Die Revolution vor 150 Jahren
Von Corinna Willführ
Im März 1871 erhoben sich die Arbeiter von Paris. Die Regierung floh am 18. März nach Versailles. Der Deutsche Arbeiterführer August Bebel sagte in einer Rede am 25. Mai 1871 im Reichstag, „dass der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, dass die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht, und dass, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtenruf des Pariser Proletariats: ‚Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggang!‘ der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird“.Der März 1871 in Paris: In der Zwei-Millionen-Stadt gärt es. Weite Teile der Bevölkerung, insbesondere in den Arbeitervierteln, sind empört über den am 28. Januar im Deutsch-Französischen Krieg vereinbarten Waffenstillstand der bürgerlichen Regierung mit den Deutschen und die mit der Kapitulation verbundenen Bedingungen. Um die Reparationsforderungen des Nachbarlandes bezahlen zu können, sollen beispielsweise alle Mietrückstände eingetrieben werden. Schon länger revoltieren Arbeiter, Handwerker, aber auch Kleinbürger gegen die herrschenden sozialen Verhältnisse, wird in „Roten Clubs“ eine Gegenregierung gefordert.
Überwältigender Sieg der Linken
Auf der Seite der Unzufriedenen: die Nationalgarde, die Bürgerwehr der französischen Hauptstadt. Für die mehrheitlich von Anhängern der Monarchie geführte Regierung mit Adolphe Thiers als Ministerpräsidenten, eine Bedrohung. Von Versailles aus, dem vorläufigen Sitz des Parlaments, beschließt sie, die Nationalgarde, die im Besitz von 300 Kanonen ist, zu entwaffnen. Doch der Versuch scheitert. Am Abend des 18. März weht bereits die rote Fahne über dem Rathaus, sind die wichtigsten Gebäude von den Revolutionären besetzt. Vorübergehend übernimmt das Zentralkomitee der Nationalgarde die Entscheidungsgewalt. Bis zu den freien Wahlen eines Stadtrats (Commune) am 26./27. Februar. Sie bringen einen überwältigenden Sieg der Linken.
Das Ziel der Commune: Paris nach sozialistischen Vorstellungen autonom zu verwalten und (Manifest vom 19. April) statt der Zentralregierung einen Bund souveräner Gemeinden zu schaffen. Per Dekret wird die Trennung von Kirche und Staat verfügt, die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Eheliche und nicht eheliche Kinder sollen rechtlich gleichgestellt werden. Die Rückzahlung fälliger Mieten wird gestoppt, die Guillotine auf der Place Voltaire zerstört. Nonnen dürfen nicht mehr in Schulen unterrichten. Der Palais der Tuileries wird für die Öffentlichkeit freigegeben. Lehrer erhalten mehr Gehalt. Fabriken von Unternehmern, die während der Unruhen aus Paris geflüchtet sind, werden ins Kollektiveigentum überführt. In den proletarischen Vierteln wie Montmartre und Belleville ist Rot die vorherrschende Farbe, Erkennungszeichen der Anhänger der Commune, der Kommunarden, getragen als Käppi, Gürtel oder Halstuch. Während das Proletariat die „erste sozialrevolutionäre Massenbewegung“ feiert, die „Union des femmes pour la défense de Paris“, sich nicht nur aktiv an den Barrikadenkämpfen beteiligt, sondern auch gleichen Lohn und gleiche Rechte für Männer und Frauen einfordert, verteufelt die Bourgoisie den Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dem gilt es unbedingt ein Ende zu bereiten. Auch um einer Ausbreitung der Entwicklung auf andere französische Städte vorzubeugen.
Die Kommune währt nur 72 Tage
Am 8. Mai 1871 beginnen die Regierungstruppen mit dem Beschuss der Pariser Forts. Die Kommunarden leisten erbitterten Widerstand. Noch am 16. Mai 1871 stürzen sie die Vendome-Säule, ein Symbol der napoleonischen Kriege. Es folgen die Tage, die als „Blutige Woche“ in die Geschichtsbücher eingehen. Die Zeit der aussichtslosen Barrikadenkämpfe vom 21. Bis 28. Mai, in denen mehreren Zehntausend Kommunarden gegen eine mehr als Hunderttausend zählende Armee stehen. Die Zahl der Toten auf Seiten der Revolutionäre wird zwischen 10.000 und 20.000 Menschen angegeben. Auf die Massenerschießungen reagieren die Kommunarden ihrerseits mit Vergeltungsaktionen. Sie nehmen Geiseln, darunter auch den Pariser Erzbischof, und ermorden sie. Auf etwa 45 000 Menschen wird die Zahl der Kommunarden geschätzt, die inhaftiert oder in eine Strafkolonie nach Neukaledonien deportiert wurden. Die „vermutlich letzten“ 147 Kommunarden werden am 28. Mai 1871 auf dem Pariser Hauptfriedhof Père Lachaise an der „Mur des Fédérés“, der Mauer der Föderierten exekutiert. Ihrer zu gedenken, treffen sich an diesem Datum dort alljährlich Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten aus aller Welt.
Die Zeit der Pariser Commune währte nur 72 Tage. Ihre Anliegen und Ziele haben indes nicht nur in der Geschichte der sozialistischen Bewegung ihren Widerhall gefunden, sondern auch in der Literatur, etwa bei Arthur Rimbaud, Emile Zola oder Bert Brecht. Zu ihrem 100. Jahrestag erschien in der DDR eine 20-Pfennig-Briefmarke. Sie zeigte „Frauen auf den Barrikaden“. Erstsmals in deutscher Übersetzung ist dieser Tage das Buch „Die Pariser Commune“ von Louise Michel erschienen. Die Sozialrevolutionärin Louise Michel, die selbst in den Tagen der Commune zu den Waffen griff, schildert darin eine Chronik der Ereignisse aus der Sicht einer der Aktivistin. Unter den Abgeordneten des Stadtrates war allerdings keine Frau. Unabänderlich mit der „ersten Diktatur des Proletariats“ (Karl Marx) verbunden ist die „Internationale“. Ihr Text stammt von dem Kommunarden Eugène Pottier. Der Deutsch-Französische-Krieg wurde offiziell mit dem „Frieden von Frankfurt“ am 10. Mai 1871 beendet.
Für Frühaufsteher ein Tipp zum Thema: Auf SWR2 ist am Freitag, 26. März, 8.30 Uhr eine halbstündige Magazin-Sendung unter dem Titel „Die Pariser Kommune“ zu hören.
Der Kultursender Arte zeigt am Dienstag, 23. März, von 21.45 bis 23.20 Uhr den Dokumentarfilm „Die Verdammten der Pariser Kommune“ (Frankreich 2019). Zuvor dort im Programm: „Karl Marx – Der deutsche Prophet“ (ab 20.15 Uhr) mit Mario Adorf in der Hauptrolle. Marx sah in der Commune den „ruhmvolle(n) Vorbote(n) einer neuen Gesellschaft“.
Louise Michel „Die Pariser Commune“, Mandelbaum-Verlag, 420 Seiten, 28 Euro