Von Zwangsarbeitern und Priestern
Von Bruno Rieb
KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter wurden eingesetzt, um die Rüstungsproduktion der Frankfurter Adlerwerke von 1942 bis 1945 aufrechtzuerhalten. Unter den Zwangsarbeitern waren viele Franzosen. Christliche Arbeiterjugendliche und Priester unter ihnen leisteten Widerstand. An sie erinnert das Buch „Französische Priester und Arbeiterjungendliche in geheimer Mission“.Erinnerungsarbeit
Ein kleines Paket war der Auslöser. Es traf 2003 im Pfarrbüro St. Gallus in Frankfurt ein. Horst Roos aus Essen hatte es abgeschickt. Er gehörte zur Gründergeneration der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) in Deutschland. Roos hatte die Aktivitäten der Mitglieder der französischen christlichen Arbeiterjugend Jeunesse Ouvrière Chrétienne (JOC) in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs erforscht und war dabei auch auf die Frankfurter Adlerwerke gestoßen. Die Kirchengemeinde St. Gallus ist in unmittelbarer Nachbarschaft der Adlerwerke.
Im Auftrag der Kirchengemeinde haben nun Jean-Francois Ameloot, Herbert Bauch und Thomas Schmidt das Buch über die französischen Priester und Arbeiterjungendlichen in den Adlerwerken herausgegeben. Ameloot stammt aus Frankreich und lebt seit 1973 in Deutschland. Er war Bezirkssekretär der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Bezirk Rhein-Main und Betriebsseelsorger in Frankfurt Höchst. 2002 hat er eine Ausstellung zu französischen Zwangsarbeitern in Frankfurt organisiert. Bauch war Stadtarchivar in Langen. Er ist im Verein Leben und Arbeiten im Gallus und Griesheim und im Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte „KZ Katzbach“ in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt aktiv. Thomas Schmidt ist Priester des Bistums Limburg. Er war Betriebsrat, ist Gewerkschaftsmitglied bei Verdi und leitender Priester der Gemeinde St. Gallus. Auch er arbeitet im Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte „KZ Katzbach“ in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt mit.
Frankreich schickt Zwangsarbeiter
Die Adlerwerke stellten ursprünglich Fahrräder her. Unter den Nazis produzierten sie ausschließlich für die Wehrmacht und wurden zu Europas größtem Hersteller von Schützenpanzer-Fahrgestellen. Weil die deutschen Arbeiter als Kanonenfutter an die Front mussten, wurden immer mehr Zwangsarbeiter eingesetzt. 1944 forderte die Betriebsleitung auch KZ-Häftlinge an. Unter dem Tarnnamen „Katzbach“ wurde ein KZ-Außenlager eingerichtet. Es bestand nur acht Monate und war das mörderischste in Hessen.
Die mit den Nazis kollaborierende französische Vichy-Regierung führte am 16. Februar 1943 den Service du Travoid Obligatore (STO) ein, einen zweijährigen Zwangsarbeitsdienst für alle jungen Franzosen der Jahrgänge 1920 bis 1922. Sie mussten in deutschen Betrieben arbeiten. Auch christliche Arbeiterjugendliche wurden zwangsverpflichtet oder meldeten sich freiwillig, um ihren Kameraden beizustehen. Die französischen Bischöfe entsandten 26 Geheimpriester als Arbeiter getarnt in die deutschen Fabriken. Mit der Arbeiterjugendbewegung und dem Pfadfinderbund „Scouts de France“ schufen sie ein Netzwerk in etwa 400 deutschen Städten mit rund 1000 Zellen. „Es entstand somit faktisch ein französisches ‚Apostolat‘ auf deutschem Boden, in dem Priester und Laien gemeinsam Leitungsfunktionen ausübten“, schreibt Joachim Rotber in dem Buch. Er zitiert den Apostolischen Nuntius in Berlin, Cesare Orsengio, der Ende Mai 1943 nach Rom berichtete: „Sie sind wirklich bewundernswert. Sie arbeiten bis zur Erschöpfung wie die anderen Arbeiter die ganze Woche hindurch. In ihren Arbeitslagern unterweisen sie abends in verschwiegenen Zirkeln diejenigen, die der Religion am wenigsten feindlich gesinnt sind. Sie haben mehrfach Taufen gespendet, zahlreiche Erstkommunionen gehalten, viele Erstbeichten im freundschaftlichen Schutz irgendeiner Schwesternkapelle gehört.“
Erfahrungsberichte der Arbeiterpriester
Das Buch enthält Erfahrungsberichte der Arbeiterpriester Abbé René Fraysse und Diulio Balduini und des Zwangsarbeiters Roger Echinard. Fraysse berichtet: „Unsere Gemeinde wuchs schnell: Protestanten schlossen sich uns an. Bald wurde beschlossen, in allen Arbeitslagern in allen Teilen der Stadt eine ähnliche Gemeinschaft zu gründen.“ Balduini erzählt, wie es wegen des schlechten Essens zum Streik kam: „In den Adlerwerken, einer Waffenfabrik in Frankfurt, bietet die Kantine beispielsweise nur Speisen mit ungenießbarem, verfaultem Kohl. Wir sind zu siebenhundert in einer riesigen Schlafbaracke untergebracht, während uns eine tiefe Ekelwelle erfasst. An einem derartigen Ort und Zeitpunkt müssen nur wenige von einer gemeinsamen Aktion überzeugt werden. Kaum erwähnt läuft das Wort ‚Streik‘ durch alle Gänge wie Schießpulver! Am nächsten Morgen geht niemand zur Arbeit. Es ist Aufstand! Die unerwartete, aber wunderbare Einigkeit war für uns überwältigend.“
Durch Spitzel fliegt das Netzwerk auf. Die Arbeiterpriester und Mitglieder ihres Netzwerks werden im April 1944 verhaftet. Abbé René Fraysse kommt über mehrere Gefängnisse ins KZ Dachau, dessen Befreiung er erlebt. Duilio Balduini überlebte ebenfalls ein KZ. Bei seiner Entlassung wog er nur noch 41 Kilogramm. Andere Mitglieder des Netzwerks hatten weniger Glück. Joachim Rotberg berichtet: „Von 63 ‚Aktionisten‘, die bei einer Großrazzia in Köln verhaftet wurden, starben 20 in KZs, in Berlin wurden 18 verhaftet, von ihnen fanden fünf den Tod. 15 Aktionisten aus dem Raum Thüringen, Sachsen und Anhalt starben in Flossenbüren, Dachau, Mauthausen und Zöschen, darunter der von Papst Johannes Paul II. 1987 seliggesprochene Jungarbeiter Marcel Callo. Von den 26 Geheimpriestern kamen insgesamt elf in das KZ Dachau, einer nach Bergen-Belsen.“
„Französische Priester und Arbeiterjugendliche in geheimer Mission – Unter französischen Zwangsarbeitern in den Adlerwerken in Frankfurt am Main 1942-1945“, Herausgegeben von Jean-Francois Ameloot, Herbert Bauch und Thomas Schmidt im Auftrag der Katholischen Kirchengemeinde St. Gallus Frankfurt am Main“, Verlag Brandes und Apsel“, 188 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-95558-346-0