Sehenswerter Film, lesenswertes Buch
Die Kritiker sind sich in ihrem Urteil zum Kinostart von „Nebel im August“ im Ende September einig gewesen: „unbedingt sehenswert“. Jetzt ist der Spielfilm von Kai Wessel in den Kinos der Region zu sehen. Er erzählt die Geschichte von Ernst Lossa. Ernst Lossa war ein aufmüpfiger Junge, Sohn einer Familie von Jenischen. Zwei Kriterien, die den Nationalsozialisten reichten, den Buben in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen und schließlich zu töten. Der Film basiert auf dem Buch des Journalisten und Autors Robert Domes.
Balance von Nähe und Distanz
„Es lohnt sich, an seinen Träumen und Visionen festzuhalten.“ Vor mehr als acht Jahren schrieb mir Robert Domes diese Widmung in eine Erstausgabe seines Buches „Nebel im August“. Wir waren damals Kollegen im Journalistenprogramm der Bundeszentrale für politische Bildung. „Nebel im August“ hat ein Thema, dem ich nach der Lektüre vieler Bücher über die Gräuel der Nationalsozialisten sehr skeptisch gegenüber stand. Doch von den Jenischen hatte ich bis zu „Nebel im August“ nirgendwo gelesen – und hatte danach wie selten nach der Lektüre eines Buches das Empfinden, dass der Autor mit großem Feingefühl in einer einzigen Lebensgeschichte so vieles Verschwiegenes, so vieles Nicht-Gesagtes erzählt, in einer Balance von Nähe und Distanz, ohne vorgefertigtes Urteil.
„Jenische ist sowohl eine Eigen- als auch eine Fremdbezeichnung für Angehörige eines nach landschaftlicher und sozialer Abkunft in sich heterogenen Teils der Bevölkerung in Mittel- und Westeuropa. Historisch lassen sich Jenische auf Angehörige der marginalisierten Schichten der Armutsgesellschaften der frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts zurückführen. Merkmale dieser historischen Jenischen waren ihr ökonomischer, rechtlicher und sozialer Ausschluss aus der Mehrheitsbevölkerung und eine dadurch bedingte Dauermigration“, klärt Wikipedia über die Jenischen auf.
In wenigen Sekunden hat die Internet-Suchmaschine die Daten auf den Bildschirm gebracht. Seelenlose Informationen. Robert Domes, Jahrgang 1961, hat mehr als fünf Jahre recherchiert, um die Geschichte eines einzigen Menschen dieser Volksgruppe zu erzählen: die von Ernst Lossa.
Das Schicksal der Jenische
Ein aufmüpfiger Bub – Opfer des NS-Euthanasie-Programms
„Den schwersten Teil der Recherche stellte das Leben in der Familie dar. Erst im Laufe der Nachforschung stellte sich heraus, dass Ernst Lossa das Kind einer jenischen Familie ist. Das Schicksal dieser Volksgruppe, von der heute in Deutschland noch etwa 100.000 Menschen leben, ist nach wie vor „ein weißer Fleck auf der historischen Landkarte“, so die Auskunft des Dokumentationszentrums deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Die Jenischen werden seit je her als „Zigeuner“ bezeichnet und ebenso verfolgt – auch in Lossas Akte steht „kommt aus einer Zigeunerfamilie“. Im Gegensatz zu Sinti und Roma ist jedoch weder die Herkunft der Jenischen, noch ihre Verfolgungsgeschichte erforscht. So war ich für diesen Teil in erster Linie auf die Erzählungen von Verwandten der Lossas angewiesen. Dem sehr hilfsbereiten Augsburger Stadtarchivar Georg Feuerer ist es zu verdanken, dass über die Familie Lossa auch noch einige amtliche Dinge wie Wohnorte, Umzüge, Reisen, ermittelt werden konnten“, schreibt Robert Domes auf seiner Homepage über die Recherchen zu seinem Buch.
Auch den amerikanischen Besatzungsmächten. Denn diese untersuchten nach Ende des Zweiten Weltkrieges das Leben in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren/Irsee, in der Ernst Lossa umgebracht wurde. „Dadurch gibt es in den Vernehmungsprotokollen zahlreiche Hinweise und Beschreibungen über den Jungen, der weder in die Anstalt, noch in das von den Nazis propagierte Modell vom „Gnadentod“ passte“, lässt Domes seine Leser wissen. Auch, dass der Mord an dem Jungen 1949 zu einem Präzedenzfall im Euthanasie-Prozess gegen Ärzte und Pfleger vor einem Augsburger Schwurgericht wurde. „Durch die Vernehmungen und Gerichtsprotokolle sind das Leben und seine Ermordung im Vergleich zu den zahllosen unbekannten Euthanasie-Opfern gut dokumentiert“, so Robert Domes.
