Zum Beispiel der Oberhof
Von Klaus Nissen
Träumen ist nie verboten. Wie wollen wir wohnen? fragen sich viele Menschen. Und manchmal, bei einem harmonischen Treffen mit Freunden, spinnen sie den Traum, zusammenzuziehen. Nur selten wird daraus wirklich etwas. Dabei ist gemeinschaftliches Wohnen tatsächlich machbar. Es gibt dafür eine staatliche Beratungsstelle. Und Projekte, die schon funktionieren. Zum Beispiel im Oberhof im Bad Homburger Stadtteil Ober-Erlenbach.In Hessen gibt es mehr als 50 Wohnprojekte
Ab Mitte März 2023 gibt es auch ein Restaurant im Oberhof. Unter der hohen Gewölbedecke, zwischen den schlanken Sandsteinsäulen des ehemaligen Pferdestalls werden die Gäste dann vegan und vegetarisch dinieren können. Die Leute von „Apfelkern & Kolibri“ eröffnen nach Bad Homburg und Bad Vilbel im Oberhof an der Burgholzhausener Straße ihr drittes Lokal.
Gleich nebenan liegt schon länger der Supermarkt des Oberhofs. Da gibt es nicht nur Toilettenpapier, Zeitungen, Gemüse und Brotaufstriche, sondern auch Bio-Fleisch aus dem Hofgut Marienborn bei Büdingen. Übers Eck, jenseits des Durchgangs vom Oberhof-Karree zum Neubaugebiet, liegt der Frisiersalon Christine. Darüber, im ersten Stock, eine große, moderne Filiale der Bad Homburger Stadtbücherei. Und weiter östlich über drei Stockwerke das Jugendzentrum von Ober-Erlenbach, mitsamt Chill-Ecke, Spiele-Regal und Billardtisch.
Außerdem befindet sich hier die Tagesstätte der Diakonie für Menschen mit seelischen Behinderungen. Der Hofladen wird von der Diakonie betrieben, dort arbeiten die Klienten aus der Tagesstätte mit ehrenamtlicher Unterstützung von Menschen aus Ober-Erlenbach.
Ein Drittel Gewerbe, zwei Drittel Wohnen
So fehlt im Ensemble nur noch eine Arztpraxis, sagt Hans Preißl vom Vorstand des Trägervereins „Lebensraum Oberhof“. Läden und Infrastruktur-Einrichtungen füllen ein Drittel des ehemaligen Hofguts am Nordrand von Ober-Erlenbach. Der größere Rest der Altbauten und der ganze Neubau an der Ostseite enthält Wohnungen. Davon gibt es 29 Stück, große und kleine. Natürlich sind sie längst vermietet. „Wir haben ein paar Namen auf der Warteliste“, sagt Hans Preißl. Obwohl man sich nur dann einmieten kann, wenn man für 5400 bis 10 800 Euro Genossenschaftsanteile kauft, bevor der erste Euro der Miete zu berappen ist.
Momentan zählt die Genossenschaft 47 Mitglieder, so Hans Preißl. Wenn eine Wohnung frei wird, entscheidet der Mieterbeirat über die Chancen der nächsten Anwärter. Auch andere Angelegenheiten des Oberhofs regeln die Mieter. Zu den regelmäßigen Treffen kommt etwa die Hälfte der Bewohner, schätzt Preißl.
Vielleicht ist der Preis die Ursache, warum ausgerechnet die größte und extravaganteste Wohnung im Oberhof als letzte noch zu haben ist: Das Loft über dem großen Saal, gleich unter dem Dach. Ein Raum mit 160 Quadratmetern Wohnfläche. Leider ohne Balkon. Den gaben die baulichen Möglichkeiten und der Denkmalschutz nicht her, erzählt die Architektin Antje Riedl bei einer Besichtigung des Areals. Inzwischen ist die große Wohnung aber vermietet und bewohnt.
Die Architektin kam schon 1997 mit ihrem Büro als erste neue Nutzerin in den Oberhof. Da war er noch ein Bauernhof. Erst 2008 verkaufte das Land Hessen die 70 Hektar Ackerland an einen Bauern und legte die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Ställe und Speicher still.
Die Stadt gab viel Geld ins Projekt
„Damals gab es unter den Anwohnern Ängste, dass hier Luxusobjekte gebaut werden sollen“, erinnert sich Antje Riedl. Der Ortsbeirat dachte laut über die Schaffung eines Dorf-Treffpunkts im viereckigen Gebäude-Ensemble nach. Er sammelte dafür 4000 Unterschriften. Die Diakonie engagierte sich, weil sie im Oberhof einen tollen Platz für die geplante Altentagesstätte sah.
Schließlich schlug die mehr als andere Kommunen mit Geld gesegnete Stadt Bad Homburg zu. Sie erwarb den Oberhof und vergab ihn in Erbpacht an die neue Genossenschaft der künftigen Bewohner. Obendrein lieh die Stadt ihr für den Umbau noch 4,5 Millionen für zehn Jahre, ohne Zins zu verlangen. Insgesamt wurden 14 Millionen Euro investiert, ehe das große Wohnprojekt im September 2021 feierlich eröffnet werden konnte. Knapp ein Jahr später bekam die Genossenbschaft aus der Hand des Hessischen Staatssekretärs Jens Deutschendorf den 1. Preis des „Hessischen Awards für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau – kreativer Umgang mit dem Bestand.“
Möglichst viel vom Bestand war zu retten
Der Umbau wurde planmäßig und ohne Mehrkosten durchgezogen, sagt Antje Riedl nicht ohne Stolz. „Wir haben so wenig wie nur möglich umgebaut. Und uns an den Plan gehalten.“ Denn sobald man während des Baues die Pläne ändert, steigen nach Riedls Erfahrung zwangsläufig die Kosten. Wichtig und gut sei es, die vorhandenen Struktur zu nutzen. Über Ober-Erlenbach hinaus hält sie es für wichtig, aus der ursprünglichen Nutzung gefallene Bestandsgebäude zu neuem Wohnraum zu machen. „Man muss ja nicht noch mehr Boden zubetonieren.“
Schon lange vor dem Abschluss der Umbau-Arbeiten nutzten die nicht hier wohnenden Ober-Erlenbacher den geschützten Platz zwischen den Gebäuden als Treffpunkt. Für die Kinder stehen Spielgeräte bereit. Die Vereine treffen sich im Oberhof, und im Advent gibt es den Weihnachtsmarkt. „Wir haben hier schon viele schöne Feste gefeiert“, sagt Hans Preißl. Aber immer nur bis 22 Uhr.
Wer sich für den Oberhof interessiert, findet weitere Informationen auf dessen Webseite http://www.unser-oberhof.de
Das Anwesen gehört auch zum Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen. Das unterhält an der Adickesallee 67/69 eine Beratungsstelle, die vom Land Hessen finanziert wird. Birgit Kasper und Afra Höck sind dort mittwochs zwischen 11 und 13 Uhr unter der Televonnummer 069-95928081 erreichbar, rund um die Uhr unter info@wohnprojekte-hessen.de. Auf der Webseite http://wohnprojekte-hessen.de kann man auch einen Newsletter zum Thema Gemeinschaftliches Wohnen bestellen. Und auf einer interaktiven Hessenkarte sind dort 44 bereits realisierte Wohnprojekte und 17 in Gründung steckende Projekte verzeichnet. Genug Futter zum Träumen.