THEATERFEUERWERK

Vorfreude auf Highlights in Gießen

Intendantin Simone Sterr und ihr Team gehen in die zweite Saison am Stadttheater Gießen. Mitten im Herz des Theaters, dem Bühnenraum im Großen Haus, stellten sie ihre Pläne für die Spielzeit 2023/2024 in einer Pressekonferenz vor. Der „Landbote“ berichtet in mehreren Etappen über das vielfältige, hochinteressante Programm. Nachfolgend zuerst die Veröffentlichung der Gesamtübersicht durch die Presseabteilung des Theaters.

Es sind Überraschungen zu erwarten

Das Publikum kann sich auf ein lebendiges und offenes Theater freuen, auf neue Spielorte, neue Kooperationen und einen vielseitigen Spielplan in allen Sparten mit diversen Extras. Außerdem wird Gießen im Sommer 2024 zur hessischen Theatermetropole, wenn die Hessischen Theatertage für ein großes Theaterfeuerwerk sorgen werden.

Theater als ein offener Ort

Das  traditionsreiche Gießener Stadttheater. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)
 

„Zusammenwachsen gilt für die Verbindung zwischen Theater und Publikum“, betonte Simone Sterr. Ein Prozess, „der beglückend, schwierig manchmal, enttäuschend, aber auch berauschend sein kann.“ Das Theater versteht sie als offenen Ort: „Wir möchten für möglichst viele Menschen eine Option sein. Ein Ort der tollen Erlebnisse, der unvergesslichen Ereignisse, der wichtigen Diskussionen, der Schönheit.“ Dazu gehöre es, die Fühler weiter auszustrecken und neue Kooperationen einzugehen.

Den Prozess unterstützt Cennet Alkan, die als Dramaturgin und Mitarbeiterin für Stadtvernetzung neu ins Team gekommen ist. Hervorzuheben sei die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes im Rahmen des Fonds „Zero – Klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte“. Das Programm erlaube ein Experiment: Herausfinden, ob es möglich ist, ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig Kunst zu produzieren. Die gelernten Erfahrungen werden schließlich in der Produktion „Fifty Degrees of Now“ in der Regie der Intendantin umgesetzt.

Moderate Preiserhöhungen angekündigt

Der Geschäftsführende Direktor Dr. Martin Reulecke kündigte moderate Preiserhöhungen an, die wegen der Pandemie ein Jahr ausgesetzt worden waren. Das Theater müsse den allgemeinen Teuerungen Rechnung tragen, behalte aber die Kaufkraft der Region im Blick. Wenn die Ticketpreise künftig im Schnitt zwischen 5 und 10 Prozent angehoben werden müssen, sind davon die höheren Preisgruppen mehr betroffen als die unteren. Manche Preiskategorien werden gar nicht angehoben, so dass die Preise im Vergleich mit anderen Theatern am unteren Rand der Preisskala bleiben. Weiterhin kommen Studierende der Gießener Hochschulen über den Semesterbeitrag kostenfrei ins Theater.

Spielplan für Kinder und Jugendliche

Als erste Sparte präsentierte das Junge Theater seine Pläne. Die Künstlerische Leiterin Mathilde Lehmann stellte einen Spielplan für Kinder und Jugendliche vor, der in die Breite gehen und mehr Altersgruppen ansprechen möchte. Angefangen mit Stücken für die ganz Kleinen ab 3 Jahren wie „Der Bär, der nicht da war“ im Kleinen Haus gibt es spartenübergreifende Projekte und Angebote, bei denen Jugendliche selbst mitmachen und gemeinsam erforschen können, was eine bessere Welt ausmacht.

Als neue Formate gibt es die mobile Produktion „Popcorn oder Einsame Explosionen“, mit der sich das Theater auf den Weg in den Landkreis macht zu Einrichtungen, die sich mehr Theater in ihrem Schulalltag wünschen, während sich das partizipative Projekt „20.000 Meilen unter dem Meer“ (ab 7 Jahren) im Hörsaal der Hermann-Hoffmann-Akademie mit dem Klimawandel auseinandersetzen wird.

Als Familienstück ist ab November ein Klassiker der Kinderliteratur im Großen Haus zu erleben: „Vorstadtkrokodile“ in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Gießen. Als Theaterpädagogin wird Denitsa Stoyanova das Haus künftig im Prozess der Alters-Diversifizierung und Erschließung neuer Zuschauer:innengruppen unterstützen, u.a. mit einem interdisziplinären Workshop-Programm für verschiedene Altersgruppen.

