Bahn frei
Von Bruno Rieb
Knapp 300 Kilometer ist ein Teil der Landbote-Redaktion mit Freunden an der Ostseeküste von Lübeck nach Stralsund geradelt. Es war eine entspannte Tour mit viel Sonne, viel, viel Strand und vielen, vielen Leuten, die auf dieselbe Idee gekommen waren. Spannend war die An- und Abreise mit der Bahn, die so viele Radler nicht verkraften kann und auch sonst ziemlich in Fahrplan-Problemen steckt.Die erste Etappe von Lübeck bis Boltenhagen war sehr angenehm: ausgedehnte, wunderbare Strände, noch wenig Betrieb auf dem Radweg und als Nachtquartier die paradiesische Radlerpension Boltenhagen. Ein Ort der Ruhe etwas außerhalb des stark frequentierten Ostseebades. Boltenhagen gab uns mit seinem Getümmel einen Vorgeschmack auf die Touristenzentren, die uns noch erwarteten. Die Gaststättensuche waren eine Reise nach Jerusalem: Man musste sich blitzschnell an einen frei werdenden Tisch setzen, sonst war man chancenlos unter den hungrigen Ostseetouristen.
In Kühlungsborn schauten wir uns den Grenzturm an, der zu einem Museum für Fluchtversuche aus der DDR umfunktioniert worden ist. Der Grenzturmverein hat „Fluchtversuche dokumentiert und Kontakt zu den Flüchtenden aufgenommen“, schreibt der Verein in seinem Prospekt. Zu Peter Döbler zum Beispiel, der in 25 Stunden zur 40 Kilometer entfernten Insel Fehmarn geschwommen war. Jörn Wiek überließ dem Verein sein Boot, mit dem er 1987 nach Neustadt in der BRD gepaddelt war.
Von Wachtürmen und Zäunen
Nur wenige Kilometer weiter das mondäne Seeheilbad Heiligendamm. Um den Ort war ein hoher Zaun gebaut worden, um niemanden rein zu lassen. Das war 2007 beim G8-Treffen. Kritiker der dort versammelten Staats- und Regierungschefs wurden von einem riesigen Polizeiaufgebot fern gehalten.
Historisches aus fernen und nicht so fernen Zeiten gibt es an der Küste zwischen Lübeck und Stralsund eine Menge, dazu die herrlichen Strände – kein Wunder, dass der Tourismus boomt, mancherorts sogar so stark, dass er kaum noch zu fassen ist.
Und die Bahn kann es nicht fassen, dass so viele mit dem Fahrrad anreisen wollen. Die raren Fahrradplätze in den Intercity-Zügen muss man Monate vorher buchen, um einen zu bekommen. Und dann muss man damit rechnen, dass auf dem gebuchten Fahrardplatz ein Bike mit Elektromotor steht, weil nicht alle Fahrradplätze für diese schweren Räder geeignet sind. Und in den Regionalbahnen herrscht ein Gedränge in den Fahrradabteilen, dass ein Vergleich mit Heringen in der Dose stark untertrieben wäre.
Die Bahn kann es nicht fassen
Wenn die Bahn dann wenigsten ihre Fahrpläne einhalten würde. Aber unser Mitradler Bernd, der aus Leipzig anreiste, war wegen technischer Probleme an Zügen statt der fahrplanmäßigen gut drei Stunden knapp sieben unterwegs. Unsere Rückreise nach Frankfurt zog sich auch in die Länge. „Das klappt nie!“, hatte der bahnerprobte Klaus ausgerufen, als er auf unserem Fahrplan sah, dass die Umsteigezeiten in Berlin und Erfurt jeweils nur sechs Minuten waren. In Berlin hatte unser Zug aus Stralsund drei Minuten Verspätung. Wir erreichten unseren Zug nach Erfurt so knapp, dass unsere digitale DB-Reisebegleitung überzeugt war, wir hätten ihn verpasst und uns anbot , eine Alternative zu suchen. In Erfurt kamen wir auch ein paar Minuten verspätet an, aber unser Anschluss-ICE nach Frankfurt wartete auf uns. Das Vergnügen, alle Züge trotz der kurzen Umsteigezeit erreicht zu haben, war nur von kurzer Dauer: kaum hatte unser Zug Erfurt verlassen, kam die Lautsprecherdurchsage, wegen eines Notarzteinsatzes auf den Gleisen werde unser Zug über Kassel umgeleitet. Die Fahrt dauerte knapp eine Stunde länger: statt gegen 20 Uhr waren wir um 21 Uhr in Frankfurt. Der Zug nach Friedberg wurde mit 20 Minuten Verspätung angekündigt, doch es wurde über eine halbe Stunde, weil irgendjemand in dem vollbesetzten Zug die Notbremse gezogen hatte. Der Autor dieser Zeilen entschloss sich dann, statt in Friedberg den Zug nach Butzbach zu nehmen, nach Hause zu radeln: sein Drahtesel ist zuverlässiger als die Stahlrösser der Bahn.