wie konnte das Streikkomitee seine „21 x TAK“ Forderungen überhaupt verbreiten, ohne freie Medien im Land? Die Bewegung war illegal, man produzierte Flugblätter im Untergrund, aber „es gab immer die Befürchtung, dass gedruckte Materialien vom Sicherheitsdienst abgefangen und manipuliert werden könnten“, so ist auf einer der Tafeln im Museum zu lesen. Die Verbreitung von Information war alles andere als gefahrlos und manches kleine Detail in der Ausstellung belegt den persönlichen Mut der Gewerkschafter damals: Hefte und kleine Bücher wurden zum Transport eng zusammengerollt in Konservendosen verpackt und man sieht im Geheimen produzierte Stempel zur Vervielfältigung von Botschaften der Solidarnosc.
Die 21 Forderungen der Streikenden wurden auf zwei Sperrholzplatten geschrieben. Sie dienten in der Werft zur Herstellung von Schablonen für Schiffselemente, beschrieben wurden die Platten mit Mennige und Bleistift. Aufgehängt am Tor Nr. 2 der Leninwerft konnte sie jeder sehen, der die Werft betrat. Ein Modell im Museum zeigt die ganze Szenerie jener Tage, die gelben Platten mit den 21 Forderungen sind an dem blauen Gebäude rechts des Tores zu sehen. Die Originalplatten selber sind leider nicht Teil des Solidarnosc-Museums, es gibt einen Streit über die Besitz- und Urheberrechte. In einem Bericht der Zeitung Polityka sind die Tafeln zu sehen.
polityka.pl/tygodnikpolityka/historia/1963478,1,konflikt-o-tablice-solidarnosci.read
Diese erste Freiheitsbewegung in Polen konnte nur etwas mehr als ein Jahr bestehen. In der Nacht zum 13. Dezember 1981 wurde das Kriegsrecht ausgerufen, die führenden Köpfe der Gewerkschaft wurden verhaftet und die Arbeit der Gewerkschaft verboten. Die Tafeln 21 x TAK wurden aber rechtzeitig auf einem Dachboden versteckt, wo sie die Jahre bis 1989 überstanden. Angeblich hatten die Streikenden zuvor eine originalgetreue Kopie der Tafeln angefertigt, die die Staatssicherheit fand und vernichtete – in dem Glauben, es seien die echten.
Die 21 Forderungen der Streikenden auf der Lenin-Werft in Danzig im August 1980 (in Kurzform, zusammengefasst):
Nr. 1. Anerkennung freier, unabhängiger Gewerkschaften auf der Grundlage der Konvention Nr.87 der internationalen Arbeiterorganisation (IAO).
Nr. 2. Streikrecht und Sicherheitsgarantie für Streikende und deren Angehörige.
Nr. 3. Rede-, Druck- und Publikationsfreiheit. Keine Verfolgung der unabhängigen Presse.
Nr. 4. Wiederanerkennung der entzogenen Rechte für die Streikenden der Unruhen in den 1970ern und für Studenten, die ihren Studienplatz wegen ihrer Überzeugungen verloren haben. Freilassung aller politischen Gefangenen. Streichung des Gesetzes über die Verfolgung wegen politischer Überzeugungen.
Nr. 5. Berichterstattung in allen öffentlichen Medien über die Entstehung des überbetrieblichen Streikkomitees MKS und dessen Forderungen.
Nr. 6. Sachgerechte Information über die tatsächliche wirtschaftliche und politische Lage im Lande. Teilnahme von Vertretern aller sozialen Schichten und Gruppierungen an der Diskussion über das Reformprogramm.
Nr. 7. Lohnfortzahlung für Streikende.
Nr. 8. Lohnerhöhung um 2000 Złotys monatlich als Entschädigung für Preiserhöhungen.
Nr. 9. Lohnerhöhungen parallel zu Preiserhöhungen und zur Senkung des Geldwertes.
Nr. 10. Ausreichende Lebensmittelversorgung; Export nur von Überschüssen.
Nr. 11. Abschaffung des Sonderverkaufs in speziellen Läden für Parteimitglieder. Abschaffung der Devisenläden zum Kauf mit westlichen Währungen.
Nr. 12. Besetzung von Leitungsposten nach Kompetenz und nicht nach Parteizugehörigkeit. Keine Sonderrechte für Miliz, Sicherheitsdienstfunktionäre und Parteimitglieder u.a. durch Angleichung des Kindergeldes.
Nr. 13. Fleisch und Fleischprodukte sollen für Fleischmarken verkauft werden.
Nr. 14. Absenken des Rentenalters für Frauen auf 55 Jahre, für Männer auf 60 Jahre.
Nr. 15. Rentenanpassung für Altrentner auf das Niveau von aktuellen Renten.
Nr. 16. Bessere Arbeitsbedingungen im Medizinbereich für eine bessere Versorgung der Bevölkerung.
Nr. 17. Mehr Kinderkrippen- und Kindergartenplätze, damit alle Kinder der arbeitenden Frauen einen Platz bekommen.
Nr. 18. Einführen des Mutterschaftsurlaubs mit 100% Lohnzahlung für 3 Jahre.
Nr. 19. Kürzere Wartezeiten für den Erwerb einer neuen Wohnung.
Nr. 20. Erhöhung von Reisegeld und Zusatzlohn für Arbeit außerhalb der Wohnstätte.
Nr. 21. Einführung des arbeitsfreien Samstags.
Titelbild: Blick auf die Danziger Werften.