Protest gegen Landvernichtung
Von Detlef Sundermann
Die Rewe Zweigniederlassung Mitte will ihr Frischelager in Rosbach sowie das Logistigcenter mit Tiefkühl- und Trockenprodukten in Hungen (Kreis Gießen) an einen Standort zusammenlegen, um die Warenverteilung an Filialen von Kassel bis an den Rand der südlichen Wetterau effizienter zu betreiben. Der Handelskonzern hat sich für sein Vorhaben eine Fläche zwischen der Autobahn 45 und dem Wölfersheimer Ortsteil Berstadt ausgeguckt. 300 000 Quadratmeter Ackerboden werden damit weitgehend unter Beton für Gebäude, Lade- und Verkehrsfläche verschwinden. Das Projekt stößt auf Protest.
Grüne, Bauern und Kirchen dagegen
Das Gemeindeparlament hat der Rewe-Ansiedlung mehrheitlich zugestimmt. Der Regionalverband ist dem Vernehmen nach dem Vorhaben positiv eingestellt. Die Kreis-Grünen äußerten jedoch als eine der ersten in einem offenen Brief erhebliche Bedenken. Sie fordern die Grundbesitzer zu Widerstand beim Verkauf auf. Das Logistikcenter soll 2020 eröffnet werden. Auch Bauernverband, Kirchen und Umweltinstitutionen im Kreis geht das Bauvorhaben zu weit. In einer gemeinsamen Resolution „Stoppt den dramatischen Flächenverbrauch und die Landschaftszerstörung durch Bauflächen und Straßenbau“ fordern sie die Verantwortlichen zum Umdenken auf – und das nicht nur in Sachen Rewe.
Wozu eines neue Rewe-Verteilzentrum?
In Hungen und Rosbach reicht die Lagerfläche seit geraumer Zeit nicht mehr, heißt es von Rewe Mitte in Rosbach. Ein Ausbau sei nicht möglich oder von der räumlichen Lage her betrachtet ungünstig. „Besonders beim Feiertagsgeschäft wird es eng“, sagt Anja Krauskopf, Pressesprecherin bei Rewe Mitte, auf Anfrage des „Landboten“. Zudem sei das Sortiment im Laufe der Jahre auf mehr als 23 000 Artikeln gewachsen. Zwischen Hungen und Rosbach gebe es damit immer mehr Querverkehr etwa für Leergut, was für die Bewohner der Kommunen entlang der B 455 nicht gut sei, der Umwelt und den Betriebsausgaben nicht gut tue, heißt es. Aber auch der straffe Expansionskurs der Supermarktkette Rewe verlangt nach einem größeren und effizienterem Logistikcenter mit einer Fläche von 100 000 Quadratmetern, räumt Anja Krauskopf ein.
Laut Rewe entsprechen die Großlager in Rosbach und Hungen kaum den selbstgesetzten Nachhaltigkeitsanforderungen beim Energieverbrauch und der Gestaltung der Außenanlage, die in Wölfersheim in Kooperation mit dem Nabu entstehen soll. Ein erhebliche Manko bestehe ebenso bei den derzeitigen Arbeitsplätzen, die alles anderes als den heutigen Forderungen nach Arbeitsplatzergonomie gerecht würden. Als Vorbild für Wölfersheim nennt Krauskopf das 2014 eröffnete Zentrallager bei Neu-Isenburg (Kreis Offenbach), das rund ein Drittel kleiner ist als das künftige in der Wetterau und von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mit der Gold-Medaille ausgezeichnet worden ist, sagt Krauskopf. Ob die Architektur aus Neu-Isenburg weitgehend auf Wölfersheim übertragen wird, ist noch nicht bekannt. Das „RED 62“ ist knapp 370 Meter lang, gut 172 Meter breit und 30 Meter hoch. Ungeklärt sei für Wölfersheim noch der Automatisierungsgrad. In einem modernen Hochregallager, wie es etwa seit wenigen Jahren die Hassia in Bad Vilbel betreibt, holt der Mensch nichts mehr aus den Regalen.
Gibt es neue Jobs?
Nicht wirklich. Mit dem Neubau werden Arbeitsplätze verlagert, erläutert Pressesprecherin Kraushaar. In Wölfersheim sollen einmal rund 550 Beschäftige (darunter ein nicht geringer Anteil sind Fahrer) bei Rewe Mitte unter Vertrag stehen – und das augenscheinlich noch gar nicht einmal sehr zu Lasten der Altstandorte Rosbach und Hungen. Die Betriebe bleiben weiterhin in Hand des Konzerns, sie sollen von Tochterunternehmen genutzt werden. In Hungen werden rund 200 Jobs etwa in Servicecenter, Verwaltung und Werbung entstehen, heißt es. In Rosbach verbleibe die Logistik für die Penny-Märkte der Rewe-Gruppe.
