Legende und Wirklichkeit
Von Corinna Willführ
Der Film „Der Schinderhannes“ aus dem Jahr 1958 in der Regie von Helmut Käutner mit Curd Jürgens als Johannes Bückler und Maria Schell in der Rolle seiner Lebensgefährtin Juliana Bläsius genießt bis heute Kultstatus. Ellenlang sind die Literaturhinweise im Internet auf Veröffentlichungen und Studien zum Leben und Wirken des Mannes, der am 21. November 1803 mit 19 weiteren Männern in Mainz durch die Guillotine hingerichtet wurde. Vielen galt und gilt Johannes Bückler bis heute als „rheinischer Rebell“, als „Robin Hood aus dem Hunsrück“. Christian Vogel sieht das anders. In seinem neuen Buch „entzaubert“ der Niddataler Historiker den Mythos des Schinderhannes, dem „bekanntesten deutschen Räuberhauptmann“.Die Hinrichtung als Spektakel
„Der Andrang des Publikums war ungeheuer“ als am 21. November 1803 das Todesurteil an Johannes Bückler in Höhe der Weisenau bei Mainz vollstreckt wurde. Binnen nicht einmal einer halben Stunde wurden der als Schinderhannes bekannte Räuber und weitere 19 Männer durch die Guillotine hingerichtet. Hatte der Sohn eines vormaligen Abdeckers, also eines „Schinders“ aus dem Hunsrücker Vorland, schon für Schlagzeilen gesorgt – auch damals gab es sie bereits – entstanden nach seiner Verhaftung, der anschließenden „Procedure contre Jean Buckler“ vor dem französischen Gerichtstribunal in Mainz und schließlich nach dessen Todesurteil unzählige Berichte über ihn. Manche Publikationen erhoben den Mann mit dem schütteren Haar, der geraden Nase und den geschwungenen Lippen, der seines Wesens nach als durchaus charmant galt, zu einem deutschen Robin Hood. Zu einem Helden, der von den Reichen nahm und manches den Armen gab. Der vor allem mit seinem ungestümen Verhalten einer schien, der die bestehenden Verhältnisse mit ihren Regeln nicht akzeptierte, sondern um eines besseren Lebens Willen manches Gesetz brach.
Mehr als ein Jahrhundert später, 1925, erschien das mehr als 250 Seiten und mit vielen zeitgenössischen Bildern illustrierte Werk von Dr. Curt Elwenspoek. Der Autor, ein Jurist, erklärte sein Buch zur: „ersten kritischen Darstellung nach Akten, Dokumenten und Überlieferungen. Der Titel lautet schlicht: „Schinderhannes“, die Unterzeile „Der rheinische Rebell.“ Zwei Seiten nach dem Buchdeckel ist Jean Bückler während seines Prozesses auf einem dem Mainzer Maler K.H. Ernst zugeschriebenen Portrait zu sehen. Darunter wird er zitiert: „Ich habe ein ehrliches Gesicht, welches sich nicht zu schämen braucht; wer sich fürchtet, muss sich umkehren“.
Der Mythos wird entzaubert
Christian Vogel, in Niddatal-Assenheim lebender Historiker, indes zeichnet in seinem Buch „Schinderhannes, Schwarzer Jonas und andere Räuber, die nie eine Bande waren (1801-1803)“ ein gänzlich anderes Bild von dem Mann, der zu „einem Mythos in der deutschen Geschichte wurde.“ Seine circa 400 Seiten umfassende Publikation erscheint Anfang 2020. Sie enthält zahlreiche Abbildungen, Fotos und Faksimiles. Mit ihren mehr als 700 Fußnoten rechnet Christian Vogel erst einmal mit einer Leserschaft aus dem wissenschaftlichen Bereich. Doch in der Folge der Rezeption seiner Publikation könnte der „Mythos vom Schinderhannes“ insgesamt ins Wanken geraten.
Mehrere Thesen sind es, die sich aus der jahrelangen Beschäftigung mit dem Schinderhannes für Christian Vogel herauskristallisiert haben. Die eine: Johannes Bückler war nie der Hauptmann einer bleibenden Räuberbande. Lediglich zwei, drei Getreue, jeweils nach kurzer Zeit wechselnde Kumpane hätte er stets an seiner Seite gehabt. „Ab und an waren es auch mal einige mehr.“ Zwar ließen sich in seinem Umfeld historisch kriminell auffällige Personen wie der „Schwarze Jonas“ nachweisen, doch „kann man in keiner Weise von einer kontinuierlich bestehenden Bande sprechen, die der Schinderhannes um sich geschart hätte.“ Geboren in Miehlen im Taunus „und in entscheidenden Jahren in Böhmen, kam er mit seinem aus dem Hunsrücker Vorland stammenden Vater und seiner aus Miehlen stammenden Mutter erst mit zehn Jahren in das Hunsrücker Vorland. Den Hohen Hunsrück hat er in den letzten, entscheidenden Jahren seines Lebens nur noch gestreift.“ Die Recherchen von Vogel bestätigen das bereits von dem Wiesbadener Archivar Gensicke ermittelte Geburtsdatum des Schinderhannes im Oktober 1777.
Ein ums andere Mal entwischt er seinen Häschern
Nachdem der 78jährige die zeitgenössischen, von der französischen Justiz stammenden Drucke, die sonstige Literatur und die einschlägigen historischen Dokumente in den Staatsarchiven von Darmstadt, Wiesbaden, Würzburg und Marburg wie auch die Unterlagen im Frankfurter Stadtarchiv gesichtet und ausgewertet hat, widerspricht er in seinem Buch auch dem Bild vom Schinderhannes als dem „rheinischen Rebell“. Eine bewusste Rebellion gegen die bestehenden Verhältnisse sieht Christian Vogel in den Delikten, die Johannes Bückler begeht, nicht. Vielmehr ein Bedürfnis des „einfachen Volkes, in einer Zeit, in der sich das Heilige Römische Reich auflöste, die Welt aus den Fugen geraten war“ nach einem, der sich gegen „fremde Herrscher“ widersetzte. Selbst wenn er ein Räuber war. Die „fremden Herrscher“: Französische Truppen und Behörden, die seit 1801 das linksrheinische Deutschland besetzt hielten.
Als der Schinderhannes 1799 verhaftet wird, soll er bereits Dutzende Vieh- und Pferdediebstähle begangen haben. Ein ums andere Mal entwischt er noch seinen Häschern, begeht weitere Straftaten. Räuberische Einbrüche, ja, Körperverletzungen auch, aber ein Mord konnte ihm nie nachgewiesen werden. Ende Mai 1802 wird er Opfer einer Denunziation. In seinen letzten anderthalb Jahren in Freiheit wich Schinderhannes auf das rechte Rheinufer aus. Dort betätigte er sich als Händler Jakob Ofenloch, ging aber regelmäßig zu Überfällen zurück auf die linke Rheinseite. Französischer Druck führte im Frühjahr 1802 zu allgemeinen Fahndungsmaßnahmen nach ihm. In diesem Zusammenhang geriet er Anfang Juni in Runkel an der Lahn in Haft, wurde aber nicht erkannt. Als er sich auf die Anwerbung durch kaiserliches Militär einließ, um wieder aus der Haft zu kommen, verriet ihn der Bruder des Verlobten der Schwester des Schwarzen Jonas aus persönlichen Gründen. Jean Bückler landet zunächst in der Hauptwache, dem Gefängnis der Freien Reichsstadt Frankfurt. Er weiß, dass auf die Verbrechen, die ihm vorgeworfen werden, die Todesstrafe steht. Er hofft, nicht an die französische Gerichtsbarkeit ausgeliefert zu werden. Doch er wird den Franzosen überstellt und im Holzturm zu Mainz inhaftiert. 16 Monate dauert die Voruntersuchung, bis es zum Prozess kommt. Dem Delinquenten werden 565 Fragen gestellt. Er beantwortet sie ausführlich. Es sollen mehr als einhundert Menschen gewesen sein, die er schließlich als Mitwisser oder Mittäter nennt. Vor dem Tribunal werden schließlich 67 Personen angeklagt. Darunter auch sein Vater, der 22 Jahre „Kerkerstrafe“ erhält, in der er schon im Dezember 1803 stirbt. Seine Geliebte Julchen, die Mutter des gemeinsamen Sohnes Franz Wilhelm, wird zu einer zweijährigen Haft verurteilt.
Martialische Machtdemonstration
„Um seinen Kopf zu retten, hat der Schinderhannes Menschen aufs Schafott gebracht, die auch nach damaligen Maßstäben die Todesstrafe nicht verdient hatten und nur Opfer Napoleonischer Sondergesetze wurden. Christian Vogel. „Er ist ein großer Verräter“. Die Anklageschrift umfasst 72 Seiten. Allein die Verlesung dauerte eineinhalb Gerichtstage. Die ebenfalls gedruckte „Procedure contre Jean Bückler, dit Schinderhannes“ umfasst in drei dicken Bänden auf mehr als 3000 Seiten die Protokolle, Zeugenaussagen und sonstige Dokumente. Protokolle aller Zeugenaussagen umfassen mehr als 3000 Seiten, so Christian Vogel. Mit der Hinrichtung des Schinderhannes und weiterer 19 Männer habe die französische Besatzungsregierung in Mainz auf martialischste Weise ihre Macht demonstrieren wollen. Und damit zum Mythos vom Schinderhannes als einem bewussten Rebell gegen die herrschenden Verhältnisse beigetragen, den er gar nicht erfüllte.
War der Schinderhannes schon zu Lebzeiten eine Legende, beflügelte das Spektakel der Massen-Hinrichtung am Neutor außerhalb der Stadt Mainz mit 30.000 Zuschauern die Phantasie. Christian Vogel: „Es gab zwar alsbald seriöse Biographien von französischen Justizbeamten. Die meisten Flugschriften, die damals entstanden entbehren allerdings jeglicher reellen Grundlage.“ Und wie sieht es mit dem Film mit Kultstatus aus: „An dem Bild vom Schinderhannes, das dieser vermittelt, stimmt eigentlich gar nichts.“
Und was ist mit dem Schwarzen Jonas? Dem Räuber hat Christian Vogel – wie weiteren Mitstreitern des Schinderhannes – ein eigenes Kapitel gewidmet. Aus besonderem Grund: „Er hat einen Teil seiner Jugend in Florstadt und Wickstadt verbracht und auch mal im Assenheimer Schloss eingesessen.“ Er hatte den Ruf eines „Berufsverbrechers“, ein „Mordbrenner“ sei er indes nicht gewesen, so der Assenheimer Historiker. Doch auch er starb am 21. November 1803 unter dem Fallbeil.
Christian Vogel „Schinderhannes, Schwarzer Jonas und andere Räuber, die nie eine Bande waren (1801-1803)“, 400 Seiten mit zahlreichen Abbildungen erscheint Anfang 2020.