Walnüsse

Zwei junge Landwirte setzen auf Agroforst

Von Michael Schlag

Die Flächen sehen schon von weitem anders aus als alles, was man in dieser Gegend an Landwirtschaft kennt. Eine neu angelegte Obstplantage? Dafür stehen die Bäume zu weit. Und was macht das Getreide dazwischen? Aus der Nähe erkennt man: Jeder Baum trägt ein Sortenschild: Parisienne, Franquette, Fernor. Hier stehen französische Walnussbäume, gepflanzt von zwei ideenreichen Brüdern aus Langgöns-Niederkleen, Landkreis Gießen.

Und so begann es: Michel Textor (27 J.), Ingenieur für Energietechnik und derzeit im Masterstudium, beschäftigte sich viel mit regenerativer Landwirtschaft, Biomasse und Agroforst-Systemen. Sein Bruder Max Textor (23 J.) studiert ökologische Agrarwissenschaften in Witzenhausen und „mein Traum war es schon immer, einen eigenen Betrieb zu haben.“ 30 Hektar im Familienbesitz waren zu der Zeit verpachtet, aber klar war auch: Nur Anbau von Biogetreide würde nicht reichen für eine Existenz, so entsand eines Abends die Idee: „Lass uns Bäume auf den Acker pflanzen“. Und mit dem Plan nahmen sie die Flächen wieder in eigene Bewirtschaftung.

335 Walnussbäume gepflanzt

Im Dezember 2020 wurden 335 Walnussbäume gepflanzt, sie kamen als Ruten mit kleinen Wurzelballen aus einer Baumschule bei Grenoble in Frankreich. Die französische Herkunft war eine Frage der Sortenverfügbarkeit, aber auch des Preises. Erster Erfolg in diesem Frühjahr: „Alle sind angegangen und gut über den Winter gekommen“, sagt Michel Textor. Die Walnussflächen in Niederkleen umfassen insgesamt vier Hektar, davon 3,2 ha leicht hügeliges Ackerland und 0,8 ha ebene Weide in der Niederung des Kleebachs. In diesem Jahr standen Hafer und Gerste zwischen den Bäumen auf dem Acker, rundherum wurde ein Streifen Klee gesät. Das regenreiche Jahr 2021 half der Neupflanzung über den Sommer, wenngleich die Walnuss auch als widerstandsfähig gegen Trockenheit gilt, bei der Fruchtbildung aber wird auch sie ausreichend Wasser brauchen. Optimal ist für die Walnuss ein Grundwasseranschluss nach 50 bis 200 Zentimetern. Zuviel Nässe dagegen verträgt sie schlecht, die einzigen Ausfälle der Pflanzung waren an einem nassen Fleck auf der tiefer gelegenen Weide.

Die Walnuss-Pflanzung bei Langgöns-Niederkleen. (Fotos: Michael Schlag)

Aber wie kamen sie überhaupt auf Walnüsse? „Es gibt in Deutschland einfach nicht mehr viele Walnussplantagen“, sagt Max Textor, „und wenn man Bio-Walnüsse sucht, kommt das Meiste aus dem Ausland“. Der Markt wartet sozusagen auf regionale Walnüsse. Verglichen mit Hauptproduzenten wie Kalifornien oder Türkei biete Hessen vielleicht nicht das ganz perfekte Klima, aber „die Walnuss ist immer hier gewachsen und das wird sie auch weiterhin“. Was noch für die Walnuss sprach: „Man kann die Walnuss mechanisch super ernten“, erklärt Michel Textor. Je nach Sorte werfen die Bäume die Nüsse in ein, zwei oder drei Phasen ab, Technik für Ernte, Reinigung und Trocknung gibt es, auch aus Deutschland. Bis dahin aber ist es noch eine Weile, „wir hoffen, dass wir in fünf Jahren die erste Ernte erwarten können, vielleicht auch erst in sieben“, sagt Michel Textor.

Pflanzung sorgfältig geplant

Was man den Walnussflächen von außen nicht ansieht: Sie sind mit ausgefeiltem Fachwissen angelegt, die Brüder verbrachten lange mit der Planung der Sorten und den Positionen der Bäume. Auf den oberen Flächen steht jetzt die Sorte Parisienne, darunter Franquette, auf der tiefer gelegenen Weidefläche steht die Sorte Fernor. Parisienne und Franquette, zwei alte, traditionelle Züchtungen, und „die Brotsorten in den französischen Walnussanbaugebieten.“ Sie sind gesund und widerstandsfähig gegen Spätfröste, „das war ein sehr wichtiger Punkt“. Sie treiben spät aus und sie blühen erst sehr spät. Eine neue Züchtung ist dagegen die Hochertragssorte Fernor. Sie ist niedriger mit kleiner Krone, dabei hoch ertragreich. Der Unterschied: Die klassische Walnuss – wie man sie auch im Garten kennt – blüht und fruchtet immer am Ende ihrer Triebe, sie ist „terminal tragend“. Diese neue Sorte dagegen ist „lateral tragend“, sie bildet entlang des ganzen Triebes Nüsse. Damit ist die Krone schmaler, man kann die Bäume enger setzen für den Anbau als intensive Plantagenpflanze. In der untersten Reihe wurde die Sorte Pieral oder Lara gepflanzt, deren Nüsse sollen auch für Allergiker verträglich sein.

