Jüdisches Leben

Rätselhafter Friedhof in Ober-Rosbach

Von Bruno Rieb

Nordwestlich von Ober-Rosbach, am Ortsrand hoch oben am Berghang nahe der Autobahn A5 liegt der Judenfriedhof. Der gibt Rätsel auf.

Wer wurde hier wann bestattet?

Auf der eingefriedeten Grünfläche „befindet sich lediglich ein Gedenkstein, Grabmäler sind nicht erhalten“, ist in der Denkmaltopographie für den Wetteraukreis aus dem Jahr 1999 vermerkt. Das stimmt so heute nicht mehr. Am Zaun des Areals wurde im Mai eine steinerne Gedenktafel errichtet, die an „300 Jahre deutsch-jüdische Kultur in Ober-Rosbach“ erinnern soll.

Die Begräbnisstätte sei in den 1860er Jahren eingerichtet und bis mindestens 1893 genutzt worden, heißt es auf der Tafel. Es werden fünf jüdische Bürger aufgelistet, die hier „nachweislich“ bestattet seien: Herz Abraham Haas (geboren 1786, gestorben 29. Juni 1864), Jakubeth Grünewald, geb. Hammel, (geboren 1836, gestorben am 19. Juni 1872), Karoline Hammel (geboren 1873, gestorben am 27. Juli 1873), Siegmund Grünewald (geboren 1875, gestorben am 20. August 1875) und Samuel Grünewald (geboren 1836, gestorben am 9. November 1893).

Wolfgang Ziemann. (Foto: Rieb)

Ob das so stimmt, daran zweifelt der Nieder-Rosbacher Heimatforscher Wolfgang Ziemann, der schon lange Material über die Juden in seiner Wahlheimat Rosbach sammelt. Der heute 83-Jährige ist 1980 in eine alte Hofreite in Nieder-Rosbach gezogen und hat sich seither immer tiefer in die Rosbacher Geschichte eingearbeitet.

Ziemann vermutet, dass der Friedhof wesentlich früher bestanden hat, als auf der Gedenktafel vermerkt. Er beruft sich auf das Topographische Güter- und Häuser-Verzeichnis Ober- und Nieder-Rosbach, erstellt von Katastergeometer Röder 1846 bis 1849. Dort ist der jüdische Begräbnisplatz verzeichnet, hat damals also schon bestanden, folgert Ziemann. Außerdem beruft er sich auf ein Schreiben des damaligen Bürgermeisters Wiegand vom 2. August 1949, in dem es heißt, der Friedhof sei vor etwa 100 Jahren zum letztn Mal belegt worden. Zudem zitiert er ein Schreiben der Jewish Restitution Successor Organization in Nürnberg von 1952, in dem es heißt, das letzte Begräbnis auf dem Platz habe es vor etwa 110 Jahren, also um 1842, gegeben. Der Friedhof könnte von 1820 bis 1842 genutzt worden sein, meint Ziemann.

Die neue Gedenktafel am Ober-Rosbacher jüdischen Friedhof. (Foto: Ziemann)

Besser zum Nichtwissen bekennen

Laut Ziemann lebten 1830 neun Juden in Ober-Rosbach, 1841 seien es fünfzehn gewesen, 1845 neunzehn. „Dass diese Personen einen eigenen Begräbnisplatz haben wollten, um die Mühen und Kosten einer Bestattung auf einem Friedhof in einer anderen Gemeinde/Stadt zu vermeiden, ist verständlich, vor allem auch weil die Toten möglichst noch am Sterbetag beerdigt werden sollten, spätestens binnen 24 Stunden“, schreibt Ziemann in seiner Broschüre „Der jüdische Begräbnisplatz – Ein rätselhafter Friedhof vor dem kalten Loch“.

Fünf jüdische Bürger führt Ziemann an, die zwischen 1820 und 1842 eventuell auf dem Begräbnisplatz beigesetzt wurden: Dinuga Haas, geboren 1814, gestorben am 27. November 1821 morgens um 8 Uhr, beigesetzt am 29. November 1821 nachmittags um vier Uhr; Salomon Haas, geboren 1789, gestorben am 18. März 1821 abends um fünf Uhr, beigesetzt am 19. März 1821 gegen fünf Uhr; Hans Jakob Haas, geboren 1813, gestorben 1825 morgens um vier Uhr; Handle Hamel, geboren 1769, gestorben am 4. November 1826 morgens um 2 Uhr, bestattet am 5. November 1826; Kaufmann Hammel, geboren 1799, gestorben am 5. September 1830 um neun Uhr abends; Fratga Haas, geboren 1748 in Rohrbach bei Büdingen, gestorben am 27. April 1834 um neun Uhr abends; der noch namenlose Sohn des Seligmann Hammel, geboren am 15. Juli 1837, gestorben am 18. Juli 1837 morgens gegen fünf Uhr; der ebenfalls namenlose Sohn der Salomon Hammel, geboren am 8. Januar 1842, gestorben noch am selben Tag.

Dafür, dass der Friedhof danach noch weiter genutzt wurde, hat Ziemann keine Belege gefunden. Dass die auf der Gedenktafel genannten zwischen 1860 und 1893 hier bestattet wurden, hält er für unwahrscheinlich. In dieser Zeit seien 16 jüdische Einwohner Ober-Rosbachs gestorben. Davon seien Abraham Haas, gestorben am 2. Juli 1888, auf dem jüdischen Friedhof inf Friedberg beerdigt worden, Bettchen Hammel, geborene Bing, gestorben am 15. Dezember 1888, auf dem jüdischen Friedhof in Burgholzhausen und Hannchen Grünebaum, geborene Kahn, gestorben am 31. Januar 1893, auf dem jüdischen Friedhof in Friedberg. Von acht Verstorbenen sei der Begräbnisort nicht bekannt. Von fünfen werde nun auf der neuen Gedenktafel behauptet, sie seien auf dem Ober-Rosbacher Begräbnisplatz bestattet.

Heimatforscher Ziemann stört vor allem das „nachweislich“ auf der neuen Gedenktafel. „Mutiger und lauter wäre gewesen zu schreiben: wir wissen (noch) nicht, wann der Begräbnisplatz eingerichtet wurde, wer darauf beerdigt wurde und wann er nicht mehr genutzt wurde“, schreibt er in seiner Broschüre.

Kontakt per E-Mail an ziewo@web.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert