Sascha Feuchert

Hohe Ehrung für Holocaustforscher

von Jörg-Peter Schmidt

Professor Dr. Sascha Feuchert setzt sich leidenschaftlich und erfolgreich mit seinen Mitstreitern gegen das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus ein. Jetzt überreichte ihm Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz die höchste Auszeichnung de Stadt Gießen, die Hedwig-Burgheim-Medaille.

Forschung im Sinne von Hedwig Burgheim

Die knapp über 100 Gäste der Feierstunde im Atrium des Gießener Rathauses waren sich einig: Der Professor für Neuere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Holocaust- und Lagerliteratur und ihre Didaktik am Institut für Germanistik sowie Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Justus-Liebig-Universität Gießen ist eine sehr gute Wahl für diese Anerkennung schon deshalb, weil er sich ganz im Sinne des Wirkens von Hedwig Burgheim (der Namensträgerin der Ehrung)  engagiert.

Darauf wiesen sowohl die Oberbürgermeisterin (OB) als auch die Schriftstellerin Dr. Regula Venske hin, die als Präsidentin des Autorenverbandes PEN-Zentrum Deutschland die Laudatio hielt. Dr. Venske fasste während des Festaktes, der Corona bedingt mit dem entsprechenden Abstand aller Anwesenden erfolgte,  die Parallelen zwischen der hoch qualifizierten Pädagogin Hedwig Burgheim und dem international anerkannten Preisträger zusammen. Dazu gehöre auch die Leidenschaft für das Wahrheit und Gerechtigkeit. 

Hedwig Burgheim (Foto:giessen.de)

Wer war Hedwig Burgheim, die den Hass der Nazis auf sich zog und sich nie entmutigen ließ? In verschiedenen Quellen (von Wikipedia, der Universität in Leipzig bis zur Homepage der Stadt Gießen) wird ihr Leben und Wirken beschrieben: Sie wurde 1887 in Alsleben (Saale) geboren, wuchs in einem liberal geprägten Elternhaus auf, wurde Kindergärtnerin, bevor sie 1911 in Leipzig an der ersten deutschen Hochschule für Frauen immatrikuliert wurde. Sie durfte jetzt selbst Kindergärtnerinnen ausbilden und als Berufsschullehrerin arbeiten, wechselte zum Fröbel-Seminar in Gießen und unterrichtete dort unter anderem Pädagogik. Ab 1920 wurde ihr die verantwortungsvolle Aufgabe zuteil, das Fröbel-Seminar zu leiten. Sie  bereitete mit ihrem Team den Weg, dass es dort eine fundierte Fortbildung für Kindergärtnerinnen gab.

In ihrer Zeit in Gießen hat sie etwa 800 junge Frauen ausgebildet. Später kehrte sie nach Leipzig zurück, kümmerte sich dort weiter um die Ausbildung für Kindergärtnerinnen und ließ auch nicht von ihrem hervorragenden, fortschrittlichen pädagogischen Konzept ab, als ihr die Nationalsozialisten immer mehr zusetzten. Was dann mit dieser couragierten Frau, die so viele Menschen zu einem sozialen Beruf geführt hatte, schließlich geschah, schilderte Sascha Feuchert:

Sascha Feuchert drückte seine Achtung vor dem Lebenswerk von Hedwig Burgheim  aus. (Fotos: Jörg_Peter Schmidt)

Holocaust-Arbeit zeigt Erfolg

Am 27. Februar 1943 wurde die Jüdin Hedwig Burgheim zusammen mit weiteren NS-Opfern in Auschwitz-Birkenau in die dortige Gaskammer geführt und umgebracht. Die Täter hatten es darauf abgesehen, dass mit den von ihnen Getöteten die Erinnerungen an die Opfer verschwinden, verdeutlichte der Literaturwissenschaftler und sprach damit genau den Irrtum an, dem die Gefolgsleute des Hitler-Regimes unterlagen: Sie konnten Erinnerungen nicht auslöschen. Denn seit Jahrzehnten sorgen – wie auch Sascha Feuchert – immer wieder Menschen in aller Welt dafür, dass die Schicksale wie das von Hedwig Burgheim nicht im Dunkel des Vergessens versinken. Feuchert, der  Mitherausgeber der Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt ist, zählte Personen und Institutionen wie die Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung Lich auf, die seine Arbeit und die Arbeit seiner Teams fördern und appellierte an die zuständigen Verantwortlichen, dass die finanzielle Unterstützung der Holocaust-Arbeit erhalten bleibt. 