Doch wer war Ernst Lossa, dessen Geschichte Buch und Film erzählen? Einfach ein Bub, der vielleicht aufmüpfiger war als andere in seinem Alter, seine Gleichaltrige, der sagte was er dachte. Ernst Lossa stammte nicht aus einer jüdischen Familie. Sein Vater war kein Kommunist. Ernst hatte keine Behinderung – und ist damit ein Beispiel, wie willkürlich die Nationalsozialisten im sogenannten Dritten Reich über die von ihr angestrebte „Ausmerzung unwerten Lebens“, ihrer „Endlösung“ der Judenvernichtung über Menschen den Tod brachten. Robert Domes: „Laut Gutachtern war Ernst ein ‚asozialer Psychopath“ und damit einer der den gesunden Volkskörper schädigte“ so Domes. Das allein genügte, um auf die Todesliste gesetzt zu werden.“
Vom freundlichen Doktor zum Sadisten
Erst Lossa wird in der Anstalt von einem Arzt ermordet. Seine Name: Dr. Valentin Faltlhauser. Der Mediziner mutiert im Film wie in der Wirklichkeit der Anstalt im Bayerischen unter dem nationalsozialistischen Regime von einem freundlichen Doktor zu einem Sadisten. Die Suppe in seinem Heim wird solange gekocht bis sie keine Nährstoffe mehr enthält. Die Kinder sterben hungers während sie essen.
Für sein Buch wurde Robert Domes unter anderem mit dem Marion-Samuel-Preis der Stiftung „Erinnern“ ausgezeichnet. Domes erhielt außerdem den Sonderpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung für Lokaljournalisten. Die Süddeutsche-Zeitung urteilte über sein Buch: „ein zutiefst berührendes, sehr lebendiges Porträt.“
Bühnenrechte an John van Düffel
Dass er als „Urheber“ des Lebens und Sterbens von Ernst Lossa in den Rezensionen zum gleichnamigen Film oft nicht genannt wird, nimmt Domes gelassen: „Da geht es um die Vermarkung des Films“, sagt er. Selten zu lesen in den Rezensionen auch der Name des Drehbuch-Autors Holger-Carsten Schmidt. Film und Buch – wie können sie so unterschiedlich öffentlich wahrgenommen werden? Das Marketing von Film und Buch ist sicherlich eine Seite, die andere aber die des Sehens, das andere emotionale Eindrücke vermittelt als die des Lesens. Nicht nur im Kopf, sondern auch in der Kommunikation mit anderen. Ein Buch liest man meist erstmal mit und für sich, einen Film teilt man eher mit anderen.
So wünscht sich auch Robert Domes, dass viele, die den Film sehen, ihre Eindrücke über diesen mit anderen teilen. Ab 2017/2018 können das auch Theaterbesucher tun. Denn der Autor hat die Bühnenrechte über die Geschichte von Ernst Lossa an den renommierten Lauke Verlag in Hamburg gegeben. Der
bekannte Dramaturge John van Düffel wird daraus ein Theaterstück erarbeiten. An seinen eigenen „Visionen und Illusionen“ hält Robert Domes weiter fest: Die Geschichte des 13-Jährigen Ernst Lossa möglichst vielen Menschen bekannt zu machen. Über die Lektüre des Buches wie durch die Lesungen und Gespräche, die Domes für Schulkassen ab der 7. Jahrgangsstufe anbietet. Auch in den Kommunen der Region.
„Nebel im August“ ist von Montag, 14. bis Mittwoch, 16. November, jeweils um 19 Uhr , im Kino Alte Mühle heute, 11. November, sowie am Sonntag, 13. November und Montag, 14. November 2016 on am FreitaSonntag, 13. November, und Montag 14. November, jeweils ab 19 Uhr zu sehen. Näheres zum Autor unter
robertdomes.com
Und zu den Filmaufführungszeiten:
kino-traumstern.de
www.kino-alte-muehle.de