Lebenshilfe Gießen

Jubiläum im Zeichen der Inklusion

In der Siemensstraße 6 in Gießen freut man sich über einen Geburtstag: Das Kompetenzzentrum berufliche Bildung der Lebenshilfe Gießen, kurz „KobBi“ genannt, feiert am 1. September 2020 sein zehnjähriges Bestehen – und blickt auf eine beachtliche Erfolgsgeschichte zurück.

Neue Chancen

Bis 2010 war der Berufsbildungsbereich (kurz: „BBB“) noch in allen fünf Werkstätten der Lebenshilfe integriert. Unter dem damaligen Vorstand Magnus Schneider fiel der Beschluss, diese Struktur zu verändern und den Bereich auszugliedern und zu zentralisieren. Als Ort hierfür konnte das heutige Gebäude in der Siemensstraße ausfindig gemacht werden, in der sich zuvor die sogenannte Reha-Werkstatt Mitte – heute im Erdkauter Weg ansässig – der Lebenshilfe Gießen befand, schreibt Christian Nemeth von der Pressestelle der Lebenshilfe Gießen zum Jubiläum.

Die Absolventen bekommen seit 2018 jährlich im Hermann-Levi-Saal des Gießener Rathauses – im Beisein der Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz – feierlich ein Zertifikat übergeben. „Ein Würdigung inmitten der Stadt, vor Publikum, gemeinsam mit den Angehörigen – das ist eine tolle Sache. Das ist Inklusion und wertschätzt die Arbeit, Anstrengungen und Bemühungen der Teilnehmer*innen“, betont Dirk Oßwald, Vorstand der Lebenshilfe Gießen. 2020 ist die Zertifikatsübergabe für den 3. November geplant.

Bereits seit 2010 dabei: Mitarbeiterin Claudia Mandler, Mitarbeiterin in der Gruppe „Küche/Hauswirtschaft“. Rechts im Bild: Stefan Bolz, Leiter des Berufsbildungsbereichs der Lebenshilfe Gießen.

Von Beginn an war es Ziel des Berufsbildungsbereichs, dessen Leitung heute Stefan Bolz innehat, Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung oder eine chronischen psychischen Erkrankung bessere Wahlmöglichkeiten beim Ergreifen eines Arbeitsplatzes zu gewährleisten, differenzierter auf die Teilnehmer*innen eingehen und eine umfassende berufliche Orientierung und Qualifizierung bieten zu können. „Vorher war die berufliche Bildung eher Teil des Produktionsalltags und konzeptionell nicht ganz einheitlich aufgebaut“, erinnert sich Bolz. Das hat sich mit der Etablierung des „BBB“ freilich verändert. 

Zahlreiche Fortschritte

Heute gliedert sich die berufliche Bildung bei der Lebenshilfe Gießen – übrigens nach einem durch die Agentur für Arbeit anerkannten Konzept – in drei Abschnitte mit einer Gesamtlaufzeit von 27 Monaten: Nach einem dreimonatigen Eingangsverfahren kommt es zur einjährigen Grundlagenqualifizierung, dem sich im zweiten Jahr die sogenannten Aufbauqualifizierung anschließt. Anfänglich können sich alle Teilnehmer*innen in verschiedenen Arbeitsbereichen der Lebenshilfe erproben, ehe sie sich entscheiden, wo sie konkret arbeiten möchten. „Dadurch können Wünsche und Interessen sehr gut berücksichtigt werden“, sagt Stefan Bolz und ergänzt: „Früher, als der BBB noch keinen zentralen Standort hatte, mussten die Mitarbeiter mit Behinderung in den Werkstätten arbeiten, die am nächsten an ihrem Wohnort lagen.“

Die „größte Revolution dieses neuen Systems“, so Bolz weiter, sei der Umstand, dass die Werkstätten um die zukünftigen Mitarbeiter werben müssen. „In einer Schreinerei fehlen Mitarbeiter? Dann muss man sich um diese bemühen. Oder man muss Arbeitsbereiche schaffen oder erweitern, die den gegenwärtigen Interessen entsprechen, um neue Mitarbeiter zu gewinnen. Dem wird die Lebenshilfe Gießen auch gerecht. Am Ende entscheiden die zukünftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die Menschen haben durch diese Struktur wirklich gewonnen“, erklärt der BBB-Leiter.

Wunsch- und Wahlrecht

Im Rahmen des Berufsbildungsbereichs können Menschen mit Behinderung aber nicht nur in den Werkstätten der Lebenshilfe Gießen reinschnuppern und Kompetenzen erwerben, darüber hinaus kommt es auch zu Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. „Das, was vor zehn Jahren begann, war eine Professionalisierung der beruflichen Bildung. Es konnten ferner einheitliche und werkstattübergreifende Arbeitsstandards geschaffen werden, zudem hat sich aber auch die gegenseitige Vernetzung unserer Werkstätten und des BBB noch einmal verbessert“, resümiert Stefan Bolz und freut sich vor allem über den Umstand, dass das „Wunsch- und Wahlrecht“ bis heute funktioniert: „In der Regel bekommt jeder, der den Berufsbildungsbereich durchläuft, auch den Arbeitsplatz, den er sich wünscht. Die Werkstätten orientieren sich an den Anforderungen und Vorstellungen der Teilnehmer*innen.“

Unter dem Dach des Kompetenzzentrums feiern indes noch weitere Lebenshilfe-Einrichtungen mit beim zehnjährigen Jubiläum. Heute finden sich in dem Gebäude in der Siemensstraße – wenn zum Teil auch erst später eingezogen – auch noch die Mitarbeiter*innen der „Unterstützten Beschäftigung“ (UB). Auch der Eingangsbereich der Tagesförderstätten der Lebenshilfe Gießen hat hier seine Räumlichkeiten, ebenso die Familien-, Krisen- und Sexualberatung und das Büro der Oldtimerspendenaktion.

Ziele für die Zukunft

„Mir ist besonders wichtig zu betonen, dass wir uns hier wirklich als ein Haus verstehen, auch wenn es verschiedene Bereiche gibt. Weihnachtsfeiern und Sommerfeste sind nicht nur Feiern des Berufsbildungsbereichs – hier feiern alle“, freut sich Stefan Bolz über ein gutes kollegiales Miteinander. Dieses soll und wird auch in Zukunft Bestand haben – auch wenn Corona einem großen Jubiläumsfest einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Für die Zukunft wünscht sich Bolz vor allem eins: „Schön, wäre es, wenn wir für den Berufsbildungsbereich weiterhin die nachgefragten Praktikumsplätze hätten, auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – damit auch in den nächsten zehn Jahren jeder den Arbeitsplatz findet, den er anstrebt.“

Weitere Informationen zum Berufsbildungsbereich der Lebenshilfe Gießen erhält man bei Stefan Bolz (Telefon: 0641 9721055-100 / E-Mail: info@kobbi-giessen.de).

Titelbild: Das Team des Berufsbildungsbereichs freut sich über das zehnjährige Bestehen des „KobBis“.(Fotos: Lebenshilfe Gießen)

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