Gegen das Vergessen
Von Bruno Rieb
„Josefine“ ist das letzte Stück der „Trilogie gegen das Vergessen“ der Kleinen Bühne Gambach. Es erzählt das Schicksal einer Halbjüdin in Frankfurt von 1933 bis 1945. „Josefine“ überlebt die Diktatur der Nazis durch die Hilfe von Freunden. Regisseur Johannes Schütz will mit seinem Stück Hoffnung machen. Es wird im November 2021 im Bürgerhaus in Münzenberg-Gambach aufgeführt.Schütz ist zufällig auf das Schicksal von Josefine Schain gestoßen. Sie ging auf dieselbe Schule in Frankfurt, in der er viele Jahre später Lehrer wurde. Josefines Vater Meyer Szajn aus Lodz in Polen war 1917 als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen und arbeitete bei den Farbwerken Höchst. Er war Jude, konvertierte aber zum Katholizismus, weil er eine Deutsche heiraten wollte, die dann die polnische Staatsangehörigkeit bekam. Der Familienname wurde in Schain geändert und der Vater bekam zusätzlich den Namen Josef.
Plötzlich eine Aussätzige
Nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, änderte sich das Leben der Familie. „Von einer Sekunde auf die andere war nichts mehr wie es war“, sagt Schütz. Nach den Rassengesetzen der Nazis gilt Josefine nun als Halbjüdin. 1938 kommt es zur „Polenaktion“ der Nazis. Das polnische Parlament hat beschlossen, dass alle Bürger, die länger als fünf Jahre im Ausland leben, die Staatsangehörigkeit verlieren. Die Nazis treiben daraufhin etwa 17.000 in Deutschland lebende Juden gewaltsam zusammen und schieben sie nach Polen ab. Darunter ist auch die Familie Schain.
Josefine und ihre kranke Mutter dürfen später nach Deutschland zurückkehren, um den Haushalt aufzulösen. Sie bleiben in Deutschland. Josefine überlebt die Nazi-Diktatur durch die Hilfe eines Polizisten, der sie in ihrer Wohnung versteckt, und ihres Freundes Fritz Walter, der sie 1937 „kennen und lieben gelernt hatte“. Sie heiraten nach dem Krieg.
Was sie während der Diktatur der Nazis erlebte, hat Josefine Walter aufgeschrieben und „Bericht meiner Erlebnisse in Höchst von 1933 – 1945 infolge rassistischer Gründe“ genannt. Sie schildert, was Sorge und Angst in dieser Zeit gewesen ist: „Wenn man aus tiefstem Schlaf aufrecht im Bett sitzt, weil Schritte die Treppe hochkommen und vor der Tür stehen bleiben. Wie kann man erklären, was es bedeutet, wenn man aus einem vollkommen normalen Familienleben, Zusammenleben mit Nachbarn herausgerissen wird, um als Aussätziger behandelt zu werden? Wie kann man damit fertig werden, dass gute Nachbarn plötzlich zu hässlichen Feinden werden oder, was noch schlimmer ist, dich nicht mehr kennen und verschämt wegsehen? Noch härter trifft es, wenn dies angeblich gute Freunde tun. Umgekehrt: Welche großartigen menschliche Regungen wach werden bei Menschen, an denen man vorbeiging und die man gar nicht kannte oder bei denen man es gar nicht vermutet hätte, die plötzlich zu Helfern in der Not werden und ein immenses Risiko auf sich nehmen.“
Hoffnung Raum geben
Johannes Schütz will mit seinem Stück „den Prozess einer Vereinzelung durch das Wegbrechen aller halt gebenden Strukturen in einem totalitären Staat“ zeigen. „Ich will auch Hoffnung Raum geben“, sagt er. Josefine überlebt immerhin durch die Hilfe von Leuten, von denen sie es gar nicht vermutet hatte.
Die Stimmung in den Jahren der Diktatur will Schütz durch Tonaufnahmen verdeutlichen. Für die Nazis war das Radio, der „Volksempfänger“, ein wichtiges Propagandamittel. Ein überdimensionaler Lautsprecher an der Bühnendecke soll das verdeutlichen. Mit im Saal verteilten Lautsprechern sollen Originaltöne, Gesetzestexte und biografische Texte in die Handlung eingebunden werden. Das Bühnenbild wird im Verlauf des Stückes immer karger, „bis am Ende nur noch ein Tisch und ein Stuhl in einem schwarzen Raum übrig bleiben“.
Das Laientheater Kleine Bühne Gambach hat in den ersten beiden Stücken seiner Trilogie, „Ratzkatrein“ und „Heidenpeter“, das Publikum durch innovative Inszenierungen in den Bann gezogen. Beim Hexenstück „Ratzkatrein“ wurde mit Vorhängen und Licht gearbeitet, bei der Räubergeschichte „Heidenpeter“ kamen Filmszenen dazu.
Die Kleine Bühne Gambach möchte mit ihrer Trilogie gegen das Vergessen „das Publikum auffordern, sich anhand überlieferter Schicksale aus dem regionalgeschichtlichen Umfeld zu erinnern – an Ungerechtigkeiten, Ausgrenzungen und ihre Folgen innerhalb unserer Gesellschaft“, erklärt Schütz und fragt: „Sind wir nicht drauf und dran, wieder in gefährliche Denkmuster zu verfallen, deren Auswirkungen wir eigentlich kennen müüsten? Haben unsere Eltern und Großeltern nicht vor erst 75 Jahren geschworen, dass ein Krieg mit millionenfachem Tod, unmessbarer Zerstörung und unendlichem Leid nie wieder kommen darf, und dass alles getan werden muss, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.“
Für das Stück „Josefine“ sucht Schütz noch zwei männliche Jugendliche um 16 Jahre. Mädchen in diesem Alter würden gerne auf der Bühne stehen, bei Jungs sei das schwieriger, sagt er. Wer mitmachen möchte, kann sich per E-Mail an johannes_schuetz@web.de bei ihm melden.
Die Einführung in das Stück Josefine ist am 1. Oktober 2021 um 19.30 Uhr im Bürgerhaus am Bürgerplatz in Münzenberg-Gambach.
Ein Gedanke zu „Kleine Bühne Gambach“