Getto-Chronik gefunden
Dr. Regula Venske, Schriftstellerin und Präsidentin des Autorenverbandes PEN-Zentrums Deutschland (Hamburg): Sie hielt die Laudatio.

Was Holocaust-Arbeit bewirken kann, hatte zuvor Dr. Regula Venske verdeutlicht. Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn man eine Filmeinblendung während der Ehrungsfeier vornehmen könne. Dann könne man nachverfolgen, wie es war, als 1996 Sascha Feuchert Austauschstudent in Lodz war: Er hatte als junger Mann die Originale der Getto-Chronik gefunden, die im Staatsarchiv Lodz unsortiert aufbewahrt wurde. Ein Mann namens Nachmann Zonabend hatte viele Jahre zuvor die Texte und weitere Dokumente nach der Liquidierung des Lagers in einem ausgetrockneten Brunnen versteckt und sie nach der Befreiung geborgen. Auch wünschte sie sich, dass die Autoren der Getto-Chronik, besonders Oskar Singer und Oskar Rosenfeld, es doch wenigstens hätten ahnen können, dass sich einer fernen Zukunft jemand daran machen würde, ihre Botschaften zu entziffern.Venske erläuterte, warum ihr für den neuen Träger der Burgheim-Medaille scherzhaft der Name  „Tausendsascha“ einfiel. Sie zählte einige der vielfältigen Aufgaben Feucherts im Laufe der Jahre auf: Gründungsvorsitzender der Kempowski-Gesellschaft, Vorsitzender des Literarischen Zentrums in seiner Geburts- und Heimatstadt Gießen, Beisitzer im Vorstand des Hessischen Literaturrats oder Entsandter des PEN.  

Erneuter Antisemitismus

Vor der Laudatio der PEN-Vorsitzenden hatte OB Dietlind Grabe-Bolz einen Bogen des Wirkens von Hedwig Burgheim zu Sascha Feuchert und auch zu dem Geschehen in der heutigen Zeit gespannt. Sie zitierte den Verfassungsschutz-Präsidenten Thomas Haldenwang. Sein Bundesamt hat bestätigt, dass judenfeindliche Ressentiments  wieder häufiger geworden sind. Haldenwang spricht davon, dass der alte Hass wieder „salonfähig“ geworden ist.

Die Oberbürgermeisterin zeigte sich besorgt angesichts des Antisemitismus, der wieder verstärkt auftrete. Dass Feucherts Arbeit auch überregional gefragt ist,  wird anhand der vielen Glückwünsche auch aus dem In- und Ausland deutlich. Zwei Beispiele von vielen: Die Leiterin des Deutsch-Türkischen Literaturfestivals Semra Üzün-Önder und der Journalist Can Dündar übermittelten die herzlichsten Grüße, ebenfalls die Autorin Tanja Kinkel. Desgleichen der Auschwitz-Überlebende Tomy Breuer aus der Gießener Partnerstadt Netanya. Seine Glückwünsche gab im Rathaus Dow Aviv, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gießen, weiter. 

Lied aus Theresienstadt

 Langer Beifall für den Geehrten und für alle Ansprachen sowie eine passend würdevolle musikalische Umrahmung prägten den Abend. Sybille Plocher (Sopran) und Tatjana Dravenau (Klavier) trugen beispielsweise aus der Sammlung „Ich wandre durch Theresienstadt“ vor, das Ilse Weber geschrieben hatte. Sie arbeitete als Krankenschwester im Getto Theresienstadt, wurde dort 1944 von den Nationalsozialisten ermordet. Dieser musikalische Vortrag stand am Ende der Feier, die zeigte, dass der gemeinsame Widerstand Resonanz findet, der sich gegen die Verdrängung von Nazi-Verbrechen und das aktuelle Aufflammen von Antisemitismus  richtet. 

Titelbild: Langen Applaus auch von Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz gab es für den soeben mit der Hedwig-Burgheim-Medaille geehrten Professor Dr. Sascha Feuchert. Links: Zu den Gratulantinnen gehörten auch Sybille Plocher (Sopran) und Tatjana Dravenau (Klavier), die die Feier musikalisch umrahmten. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

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