Mittel gegen die Langweile
von Bruno Rieb
Die Flucht vor dem Coronavirus in die eigenen vier Wände lässt mit der Zeit Langweile aufkommen. Im anhaltenden Lockdownleben werden überraschende Beschäftigungstherapien entwickelt: Der eine schreibt seine Biografie, der andere kocht fleißig und ich spiele mir den Soundtrack meines Lebens vor.Erinnerung ans abenteuerliche Leben
Eigentlich wollte Harald mit dem Motorrad durch Asien kurven. Der Corona-Lokdown verhinderte das. Nun sitzt er in seiner Wohnung und schreibt sein Leben auf, zuerst mit dem Stift auf Papier, dann mit dem Zwei-Finger-Suchsystem per Tastatur in den Computer. Die knapp 50 eng beschriebenen Seiten verschickt er an die Familie und ausgewählte Freunde. Er hat ein an Abenteuern und Überraschungen reiches Leben geführt und kann erzählen. Einige interessante Dinge erzählt er noch nicht. Sein Liebesleben hat er (vorerst) ausgespart. Das will er vielleicht auch noch niederschreiben – aber nur für sich.
Klaus hat in der Coronakrise eine neue Liebe entdeckt: die zum Kochen. Er hat sogar zum ersten Mal in seinem Leben selbst Brot gebacken. Corinna lädt zur „rohe Verführung“ ein. Statt aus Corona-Frust in die Schublade mit den Süßigkeiten zu greifen, bereitet sie sich Rohkostsnacks aus Roter Bete, Kohlrabi, Karotten, Stangensellerie, Champignons und Chicoree. Ihre Esserlebnisse in Coronazeiten beschreiben die beiden in einer Serie im Landboten. (Link siehe unten)
Purzelnde Klötzchen ordnen
Apropos Schublade: Meine Frau hat in einer Schublade ein Spielgerät aus Zeiten entdeckt, als unsere Kinder noch im Haus lebten, und hat es mit neuen Batterien zu neuem Leben erweckt: den Game Boy. Der tut nun gute Dienste gegen den Corona Blues. Jetzt purzeln sie wieder, die Tetris-Klötzchen, die geschwind zu geschlossenen Reihen sortiert werden müssen. Einst hatte das Spielgerät zu langen Sitzungen an einem stillen Örtchen geführt, das dann allerdings gar nicht mehr so still war, weil Tetris die purzelnden Klötzchen mit einer hektischen Melodie untermalt.
Und ich? Ich spiele mir während der langen Coronatage- und nächte die Schallplatten meiner Jugend vor. Wie lange habe ich den „Refried Boogie“ von Canned Heat nicht mehr gehört? Satte 41 Minuten lang und zwei komplette Plattenseiten umfassend. Während einer langen Busfahrt Anfang der 1970er Jahre mit der Arbeitsgemeinschaft für Friedensdienste zur Gedenkstätte des KZ Auschwitz lief das Stück immer und immer wieder. Einer der Mitreisenden hatte es auf Kassette aufgenommen und den Busfahrer überredet, es über die Bordlautsprecher abzuspielen. 41 Minuten!Der 22 Minuten lange „Savoy Brown Boogie“ der gleichnamigen englischen Band fällt mir als nächstes ein. Zwar nur halb so lang, aber genauso mitreißend wie der der US-amerikanischen Kollegen.
„F“, „U“, „C“, „K“
Stilwechsel. Country Joe McDonald auf dem Woodstock-Soundtrack. Zuerst der Fish-Cheer (Mcdonals nannte seine Band Country Joe and the Fish nach dem Mao-Spruch: Der Revolutionär soll sich im Volk bewegen wie der Fisch im Wasser). McDonald ruft ins Publikum: Give me an F“. Vieltausendstimmig tönt es zurück: „F“. Es folgen „U“, „C“, und „K“. „What that’s spell“ fragt McDonal dreimal und dreimal schreit das Publikum das buchstabierte Wort zurück und die Band setzt mit „I-Feel-Like_I’m-Fixin’-To-Die Rag“ ein, einem Protestsong gegen den Vietnamkrieg. Nachdem wir den Woodstock-Film gesehen hatten, gingen wir laut den Fish-Cheer Skandierend nach Haus. Wir waren jetzt 500.000 Menschen stark und uns gehörte die Welt.
Meine allererste Platte? Auweia. Die hatte ich meiner allerersten Freundin zuliebe gekauft: „Odessa“ von der Bee Gees.Verschämt stand die unberührt jahrzehntelang im Regal. Jetzt habe ich den Schmachtfetzen wiedergehört – und es wurde mir ganz warm ums Herz. Die Platte ist was für knapp 15-Jährige und knapp 70-Jährige.
Meine Lieblingsplatte vor rund 50 Jahren: Eindeutig „The Play On“ von Fleetwood Mac. Jetzt, beim Wiederhören, bin ich hingerissen wie damals. Phänomenal, was die Bluesband aus England da geleistet hat. „Closing My Eyes“, das zweite Stück der Platte erkläre ich hiermit zu meinem Corna-Blues: