Sinclair-Haus

Wälder aus drei Perspektiven

Von Corinna Willführ

„Wälder“: ein eher unspektakulärer Titel, unter dem sich drei Museen für ein Ausstellungsprojekt zusammengeschlossen haben. Ihr Anliegen ist es, auf die Bedeutung der Wälder in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft hinzuweisen . „Von der Romantik in die Zukunft“ lautet denn der Untertitel, unter dem das Romantik-Museum und das Senckenberg-Museum in Frankfurt sowie das Sinclair-Haus in Bad Homburg sich dem Thema widmen. Also auf „In die Wälder“ – zunächst in die Ausstellung des Sinclair-Hauses in Bad Homburg.

Wald-Kunst im Sinclair-Haus

Auf die Aufforderung „In die Wälder! “ trifft, wer das Erdgeschoss des Sinclair-Hauses gegenüber der Bad Homburger Erlöserkirche betritt. Und sich im ersten Stock, weil derweil in Parterre eine Führung stattfindet, mit Scheu zunächst kaum wagt, auf einer bräunlich-grünen zusammengefügten Kissenlandschaft Platz zu nehmen. Könnte ja ein Kunstobjekt sein.

Hier ist ein gestürzter Baum zu weißer Asche verbrannt. Yann Arthus-Bertrand hat in nahe der Gorohoui-Kongoli-Berge in der Elfenbeinküste fotografiert. Foto: Sinclair-Haus

„Schon gut, Sie dürfen sich ruhig setzen“, ermuntert die Museumsaufsicht. Die Unterlage ist weich, samtig ihre Oberfläche. Keine Tannennadel pikst, kein Insekt krabbelt über die Beine. Auch fehlt der Moos- oder Modergeruch, der dem Wald eigen ist. Auch der des üppigen Blattgrüns, das zur Zeit den Wald bestimmt – zumindest den in hiesigen Regionen.

Der Wald ist zu sehen, hören, riechen

Hören, Fühlen, Riechen: Der künstlerische Aspekt in der Museumskooperation hat (nicht nur), aber zuerst die visuelle Wahrnehmung und ihre künstlerische Ausdrucksform von der Romantik bis heute im Fokus.

„Erdlebenbilder“ unter dem Titel „Paradise 21“ von Thomas Struth laden zum Verweilen ein. „Die großformatigen Bilder ziehen die Betrachter:innen hinein in zahlreiche Szenen mit Tiefenschärfe“, gibt einem das Programmheft mit auf den Weg. Dieser führt zu weiteren Wald-Landschaften – auf einem anderen Kontinent. Etwa mit dem Exponat „Territorio de montes firme“, einer Arbeit von Abel Rodriguez – farbige Tinte auf Papier. Auf ihr hat der im Amazonas-Becken in Kolumbien geborene Mogaje Guihu, ein Angehöriger der indigenen Nonuya, sein Wissen und seine Wahrnehmungen aus der steten Beobachtung der Pflanzenwelt seiner Umgebung in Zeichnungen umgesetzt hat. Wobei diese unterschiedliche „Rollen“ übernahmen: als Nahrungsmittel oder etwa als Bestandteile von Riten.

Der Birken- und Kiefernwald bei Jüterbog ist von einem Feuer gezeichnet. Thomas Wrede hat die nackten Stämme fotografiert. Foto: Sinclair-Haus

Genauer zu datieren dagegen sind die Arbeiten im Themenfeld „Waldangst – Waldlust“. Darunter auch der Scherenschnitt-Animationsfilm vom Lotte Reiniger aus dem Jahr 1954 „Hänsel und Gretel“. Oder „Baumbart, Hüter des Waldes“ aus einer Privatsammlung. Der „Baumbart“ ist der gleichnamigen Figur aus dem Roman „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“ (1954 von J.R.R. Tolkien nachempfunden (2023, Eaglemoss Publications Ltd.). Eine Karikatur aus den „Fliegenden Blättern“ zeigt, dass das Verhältnis Mensch-Baum schon früher – trotz aller romantischen Gefühle für den Forst – kein gleichwertiges war. In der Zeichnung ist es ein Baum, der einen Menschen zersägt.

Der Duft eines Baumes lässt sich destillieren

Die wohl ungewöhnlichste Erfahrung in der Ausstellung dürfte der Besucher machen, wenn er zur Installation „One Tree ID – How to become a Tree for Another Tree“ von Agnes Meyer-Brandis, Jahrgang 1973, kommt. Vor sich Destillationsgeräte, über Ohrhörer Erläuterungen zur Herstellung einer Essenz aus den unterschiedlichen Teilen einer Himalaya-Zeder (von der Wurzel über den Stamm bis zur Krone) mit Duftproben, die aus deren Extrakt gewonnen wurden. Eine wirkliche Inszenierung kommt hinzu: Denn die „Installation“ eröffnet im Blick aus dem Fenster hinter ihr die Aussicht auf die markantesten Bäume im Bad Homburger Schlosspark: das Libanonzedern-Paar, gepflanzt 1822.