Das anpflanzen der Walnussbäume wurde sorgfältig geplant.

Aber dies hier soll kein intensiver Anbau werden. „Das ist ein extensives Pflanzmuster“, erklärt Max, „12 Meter Abstand zwischen den Bäumen und 12 Meter in den Reihen“. Und die Bäume sind nicht einfach in Linien hintereinander gepflanzt, sondern die Positionen wurden von Reihe zu Reihe versetzt. Das Pflanzbild ist nicht rechtwinklig, sodass vier Bäume immer ein Quadrat bilden würden, sondern gepflanzt wurde im Hexagonalmuster. Wendet man sich an einem Baum in der Mitte in jede Richtung, dann erkennt man nicht nur nach rechts und links eine gerade Linie, sondern auch sternförmig in beiden Diagonalen. Derselbe Eindruck, wenn man langsam an der Anlage vorbeifährt: Mehrfach und in jeder Richtung stehen die Bäume immer wieder in gerader Linie – mit einer durchgehend freien Bearbeitungsfläche dazwischen. Die Vorteile des hexagonalen Pflanzmusters: Die versetzten Positionen bieten dem einzelnen Baum den größten möglichen Raum, um seine Krone zu entwickeln. Genau so wichtig: Man kann das hügelige Feld in vier verschiedenen Fahrtrichtungen zwischen den Bäumen bearbeiten – und bleibt dabei immer auf einer Höhe. „Bei der nächsten Bearbeitung fange ich oben an und fahre die Bearbeitung diagonal, so dass ich möglichst überall quer zur Fließrichtung des Wassers arbeite“, erklärt Max Textor, „das ist günstiger für den Erosionsschutz und für die Wasserhaltekapazität.“

Mäuse mögen die Walnuss nicht

Das muss schon beim Pflanzen der Anlage sehr genau bedacht sein. „Wir haben tatsächlich jeden einzelnen Baum mit Maßband und Peilstäben ausgemessen“, sagt Max Textor. Ausgehend von zwei Bäumen in der ersten Reihe, ging jeder genau 13,30 Meter mit einem Maßband in Richtung der zweiten Reihe. Wo die beiden Maßbänder sich treffen, kommt in die nächste Reihe der mittlere Baum. Das Prinzip dahinter: „der Satz des Pythagoras“, sagt Michel Textor. Jede Stelle wurde mit einem Rebstickel markiert, die Pflanzlöcher dann mit einem selbst fahrenden 50-Zentimeter-Bohrer in den Boden gebracht. Anders als bei Obstpflanzungen konnte man übrigens auf Wühlmauskörbe verzichten, denn „das Schöne ist, Mäuse gehen nicht an die Walnuss, das schmeckt ihnen nicht“, sagt Michel Textor. Ein weiteres Detail zur Pflanzung: Jeder Baum wurde genau in den Norden des einstweilen noch dickeren Pflanzpfahls gesetzt. So stehen die jungen Bäume im Schatten des Holzpfostens, damit ist ihre Rinde mittags vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt. Gerade im Frühjahr sei das wichtig, sagt Michel Textor: „Wenn es nachts noch friert und die Sonne tags richtig darauf knallt, können in der Rinde Spannungsrisse entstehen.“ In Südeuropa würden die Stämme deshalb oft weiß gekalkt, zum Schutz vor der Mittagssonne.

Schafe in der Walnusanlage. Auf der Fläche sollen so viele Lebensmittel wie möglich produziert werden.

Der Abstand von 12 Metern innerhalb der Reihen ist bewusst sehr weit gehalten. „Es dauert ja noch zehn, 15 Jahre, bis die Kronen größer werden“, erklärt Michel Textor, „und man könnte noch mehr auf dieser einen Fläche produzieren, ohne dass es sich negativ beeinflusst“. In die freien Strecken innerhalb der Reihen könnte man zum Beispiel Beerensträucher setzen. Denkbar ist auch eine Kombination der Walnüsse mit Hühnerhaltung oder Rindern. Das flache Walnussstück in der Aue des Kleebachs wurde eingesät, dort weiden bereits Schafe. „Ziel ist eben, auf der Fläche soviel verschiedene Lebensmittel zu produzieren wie es geht“, sagt Max Textor. Und wenn die Bäume erst einmal größer sind, „soll das noch viel diverser werden“. Bereits jetzt findet er es „unglaublich, was in diesem ersten Jahr schon passiert ist“ und führt zu einer Stelle am Rand der Pflanzung, wo eine große, gelb-schwarze Wespenspinne ihr Netz gebaut hat.

