Lebensmittel-Versorgung zeigt Lücken
Sie habe alle möglichen Läden und Supermärkte aufgesucht – doch nirgendwo gab es noch Toilettenpapier. Jetzt habe sie angefangen, Küchenrollen für die Toilette zuzuschneiden, klagt eine Friedbergerin. In den Regalen der Supermärkte tun sich derweil weitere Lücken auf. Hier einige Impressionen aus der Wetterau.Das Virus führt zum Klopapier-Hamstern
Im neuen Rewe-Markt in Wöllstadt sind am Freitag, 20. März 2020 alle Kassen geöffnet. Ansonsten fehlt das sonst meist sehr präsente Personal. Schade – man hätte gerne gefragt, wo genau die Leinsamen stehen. Wenn sie nicht ausverkauft sind. An vielen Stellen klaffen Lücken im sonst sehr großen Sortiment dieses Marktes. Reis, Nudeln und Mehl und etliche andere andere dauerhafte Artikel gibt es noch, aber nicht in großen Mengen. Ein älterer Mann steht erstaunt vor der Obst-Auslage. „Jetzt hamstern die sogar schon die Bananen“, ruft er und schüttelt den Kopf. In der Tat – es finden sich nur noch einige Rest-Exemplare. Vielleicht hat irgendjemand auf Facebook behauptet, das Kalzium in den Bananen könne das Coronavirus neutralisieren?
Am Ausgang des Marktes gibt dann doch noch eine Verkäuferin Auskunft, wo all ihre Kolleginnen und Kollegen abgeblieben sind. „Die haben die ganze Nacht die Regale nachgefüllt“, verrät sie. Jetzt müssten sie eine Mütze Schlaf nehmen. Entweder schafften sie es nicht, alle Lücken zu schließen. Oder am Freitag wurde schon wieder so viel eingekauft, dass neue Lücken entstanden. Das Rewe-Zentrallager in Hungen hat nach Informationen des Neuen Landboten eine dritte Schicht eingeführt. Jetzt werden dort rund um die Uhr Lastwagen beladen, um die zusätzliche Nachfrage in der Rhein-Main-Region und Mittelhessen zu stillen. Es klappt noch nicht ganz. Die Menschen kaufen ein, als ab morgen alles für die nächsten Monate geschlossen würde. Was sicher nicht geschehen wird, weil geschlossene Supermärkte zu einem unnötigen Chaos führen würden.
In Ortenberg hat der Edeka-Marktleiter Roger Olbrich Mengenbeschränkungen eingeführt. Jeder Kunde darf bei stark gefragten Lebensmitteln nur zwei Packungen einkaufen. Und eine Stiege H-Milch. Trotzdem gibt es Dispute mit dem Verkaufspersonal. Er kaufe auch für die Nachbarn ein, behauptet ein Mann, der unbedingt mehr als einen Karton Milch in seinen Wagen legen will, Der Marktleiter schüttelt den Kopf und lässt den Mann abblitzen. „Es ist ein Wahnsinn“, sagt Roger Olbrich. Gerade beim Toilettenpapiersei man mit der Nachlieferung eineinhalb Tage im Verzug. Die Lastwagen könnten von der großvolumigen Ware gar nicht genug liefern. Sobald neues Papier eintreffe, sei es binnen kurzer Zeit wieder ausverkauft.