Der Baumfrevel ärgerte schon 1852 den unbekannten Zeichner dieses Bildes in den „Fliegenden Blättern“. Er malte aus, wie es wohl wäre, wenn sich die Bäume am Menschen rächen könnten. Foto: Sinclair-Haus

Viel Bäume gesehen. Duster mit Lichteinfall ästhetisch in Öl auf Leinwand von Carl Friedrich Lessing im 19. Jahrhundert unter dem Titel „Waldlandschaft in sonniger Beleuchtung“ umgesetzt. Den „Sterbenden Urwald nach dem Sturm“ von August Cappelen (1827-1852) als frühere Katastrophe eines Klimaphänomens wahrgenommen. Registriert, dass auch eine Fotografie zum Protest im Hambacher Forst Eingang in die Schau gefunden hat. Statements von renommierten Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern zur zunehmenden Offenheit gegenüber den unterschiedlichen Ansätzen der Wahrnehmung ihrer Arbeit über Kopfhörer gehört. Momente verweilt beim Lesen der Zitate von Bettina von Arnim an den Wänden aus deren Briefroman „Die Günderode“. Um durch die Präsentation der Objekte aus mehreren Jahrhunderten nachvollziehen zu können, „dass ein poetisches Verständnis von Natur, verbunden mit faktenbasiertem naturwissenschaftlichen Erkenntnissen unverzichtbar ist, um den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.“

In drei Museen geht es um den Wald

„Die Ausstellung lädt dazu ein, Verbindungen zwischen romantischen und zeitgenössischen Vorstellungen von Wald zu erkunden – auch und gerade vor dem Hintergrund aktueller ökologischer Krisen“, heißt es im Programmheft. Wer sich intensiver mit dem Waldumbau, dem Sterben der Wälder informieren möchte, kann sein Wissen in der Ausstellung des Senckenberg-Museums erweitern oder untermauern. Tipp drei für die interdisziplinäre Entdeckungsreise ist ein Besuch im Romantik-Museum. Beide Häuser stehen in Frankfurt.

Schön, schaurig und morbide ist dieses Ölgemälde von August Cappeler aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sein Titel: „Sterbender Urwald nach dem Sturm“. Foto: Sinclair-Haus

Mit geschärfter – teils auch unerwarteten Vor- und Einstellungen – wird man nach den Museumsbesuchen das Ökosystem Wald regional wie global, einst und jetzt, betrachten. Eines können die Ausstellungen nicht ersetzen: die persönliche Erfahrung, ob in einem Buchenwald, unter abgestorbenen Fichten oder unter alten Eichen zu wandeln. Also: „In die Wälder“.

Die Ausstellungen der drei Museen sind bis 11. August geöffnet – zu unterschiedlichen Zeiten. Für den Besuch der Drei gibt es ein Ticket zum Preis von 18 Euro.

Zu seiner Ausstellung „Wälder – Von der Romantik in die Zukunft“ bietet das Sinclair-Museum in Bad Homburg noch bis 11. August 2024 zahlreiche Veranstaltungen an. So etwa Führungen für Familien und Gruppen. Experten leiten darüber hinaus spezielle Angebote.

So wird Dr. Stephan Scholz von der katholischen Akademie Rabanus Maurus am Donnerstag, 11. Juli, ab 17 Uhr einen „Philosophischen Streifzug“ durch den „Märchenwald“ anbieten. Am 5. Juli bietet das Sinclair-Haus einen Abend mit dem Romantikforscher Wolfgang Bunzel unter dem Titel „Apero & Kunst“ an. „1:1 – Kunst und Natur im Gespräch heißt es jeweils freitags ab 15.30 Uhr.

Noch ein Hinweis auf den Podcast „Art’n’Vielfalt“, der dreiteiligen Reihe zur Ausstellung. Zu sehen und hören ist er über Spotify, Deezer und Soundcloud unter www.museum-sinclair-haus.de/podcast. Ein besonderes Erlebnis dürfte die Veranstaltung mit Lesung und Musik „Waldeslust – ein romantischer Sommerabend im Museumshof“ am Mittwoch, 26. Juni, ab 19 Uhr werden. Der Abend wird gemeinsam mit Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt gestaltet

www.museum-sinclair-haus.de

www.waelder.ausstellung.de

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