Holzernte in 50 bis 60 Jahren

Hafer und Gerste sind geerntet, als nächstes kommt eigener Pferdemist auf die Agroforst-Flächen. Eigentlich war geplant, jeden Baum einzeln mit Mist zu versorgen, „aber davon wurde uns abgeraten, weil man die mit zuviel Stickstoff auch schocken kann“, sagt Michel Textor. Deshalb komme der Mist in diesem Jahr erstmal auf die ganze Fläche, anschließend eine Zwischenfrucht und „nächstes Jahr auf jeden Fall mal eine Reihe Kartoffeln.“ Leguminosen sind auch geplant; In den nächsten Jahren sollen weitere Flächen mit Walnüssen bepflanzt werden, hier wird dann zuvor Kleegras gesät, sodass die jungen Bäume im ersten Jahr in Reihen von Klee stehen. Langfristig wollen die Brüder auch andere Kulturen im Agroforst ausprobieren, vielleicht Maronen oder Haselnüsse, nur mit der nötigen Erntetechnik will man sich nicht verzetteln, „und wo immer es passt, vielleicht noch eine Wildobsthecke um die Fläche herum“. Begrenzender Faktor für weitere Ideen sei im Moment nur die Zeit, beide stehen gerade im Abschluss ihres Bachelor- und Masterstudiums.

Um die Walnussbäume wächst Hafer.

Die Walnussbäume stehen jetzt im ersten Jahr in Niederkleen und sind drei bis fünf Jahre alt. Jetzt werden sie für den künftigen Ertrag erzogen und auch auf ihre vorgesehen Form im Agroforst-System. „In den ersten fünf Jahren bestimmt man, wie die Krone sich entwickeln soll“, sagt Michel Textor. Die Frage, in welcher Höhe die Krone losgehen soll, betrifft alle kommenden Jahre und muss jetzt mit der Erziehung entschieden werden. Denn im Agroforst bestimmt man damit auch: Wie lange kann man mit dem Traktor noch nah am Baum entlang fahren? Max Textor sieht es so: Walnüsse sind Pfahlwurzler, ihre Wurzeln breiten sich natürlich auch zur Seite hin aus, aber man könne den Wurzeltrieb im Boden lenken. Fährt man in den ersten Jahren mit einem Tiefenmeißel oder mit dem Pflug relativ nah heran, zerstört man zwar flache Feinstwurzeln, leitet das Wachstum aber über die Jahre stärker in die Tiefe. Das erlaubt dann eine breiter bewirtschaftbare Ackerfläche zwischen den Bäumen.

Die Erziehung der Krone begründet auch den künftigen Holzertrag: Wenn man in 50 oder 60 Jahren das Holz erntet, wie lang ist dann das erste gute Stück des Stamms? Gibt das ein Zwei-Meter-Stück oder hat man nur einen Meter? Walnussholz ist ein Luxusholz, es gehört zu den teuersten Hölzern auf dem Markt, deshalb: „Wir wollen den ersten Gerüstast so auf 1,80 Metern haben, vielleicht auch zwei Meter, alles darunter nimmt man weg“. In diesem Jahr wurde aber noch nichts geschnitten, denn „es ist ja noch nicht viel Blattmasse dran und da nimmt man dem Baum zuviel Kraft“, sagt Max Textor, die Bäume sollen erstmal eine oder zwei Wachstumsperioden ungestört wachsen.

Die Wissenschaft von der Pflanzung einer Walnussanlage ist damit noch nicht zu Ende. Die Walnuss ist ein Windbestäuber und sie ist einhäusig getrennt geschlechtlich. Das bedeutet: Es gibt weibliche und männliche Blüten, beides an jedem Baum. Die Pflanze unterbindet aber Selbstbefruchtung, indem sich weibliche und männliche Blühzeiten nur wenig überschneiden. Für die Pflanzung heißt das: „Wenn Sie Nüsse haben wollen, brauchen die Hauptsorten Parisienne und Franquette einen männlichen Bestäubungspartner.“ Deswegen wurden an verschiedene Stellen in der Hauptwindrichtung sieben Bestäuberbäume der Sorte Meylannaise gesetzt. Und das System funktioniert so weiter über die ganze Pflanzung. Parisienne und Franquette sind dann ihrerseits die Bestäuber für die Bäume der tiefer auf der Weide stehenden Sorte Fernor. Soweit ist alles sauber geplant und angelegt; und zu allem Kommenden hört man von den Brüdern oft: „Wir müssen uns rantasten und ausprobieren“, denn, so Michel Textor: „Wir sind ja kein Betrieb, der es seit Generationen macht und schon seine eigenen Weisheiten hat.“

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