Rassismus in der Sprache

Gerangel um den Mohren

Von Klaus Nissen

Viele Dutzend Mohren-Apotheken gibt es in Deutschland – in Hanau, Erlangen, Bayreuth, München, Memmingen, Meerbusch – und in Friedberg. Da steht schon seit 1621 die Hof-Apotheke zum Mohren an der Ecke Haag- und Kaiserstraße. Kurz vor dem 400. Jubiläum eskaliert hier der Streit um den Namen. Weil er rassistisch sei, müsse die Apothekerin ihn ändern, forderten Demonstranten. Doch Dr. Kerstin Podszus sieht das anders, zahlreiche Stammkunden ebenfalls. Nun tobt ein Streit im virtuellen Raum.

Ist der Name rassistisch oder nicht?

Der Name „Mohren-Apotheke“ steht in roten, erhabenen Lettern groß über den Schaufenstern des Geschäfts an der Südostecke des Elvis-Presley-Platzes. Davor ein Fahrradständer mit dem Firmenlogo – einem schreitenden Mohren in Pluderhose und Turban mit dem Äskulap-Stab unterm Arm und einer Arzneiflasche in der Hand. Das Bild ähnelt dem „Sarotti-Mohr“ – einem schwarzen schreitenden Diener mit Tablett, der zwischen 1918 und 2004 als Reklamefigur für Schokolade bekannt wurde.

Dr. Kerstin Podszus vor ihrer Apotheke. Sie hält den Mohr im Logo und im Namen nicht für rassistisch. Die promovierte Pharmazeutin übernahm die schon 1621 gegründete Apotheke in Friedberg 2001 von ihrem Großvater. Foto: Nissen

So etwas kommt heute nicht mehr bei allen gut an. Etwa 150 meist junge Leute demonstrierten am 15. August 2020 vor der Apotheke. Das Geschäft müsse seinen Namen ändern, forderten sie. Denn der Begriff „Mohr“ stehe für die Diskriminierung von Leuten, die ausländisch aussehen. Der Friedberger Ousman Conteh hatte die Demo angemeldet, es gab Poetry-Slam, Rapgesänge und einen HipHop gegen Rassismus. Etwa 20 Friedberger und Kunden der Apotheke hatten sich dagegen schützend vor das Haus gestellt. Vier dunkelhäutige junge Frauen in bunten orientalischen Gewändern versuchten laut Kerstin Podszus dennoch, durch eine Seitentür in die Apotheke zu gelangen. „Ich fühlte mich zunehmend bedroht“, sagte die promovierte Pharmazeutin bei einer Pressekonferenz in der Friedberger Stadthalle.

Am Ende blieb der Laden heil – doch die Friedberger und viele andere nutzen seitdem die Chance, einmal von Herzen ganz für oder ganz gegen eine Sache zu sein. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Peter Heidt ging demonstrativ beim „Mohren“ Medikamente einkaufen. Der UWG-Politiker Friedrich Wilhelm Durchdewald schimpfte über „faschistoiden Meinungsterror“ der Demonstranten und prophezeite Düsteres: In Deutschland lebten „noch über 13 000 Menschen mit dem Nachnamen Mohr, etwa 160 mit dem Nachnamen Neger und sogar 36 mit dem Nachnamen Mohrenstecher. Da gibt es noch genug Möglichkeiten, den Verbalkrieg gegen den angeblich rassistischen Hintergrund von Namen fortzusetzen.“

Der Mohr stehe für den heilkundigen Mauren

Die Apothekerin Kerstin Podszus erklärte gestern in ihrer Pressekonferenz, warum sie den Namen der Mohren-Apotheke nicht ändern will. „Ich lehne jegliche Form von Rassismus ab“, sagte sie gleich zu Beginn. Die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihres Aussehens gehe gar nicht. Und der Mohr sei keine Herabwürdigung anderer. Im Gegenteil, erklärte ihr Anwalt Konrad Dörner. Der Mohr stehe für die Mauren – für angesehene Leute, die vor Jahrhunderten die moderne Pharmazie nach Europa brachten. Die erste Apotheke sei vor 900 Jahren in Bagdad gegründet worden, so der frühere Erste Stadtrat von Bad Nauheim. „Der Mohr galt zu keiner Zeit als Kränkung oder rassistisch – er war eher ein Gütesiegel, Zeichen der Wertschätzung.“ Ein Apotheker wäre ja dumm, wenn er mit einem diskriminierenden Symbol für sein Geschäft werben würde.

Kurzum: Die Mohren-Apotheke habe Tradition und „gehört deshalb zu Friedberg wie der Adolfsturm und die Burg“, postulierte Rosalinde Staudt auf der Facebookseite des Geschäfts. Und Kerstin Podszus wirbt für weitere Unterschriften gegen die geforderte Namensän derung.

Doch die Gegenrede findet sich schon auf der selben Apotheken-Facebookseite. „Woher kommt immer nur diese Angst vor Veränderung?“ fragt Louisa D. Hernández da. „Heutzutage ist der Ausdruck ,Mohr` nunmal ein gesellschaftlich rassistisch behafteter Begriff, der deshalb sensibel behandelt werden sollte. Um den Rassismus in den Köpfen der Menschen zu bekämpfen, sollten auch jegliche Dinge, die dem Nährboden geben und an ebendiesen Stereotypien festhalten, verbannt werden. Eine Namensänderung ist meines Erachtens ein sehr kleines Übel im Gegensatz zum Rassismus, den schwarze Menschen auch in subtiler Form erdulden müssen.“

Nun wird das Gespräch gesucht

Selbst der Anwalt der Apothekerin konnte sich in die Seelen der dunkelhäutigen Demonstranten vom Samstag einfühlen. Einige seien in ihrem Leben wohl diskriminiert worden. „Ich kann es nachvollziehen, dass sie natürlich Emotionen haben, wenn sie immer wieder auf ihre Hautfarbe angesprochen werden.“ In einer Pressemitteilung warb Andreas Balser von der Antifa-BI die Demonstranten ausführlich für das Anliegen der Demonstranten. Sie könnten nicht „faschistoid“ sein, wenn sie für die Gleichberechtigung aller Menschen eintreten. Balser warnte davor, die Kontroverse um den Namen der Apotheke weiter hochzuschaukeln. „Eine inhaltliche Debatte sollte in Deutschland 2020 hoffentlich noch möglich sein.“

„Wir wollen Brücken bauen“, sagte auch Konrad Dörner im Namen der Apothekerin. Er habe den Demonstranten ein Gesprächsangebot gemacht. Es sei bisher nur deshalb gescheitert, weil die jungen Leute darauf bestanden hätten, dass die Apothekerin vorher den Mohren gehen lässt.

Vielleicht klappt es ja wirklich noch mit dem sachlichen Gespräch. Der Rechtsanwalt Dörner und der Szene-nahe Andreas Balser werben, ohne bisher miteinander gesprochen zu haben, für ein Treffen in neutraler Umgebung und nüchterner Atmosphäre. Balser: „Vielleicht finden sich ja noch ein bis zwei Stadtverordnete oder Magistratsmitglieder, die dieses Gespräch begleiten. Solche gesellschaftlichen Konflikte lassen sich nur mit einem Dialog und gegenseitigem Verständnis lösen.“

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