Entsteht mehr Lastwagenverkehr?
Wie die Arbeitsplätze wird auch der Verkehr verlagert, auf die Autobahn 45. Dort steigt seit Jahren das LKW-Aufkommen – und das nicht nur weil die A45 als Umleitung fungiert, wenn sich auf der A5 zwischen Gambacher Dreieck und Frankfurt nichts mehr oder kaum noch was bewegt. Dass sich auf der A45 in den Spitzenzeiten in der rechten vom Schwerverkehr malträtierten Fahrspur die LKWs wie Perlen auf der Schnur reihen, hängt gleichfalls mit der wachsenden Zahl an Großlogistikbetrieben in Hanau, Erlensee, Neuberg und Langenselbold (alle Main-Kinzig-Kreis) zusammen. Damit noch nicht genug. An der A45 bei Hammersbach (Main-Kinzig-Kreis) soll im Drei-Kommuneneck Büdingen-Limeshain-Hammersbach auf 24 Hektar Ackerfläche ebenfalls ein riesiger Warenumschlagplatz entstehen. Ein Bauplatz für ein knapp 80 000 Quadratmeter großes Lagerhaus ist schon verkauft. Über den künftigen Mieter schweigt sich der Investor noch aus. Viele Fahrzeugbewegungen mit dem geplanten Standort Wölfersheim entstehen, darüber kann Rewe keine Auskunft geben.
Wer ist für den Rewe-Neubau und warum?
Im Gemeindeparlament haben die Fraktionen von CDU, SPD und FWG pro Rewe votiert. Die Grünen stimmten dagegen, ebenso in der Kammer des Regionalverbands. Dort wurde das Änderungsverfahren im Flächennutzungsplan für ein neues Gewerbegebiet vor Berstadt mit insgesamt 40 Hektar (30 Hektar davon für Rewe) mit Stimmen von SPD und CDU auf den Weg in die Regionalversammlung Südhessen gebracht, wo im Herbst über das Vorhaben angestimmt wird. Wölfersheims Bürgermeister Rouven Kötter (SPD) brennt ebenfalls für Rewe. 550 Arbeits- und 20 Ausbildungsplätze werden in die Gemeinde geholt, fährt er als Hauptargument auf. Jobs gegen Flächenverbrauch zu stellen, hält er für nicht angemessen – zumindest nicht für seine Gemeinde. „Es handelt sich nur um ein Prozent der Ackerfläche auf Wölfersheimer Gemarkung“, sagt er. Auf ähnliche Art und Weise spricht sich die Kreisspitze für das neue Logistikzentrum aus. Es wird den Landwirten „auch in Zukunft eine immense Bedeutung bei der Erhaltung der Kulturlandschaft“ zu gemessen, aber ebenso den „ansässigen gewerblichen Betrieben“, heißt es. Es gebe in diese Angelegenheit kein „entweder oder“, sondern nur ein „sowohl als auch“, notieren in einer gemeinsamen Stellungnahme Landrat Joachim Arnold (SPD) und Erster Kreisbeigeordneter Jan Weckler (CDU). „Das wirtschaftliche Potenzial des Wetteraukreises zu fördern und weiter zu stärken, ist deshalb ein Hauptanliegen des Wetteraukreises“, schreiben beide. Oberstes Ziel ist dabei der Erhalt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Wer sind die Kritiker mit welchen Argumenten?
Neben den Grünen in der Gemeinde zählen auch die Parteikollegen auf Kreisebene zu den ersten Gegnern des Vorhabens. „30 Hektar Natur und beste Ackerböden für ein Bauprojekt geopfert“, heißt es kurz nach der Abstimmung im Gemeindeparlament in dem offen Brief an die Rewe-Zentrale Mitte. Ohnehin liege bereits die Belastung durch Umgehungsstraßen, Siedlungs- und Gewerbegebieten in der Wetterau weit über den Landes- und Bundesdurchschnitt, so die Grünen. Jede weitere Konzentration von Einwohnern und Wirtschaftskraft im Rhein-Main-Gebiet steigere die Verluste und die Abwanderung aus anderen Regionen, führen die Grünen in den Schreiben an. Überdies stelle Rewe mit dem Bauvorhaben die Glaubwürdigkeit seines vorbildlichen Konzepts „Landmarkt“ in Frage. Mit „Landmarkt“ sollen Erzeugnisse von Landwirten aus der näheren Umgebung in die Läden angeboten werden. „Wir werden an die lokale Landwirtschaft und die Grundeigentümer appellieren, die Flächen für Ihr Projekt nicht zu verkaufen“, heißt es im Brief an Jürgen Scheider, Geschäftsführer Rewe Mitte. Bei einer Landenteignung sollen die Betroffenen vor Gericht ziehen, raten die Grünen.