„Rigoletto“ sieht Rollendebuts vor
Giuseppe Verdis „Rigoletto“ ist in den Programmreigen eingebunden.  (Quelle: Porträt von Giovanni Boldini, 1886), Galleria Nazionale d’Arte Moderna, Rom, Ruiz-Healy Times: „De 1813 – Nació Giuseppe Verdi„, by Eduardo Ruíz-Healy. Published 10 October 2014; Accessed 1 July 2015.)
 

Ann-Christine Mecke, die Künstlerische Leiterin des Musiktheaters, konnte in ihrer Sparte auf mehrere Besetzungshighlights verweisen, die sich aus dem sechsköpfigen Ensemble speisen. Der Spielplan sei auch davon geprägt, „dass wir allen Ensemblemitglieder die Gelegenheit geben möchten zu zeigen, was sie können und mit ihren besonderen Fähigkeiten zu leuchten.“ Giuseppe Verdis „Rigoletto“ sieht Rollendebuts für Grga Peroš und Annika Gerhards vor, Julia Araújo wird in Tschakowskis „Eugen Onegin“ ihre erste Tatjana singen. Händels streckenweise sehr komische Oper „Xerxes“ kündigte Mecke als „Fest der hohen Stimmen“ an, das von dem namhaften russischen Regisseur Philipp Grigorian in Szene gesetzt wird, der in seinem Heimatland an den großen Häusern tätig war. Mit Bizets „Die Perlenfischer“ wird es eine konzertante Oper geben: „Eine der größten Partien in dieser Oper und der gesamten Spielzeit hat der Opernchor des Stadttheaters“. Der aus „Tosca“ bekannte Tenor Michael Ha kehrt mit drei großen Partien ans Stadttheater zurück.

Kabarett-Operette von Franz Lehár im Programm

Zwei unbekanntere Projekte stellte Musikdramaturg Christian Förnzler vor: „Mitislaw, der Moderne“, eine Kabarett-Operette von Franz Lehár aus dem Eröffnungsjahr des Stadttheaters 1907, außerdem „Curlew Love Songs“, das Benjamin Brittens „Curlew River“ mit einer Uraufführung von Cymin Samawatie für Frauenchor verbindet und im besonderen Ambiente der Johanneskirche aufgeführt wird, als Kooperation mit dem Stadttheater Aachen.

Anregungen des Publikums werden realisiert
Die Johanneskirche in Gießen wird in eine Aufführung eingebunden. (Foto: Wikipedia, Wikiwal)

Generalmusikdirektor Andreas Schüller freute sich, dass in die Gestaltung des Konzertprogramms zahlreiche Anregungen aus den Reihen des Publikums aufgenommen werden konnten. Darunter mehrere Gießener Erstaufführungen aus einem Zeitraum von 250 Jahren, die jeweils mit bekannteren Stücken gepaart werden. So stehen sich beispielsweise im ersten Sinfoniekonzert eine Sinfonie der Amerikanerin Florence Price dem berühmten „Konzert für Orchester“ von Béla Bartók gegenüber, im 7. Sinfoniekonzert spielt das Philharmonische Orchester ein Werk des Komponisten Julius Röntgen, einem weitläufigen Cousin Konrad Röntgens.

Im 3. Sinfoniekonzert verbindet sich das Gießener Orchester mit der Philharmonie Südwestfalen zu einem riesigen Klangkörper, was die Aufführung von Richard Strauss‘ „Ein Heldenleben“ möglich macht, die aus Platzgründen in der Kongresshalle stattfinden muss. Auch das HR-Sinfonieorchester wird wieder in Gießen gastieren. Zu den acht Sinfoniekonzerten kommen zwei Chorkonzerte, drei Kinder- und Familienkonzerte sowie das „Junge Podium“ mit jungen Absolvent:innen der Hochschule für Musik und Theater Frankfurt (früher: „Examenskonzerte“). Das Neujahrskonzert unter Schüllers Leitung wird wegen des großen Zuspruchs wieder zweimal aufgeführt, das Format der beliebten Preview-Konzerte wird fortgesetzt.

Tanz-Spielplan mit einigen Uraufführungen

„Wir werden weiter forschen, was Physical Theatre und Tanz sein kann und Körper schwitzen lassen“, so Constantin Hochkeppel, Künstlerischer Leiter der Tanzsparte. Zusammen mit Dramaturgin Caroline Rohmer freut er sich auf einen großen Facettenreichtum bei den eingeladenen Choreographinnen und Gastspielen von Kompagnien aus Deutschland und Österreich, darunter KimchiBrot Connection und die editta braun company. Inhaltlich möchte der Tanz-Spielplan mit einer Reihe von Uraufführungen „neue Wahrnehmungsmöglichkeiten des Tanzes anbieten“ und sich „in die Tiefen der menschlichen Psyche stürzen“.

