Viel Geld für ein kaputtes Motorrad
Mein Bauch wusste es von Anfang an: Da stinkt etwas. Warum will Paul Williams 1600 Euro für meine olle Yamaha überweisen? Und welche Rolle spielt der Bezahl-Dienst Paypal dabei? Und die Euroline Shipping Company in Aberdeen?
Ein raffinierter Betrug
Mitleidig schaute Benjamin Erlewein mich an. Der nette Motorradmechaniker aus Ober-Erlenbach lehnte am Eingang seiner Werkstatt und hatte sichtlich Skrupel, mir die Hiobsbotschaft zu überbringen. „Tut mir wirklich leid. Ich hab mich ja immer gefreut, wenn Sie die alte XS750 zu mir bringen. Ist ja eine richtig alte Dame. Aber vorne am Krümmer bläst sie ab, und wenn ich das aufschraube, fällt mir alles entgegen. Da müssten Sie jetzt richtig viel Geld reinstecken. Irgendwann heißt es nun mal Abschied nehmen.“
Das hatte ich schon befürchtet. Seit 32 Jahren besitze ich die kernige Japanerin aus dem Jahr 1980. Rund 126 000 Kilometer hat sie auf dem Tacho, und der Dreizylinder ist immer noch flott. Doch nun weigert sich der Tüv-Prüfer, die Plakette für die nächsten zwei Jahre aufs Nummernschild zu kleben. Ich könne die XS ja für einen Kasten Bier an Schrauber als Ersatzteillager abgeben, empfahl mir Benjamin. Frustriert sattelte ich auf, dröhnte nach Hause, drehte auf der geraden Strecke bei Rosbach noch mal richtig auf – Tempo 150 schafft sie noch locker.
Wer will sie haben?
Soll ich jetzt das Motorradfahren aufgeben? Es ist gefährlich und kostet auch Geld. Andererseits… Am selben Abend, die XS stand ahnungslos in der Garage, ertappte ich mich schon beim gedanklichen Seitensprung. Die Honda Deauville ab Baujahr 2006 wäre doch was. Nun ja, sie kostet mindestens 4000 Euro. Im Winter vielleicht weniger. Ich beobachte mal den Markt. Und schaue, ob jemand meine alte XS noch will. Für einen Kasten Bier soll sie jedenfalls nicht draufgehen. Ich annoncierte sie auf autoscout 24. Für 700 Euro ist die Maschine zu haben.
Ich war dann doch überrascht, als sich schon zwei Tage später ein Interessent per Email meldete. Der Preis sei ok, schrieb Paul Williams in englischer Sprache. Er wolle die Yamaha kaufen und 700 Euro überweisen, um die Maschine für sich zu reservieren. Ob ich ihm meine Paypal-Mailadresse schicken könne? Er sei beruflich unterwegs und könne die Maschine leider nicht selbst abholen. Damit werde er seine Shipping-Company beauftragen. Na prima, die XS ist also doch noch etwas wert!
Mein Bauch fing leise zu grummeln an. Um ihn zu beruhigen, recherchierte ich, dass meine Paypal-Mailadresse sicher sei, auch wenn ich sie einem Fremden nenne. Ich schickte sie an Paul, damit er mir das Geld aufs Paypal-Konto überweist. Zwei Tage später meldete sich per Mail ein James Garcia, Angestellter der Euroline Shipping Company im schottischen Aberdeen. Demnächst würden seine Leute die XS bei mir abholen, kündigte er höflich an. Und ob ich bis dann nicht die Zollerklärung fertigmachen könne. So wechselt meine XS also auf die Briteninsel! Bisher hatte mir Paul Williams nicht geschrieben, wo er lebt.
Mehr Geld als erhofft
Dann noch eine Mail von Paul: „Ich teile Ihnen mit, dass ich Ihnen am Dienstag 1600 Euro auf Ihr Paypal-Konto schicke. Bitte nehmen Sie davon 750 für sich selbst und die restlichen 850 für die Spedition. Ich schicke Ihnen das ganze Geld, weil ich wegen meiner Arbeit die Shipping Company nicht auszahlen kann. Bitte schicken Sie der Spedition ihr Geld über Western Union an die Adresse, die ich Ihnen noch mitteilen werde. Teilen Sie mir heute noch mit, ob Sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden sind!“
Whow! So viel Geld für die olle XS! Ich dachte schon wieder an die Honda-Deauville. Vielleicht sollte ich sie mir doch noch in diesem Sommer zulegen? Andererseits ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Ich studierte die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Paypal. Und lernte, dass es keinen Verkäuferschutz gibt, wenn ich ein Motorfahrzeug über diesen Online-Dienst verkaufe. Dass Paypal mir auch nach etlichen Wochen die 1600 Euro problemlos wegnehmen könnte, wenn der Käufer das Geld zurückhaben will oder seine Kreditkarte nicht gedeckt ist. Die Zollerklärung und die 850 Euro für die Spedition müsste ich also vorher von meinem eigenen Konto finanzieren. Wenn ich Pech habe, verliere ich das Motorrad und die 850 Euro für die Spedition.
Welche Spedition eigentlich? Die Euroline Shipping Co. hat eine seriös aussehende Webseite. Doch die Mailadresse des angeblichen Angestellten James Garcia unterscheidet sich von der des Unternehmens. Ich mailte die Spedition an und bat sie um Auskunft über James Garcia – bislang vergeblich. Allerdings fand ich seinen Namen in einem Forum des Portals e-recht24.de: Da schildern diverse erboste Betrugsopfer, wie sie seit dem Jahr 2010 von James Garcia gefoppt wurden.
Und mein Freund Paul Williams? Ich brauche seine Adresse, mailte ich ihm. Für das Zollformular. Paul antwortete: Er wohne in 21 Forest View in Chingford, London. Mit Google Earth schaute ich mir die Gegend genauer an: gehobenes Niveau, Wimbledon liegt nebenan. Nur leider wohnt nicht Paul Williams am Forest View Nummer 21, sondern 48 meist an Alzheimer erkrankte Senioren der Altenheim-Kette „The Pinney“! Paul ist also wirklich ein Betrüger! Wahrscheinlich würde er mir am Dienstag 1600 Euro auf Paypal anweisen. Glücklich über dieses Guthaben, würde ich dann einen Vorschuss oder die ganzen 850 Euro von meinem eigenen Geld an die wohl mit Paul identische Euroline-Shipping-Company schicken. Und dann würde Paul die 1600 Euro von Paypal zurückziehen. Ich würde mich mächtig ärgern und zur Polizei gehen. Eine Strafanzeige erstatten.
Aber macht das Sinn? Würde die hessische Polizei nach Paul Williams fahnden, der womöglich in Nigeria oder Brisbane sitzt? Antworten dazu gibt es auf folgendem Link:
In letzter Zeit häufen sich auch Verkaufsanzeigen für Motorräder zu absoluten Schnäppchenpreisen. Nachgehakt kommen dubuiose Speditionen, zweifelhafte Geldtransfervorschläge und Allerweltsverkäufernamen ohne Adresse zum Vorschein. Vorschläge, das Fahrzeug persönlich in Augenschein zu nehmen, bar bei Überabe zu zahlen oder (wegen weiter Anreise) einen Bekannten zu schicken beenden abrupt die Kommunikation. Dann eben der Nächste… irgendeiner fällt schon drauf rein…
Gute Geschichte!!