Dazu gesellt sich die Unterstützung des Bauernverbands Wetterau-Frankfurt, der auch schon Grundbesitzer in seiner Rechtsberatung sitzen hatte. „In dieser Sache liegen wir mit den Grünen mal auf einer Linie“, sagt Vorsitzende Andrea Rahn-Farr zu dieser nicht selbstverständlichen Allianz gegen den Rewe-Neubau. „Es blutet einem das Herz, zu sehen, wie gutes Ackerland verschwindet“, sagt Rahn-Farr. Wenn der Boden einmal überbaut worden ist, benötige er mehrere Hundert Jahre, bis er für die Landwirtschaft wieder tauge. Laut der Verbandschefin gibt es auf den 40 Hektar 15 Nutzer – Eigner wie Pächter -, die zum Teil ihre Existenz gefährdet sehen. Werner Ruf, Besitzer der Steinfurter Bioland-Rosenschule, würde ein Viertel seiner Anbaufläche verloren gehen. „So was kann die Lebensgrundlage zerstören“, sagt er. Drei Hektar hat Ruf bei Berstadt gepachtet, auf denen nach öko-landwirtschaftlicher Methode mit Fruchtfolgen gearbeitet wird. Er benötigt daher mehr Ackerland als ein konventionell arbeitender Bauer. Ruf hat bereits beim Landwirtschaftsamt wegen Ersatzflächen vorgesprochen. Der Rosen- und Gemüsebauer gibt sich nicht der Illusion hin, gleichwertigen Acker zu bekommen. „Der Boden ist so ein Glücksfall, er besitzt ein sehr hohe und seltene Qualität“, schwärmt er von seinen Noch-Drei-Hektar bei Berstadt.
Für Rahn-Fahr ist das geplante Großlager nur ein Teil des seit Jahren dauernden Flächenfraßes in der Wetterau. Wohn- und Gewerbebau in Karben sowie der Ausbau der Main-Weser-Bahn auf vier Gleise, nennt sie als Beispiele für die Zukunft. Für jeden neu bebauten Quadratmeter müsse ein Naturausgleich geschaffen werden, auch das schränke zunehmend das Land für die Bauern ein. „Mit dieser forcierten Entwicklung im Wetteraukreis wird es schwieriger werden, Landwirtschaften an Kinder und die Kindeskinder weiter zu geben“, sagt Rahn-Farr abschließend. Und dieser Tage hat der Frankfurter Wohnungsdezernent Mike Josef (SPD) von den Umlandkommunen aufgefordert, mehr Grünland für den Wohnungsbau auszuweisen.
Warum eine Resolution?
Rewes Wunsch nach einem Ortswechsel und der allgemeine Flächenfraß im Kreisgebiet haben dazu beigetragen, dass sich zwölf Umwelt- und Naturschutzverbände, Landwirtsverbände und die beiden Kirchen zusammengetan haben, um eine Erklärung auf den Weg zu bringen, die jetzt vorgestellt worden ist. Pro Jahr gehen im Kreisgebiet Ackerboden in der Größenordnung von 166 Fußballfelder „unwiederbringlich verloren“, heißt es darin. Gleichzeitig werde immer mehr Ertrag von den Äckern erwartet. „Alle wollen regionale Lebensmittel, immer mehr davon biologisch, also auf eine Art erzeugt, die mehr Fläche brauch als Intensivlandwirtschaft“, heißt es in der Erklärung. „Wir wollen, dass der einmalige Verbrauch und damit die endgültige Zerstörung unserer wertvollen Ackerböden und Landschaften aufhört“, lautet die an die Politik gerichtete Forderung.
Was folgt?
Rewe plant den Baubeginn für das nächste Jahr. Politisch wird sich aus heutiger Sicht kein Hindernis in den Weg auftun. Nach rund zwei Jahren Bauzeit soll das Logistikzentrum in Betrieb gehen. Damit dieser Zeitplan nicht von pokernden Grundeignern in Gefahr gebracht wird, hat die Gemeinde ein Umlegungsverfahren eingeleitet. Das heißt, Wölfersheim kauft von den Grundbesitzern das Land zusammen und veräußert es mit einem Presiaufschlag an Rewe. „Üblicherweise kauft die Gemeinde zur gewerblichen Entwicklung zum Preis von 10,50 Euro pro Quadratmeter an“, erläutert Bürgermeister Kötter. Das Umlegungsverfahren bietet den Projektbeteiligten noch einen weiteren Vorteil. Gegen widerspenstigen Besitzern kann das Instrument der Enteignung angewendet werden. Die Grünen sehen in dem Verfahren eine „kalte Enteignung“. Kötter widerspricht und redet ob des Quadratmeterpreises von einer „süßen Enteignung“.
3 Gedanken zu „Rewe Wölfersheim“