Allen Stücken sei gemein, dass die Ensemblemitglieder mit ihren Persönlichkeiten und Wünschen in die Produktionsprozesse aktiv eingebunden werden. So darf man auf Überraschendes und Unvorhergesehenes gespannt sein, etwa bei der Eröffnungsproduktion „Ghost – Geister, das Ursina Tossi für Menschen mit Sehbehinderung auf einer der Probebühnen in der Bahnhofstraße inszeniert. Hochkeppel selbst wird zwei Produktionen inszenieren: „Die andere Seite“ fragt mit Mitgliedern des Schauspiels nach dem Übergang vom Wachzustand zum Schlaf sowie den Inhalten unserer Träume als Individuen und Gesellschaft. Mit „in decent times“ aktualisiert Hochkeppel gemeinsam mit dem Ensemble eine ältere Inszenierung als humorvollen Reigen über die moralischen Grundfesten unserer Gesellschaft.

„Woyzeck“ und die Musik von Tom Waits
Die Saison beginnt mit einem klassischen Stoff und einem, der kein gutes Leben hat: Georg Büchners „Woyzeck“ mit der Musik von Tom Waits. (Fotoquelle: Gut, Anna Wittenberg)

In der Schauspielsparte knüpft Simone Sterr mit den Dramaturg:innen Lena Meyerhoff und Tim Kahn an den begonnenen Kurs eines zeitgenössischen, internationalen Spielplans an, mit neuen originären Stücken, die brennende Fragen der Gegenwart zu Dramatik verdichten. Im Kern fragen die Inszenierungen des Schauspiels danach, was ein gutes Leben ausmacht. Die Saison beginnt mit einem klassischen Stoff und einem, der kein gutes Leben hat: Georg Büchners „Woyzeck“. Die Musik von Tom Waits fasst das Dunkle wie das Poetische, den großen Traum und die ernüchternde Realität in ein musikalisches Ereignis zur kraftvollen Spielzeiteröffnung.

Mit der Überschreibung von Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ von Felicia Zeller platziert die Autorin den Text im heutigen akademischen Milieu und stellt – humorvoll und parodistisch – die sehr ernst gemeinte und heutige Frage nach dem guten Familienleben aus weiblicher Perspektive. Die Weltuntergangskomödie „Apokalypse Miau“ von Kristof Magnusson nimmt mit absurdem Humor, bitterböse und radikal diejenigen in den Blick, die es in ihrer Kunst- und Theaterblase besser zu wissen glauben und sich in einer großen Gala selbst feiern.

Eine Abrechnung mit der Romantik des Internets als Utopie liefert Eva Leighs „Midnight Movie“, das in Traumwelten und konstruierte Realitäten führt. Utopien und die Frage der Koexistenz von Mensch und Natur spielt in der Uraufführung „Neometropolis“ von Pa To Yan eine Rolle, dessen Stück „Posthuman Journey“ dem Theater eine eindrückliche Eröffnung dieser Saison verschaffte. Die Erstaufführung „Stadt Land Flut“ knüpft nahtlos an und stellt die Frage nach den richtigen Methoden in der Bewältigung der selbst verschuldeten Klimakrise.

Tatsächliche Vorschläge, was sich in einem „Parlament für die Zukunft“ beschließen ließe, untersucht die gleichnamige Reihe in Kooperation mit den Wissenschaftler:innen Claus Leggewie und Liza Bauer, unterstützt von der Heinrich Böll Stiftung.  Der hessische Western „Bettina“ von Chiara Marcassa (in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Theaterwissenschaft Gießen und der Hessischen Theaterakademie) sowie „Gelbes Gold“ von Fabienne Dür (als Koproduktion mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt und der Hessischen Theaterakademie) zeigen, wie offen das Stadttheater für den Regienachwuchs ist.

Das neue Spielzeitheft liegt ab sofort im Theater und im Haus der Karten aus.

Der Spielplan 2023/2024 ist auch ab sofort unter der Adresse www.stadttheater-giessen.de einsehbar.

Titelbild: Von links (vorne):

Simone Sterr (Intendantin und Künstlerische Leiterin Schauspiel), Ann-Christine Mecke (Künstlerische Leiterin Musiktheater), Mathilde Lehmann (Künstlerische Leiterin Junges Theater), Tim Kahn (Dramaturg Schauspiel), Christian Förnzler (Dramaturg Musiktheater und Konzert), Caroline Rohmer (Dramaturgin Tanz und Stellvertretende Künstlerische Leiterin Tanz), Constantin Hochkeppel (Künstlerischer Leiter Tanz)

Hintere Reihe (stehend): Lena Meyerhoff (Dramaturgin Schauspiel), Cennet Alkan (Dramaturgin und Mitarbeiterin für Stadtvernetzung), Andreas Schüller (Generalmusikdirektor), Dr. Martin Reulecke (Geschäftsführender Direktor). (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

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