Türkische Hochzeit fand noch statt
Das Einfrieren des öffentlichen Lebens scheint derweil weitgehend zu gelingen. Bei schönem Frühlingswetter wagten sich immer noch viele Menschen nach draußen – doch Veranstaltungen gibt es nicht mehr. Am 20. März sagte auch die Stadt Bad Vilbel den für Juni geplanten Hessentag ab, an dem binnen zweier Wochen bis zu eine Million Besucher in die Stadt nördlich von Frankfurt geströmt wären. Auf dem Lande hatten die meisten Veranstalter schon selbst ihre Termine gestrichen. In Echzell musste Bürgermeister Wilfried Mogk nur einen Verein etwas länger bitten, auf alle Treffen zu verzichten. Ansonsten „erlebe ich großes Verständnis und auch Verantwortungsbewusstsein.“ In Büdingen versuchten Bürgermeister Erich Spamer und Amtsarzt Reinhold Merbs in der zweiten Märzwoche noch vergeblich, die Teilnehmer einer türkischen Hochzeit zur Absage zu bewegen. Rechtlich war das laut Spamer nicht durchzusetzen, weil sich das Veranstaltungsverbot da noch auf Treffen über tausend Menschen bezog. In der Zinnkann-Halle feierten „nur“ 450 Leute. Die Ordnungspolizei fotografierte die draußen stehenden Autos, damit man später womöglich Infizierte anhand der Kennzeichen finden könnte. Das aber verstanden die Feiernden falsch. Sie fühlten sich schikaniert, berichtet Spamer. „Ich wurde beschimpft. Es gab einen Shitstorm im Netz. Und die Hochzeitsfeier wurde durchgezogen.“
Das wäre jetzt nicht mehr möglich. „Es herrscht eine gewisse Angst“, meint Spamer, die wohl jeden ergreife. Er habe beim Einkaufen die leeren Nudel- und Knäckebrot-Regale gesehen und notgedrungen das Langeoog-Wochenende verschoben, das er eigentlich Ende März mit seiner Frau machen wollte.
Die Schließung der Kitas wurde in Büdingen von den meisten Eltern klaglos hingenommen. In Betreuung sind da nur noch zwei Kinder unter drei Jahren und zwölf ältere, deren Eltern in wichtigen Berufen arbeiten. In Gedern gibt es nur drei Kinder in Betreuung, in Nidda zehn. Auch andere Bürgermeister sprechen von erstaunlich reibungslosen Kita-Schließungen, obwohl sie viele Eltern vor große Organisationsprobleme stellen. Noch finden die meisten Übergangs-Betreuer, vermutet Cäcilia Reichert-Dietzel in Ranstadt. In zwei Wochen könne das aber schon schwieriger sein.
In Echzell halste sich Bürgermeister Wilfried Mogk mit der Kita-Schließung unschöne Diskussionen auf. Eltern hätten protestiert. Ihr Argument: Wenn mein Kind nicht in die Einrichtung besuchen darf, dann brauche ich dafür ja keine Kindergartengebühr zu zahlen. Falsch, sagt Mogk. In der Satzung sei „explizit geregelt, dass in Fällen wie diesen der Kindergartenbeitrag weiter durch die Eltern zu zahlen ist. Es ist ja auch so, dass die Kommune weiterhin die Kosten für Unterhaltung und für die Löhne der Erzieherinnen zahlen muss.“
Verwaltungen bilden redundante Teams
Die Rathäuser sind derweil geschlossen, die Ämter nur noch telefonisch oder per Mail erreichbar. Die Verwaltungen gliedern sich neu. Im Meldewesen, bei den Finanzen und in anderen wichtigen Bereichen entstehen jeweils zwei Teams, die körperlich so weit wie möglich voneinander entfernt sind. Wenn ein Team krank wird, soll das andere die Arbeit weiter leisten können. Das geht, weil etliche Bedienstete ins Homeoffice wechseln. „Es klappt ganz gut“, sagt Bürgermeisterin Cäcilia Reichert-Dietzel. In Ranstadt sind vier Arbeitsplätze ausgelagert. Die Bürgermeisterin selber hat ausprobiert, wie sie ihre Verwaltung vom eigenen Wohnzimmer aus managen kann. Vier externe Arbeitsplätze seien gerade ins Netzwerk eingebunden. In Büdingen arbeiten schon viele Sachbearbeiter daheim, so Erich Spamer. Er lasse nun „VPN-Tunnel“ schalten, damit auch sensible Daten sicher zu den Heimarbeitern kommen könnten.
Die Bürgermeister haben sich quer über die Gemeinden per Whatsapp vernetzt, berichtet Niddas Verwaltungschef Hans-Peter Seum. So könne man Tipps und Kontakte gut austauschen. Von oben her scheint die Information nicht so gut zu klappen. Wilfried Mogk in Echzell ärgerte sich über den Hessischen Städte- und Gemeindebund. Der sei telefonisch nicht zu erreichen. Dabei brauche man dringend Information, wie die Kommunalpolitik nun zu organisieren sei. „So steht hier eine Gemeindevertretersitzung an, die nicht verschoben werden kann, da es einen Tagesordnungspunkt mit Fristwahrung gibt. Wer werden also die Sitzung nur mit diesem einen Tagesordnungspunkt im großen Saal der Horloftalhalle abhalten, damit alle weit genug auseinander sitzen können.“
In Altenstadt sind alle Veranstaltungen und Politik-Sitzungen vorerst bis zum 19. April abgesagt. Ein Viertel der Gemeinde-Bediensteten arbeitet schon seit Monaten im Home-Office, berichtet Bürgermeister Norbert Syguda. Im Rathaus arbeite man nun verstärkt daran, wichtige Daten aus Papieren zu digitalisieren.
Digitale Parlamentssitzungen in Sicht
In Nidda wird die Kommunalpolitik laut Seum vorerst mit „Umlaufbeschlüssen“ per Mail ablaufen. Allerdings beschwerten sich die Erste Stadträtin Adelheid Spruck und der CDU-Stadtrat Thomas Repp, dass der Bürgermeister ohne Rücksprache mit dem gesamten Magistrat alle Sitzungen bis Ende April abgesagt habe. Das sei sein gutes Recht, erwiderte der parteilose Bürgermeister. Er habe keines wegs vor die Demokratie abzuschaffen. Seum plant, während der Epidemie die Kommunalpolitiker in Videokonferenzen debattieren zu lassen.
In Gedern sagte Bürgermeister Guido Kempel in Absprache mit der Parlamentsvorsitzenden Jennifer Klehm die für Donnerstag geplante Parlamentssitzung ab. Er schloss das Hallenbad komplett und strich auch den für den 29. März geplanten Ostermarkt. Kempel: „Die finanziellen Auswirkungen können wir noch gar nicht abschätzen.“
Die Bürgermeister selber spüren nun mit Staunen, dass ihre Terminhetze abebbt. Sein Kalender werde immer leerer, sagt Erich Spamer. Er könne nun liegengebliebene Akten aufarbeiten. Bei runden Geburtstagen macht er nicht mehr die Honneurs: „Wir schellen und stellen das Geschenk und die Urkunde an die Tür“. Schon geklärt sei, wie in Büdingen künftig Trauungen stattfinden: mit dem Standesbeamten, dem Brautpaar, den Trauzeugen und maximal zehn Zuschauern in einem großen Raum – alle in gehörigem Abstand voneinander. Hochzeitsfeiern wird es bis zum Abklingen der Epidemie nicht geben. Alle Gottesdienste sind auch abgesagt.
Für Beerdigungen gibt es noch keine Lösung
Doch was ist mit Beerdigungen? Erdbestattungen sind problematisch, sagt Spamer. Da stehe man zu dicht beieinander. Und wochenlang verschieben könne man sie auch nicht. Das Problem harrt noch seiner Lösung.
Davon gibt es viele mehr. „Das wird ein Jahr mit großen finanziellen Einbrüchen“, befürchtet Cäcilia Reichert-Dietzel in Ranstadt. Die Gewerbe- und die Einkommensteuer werde spätestens 2021 weniger Geld in die Gemeindekassen bringen als bisher. Keiner weiß außerdem, wie sich die Quarantäne in einigen Wochen anfühlt. Sie wird dauern. „Ich rechne mit mindestens zehn Wochen“, sagt Reichert-Dietzel.