Europawahl

Krieg und Zuwanderung entscheidend

Von Dietrich Jörn Weder

Die Regierungsparteien rätseln über die Ursachen ihres schmachvollen Abschneidens bei der Europa-Wahl. Dafür gibt es die eine gängige Erklärung: Sie haben sich mit ihrem öffentlich vorgeführten internen Dauerstreit selbst in Misskredit gebracht. Das ist wahr. Und doch heißen die beiden Hauptursachen Krieg und Zuwanderung. Und das ist schon fast die ganze Wahrheit.

Kleinstparteien für jeden Geschmack

Der fulminante Aufstieg der Partei Sarah Wagenknechts geht praktisch allein darauf zurück, dass sie Putin in der Ukraine freie Hand lassen und die Grenzen für Zuwanderer schließen will. Eine halbe Million bisheriger Anhänger der Sozialdemokratie sind deshalb zu ihr übergewechselt. Auch die AfD will sich aus dem Ukraine-Krieg heraushalten. Und ein Zuwanderungsstopp ist für sie seit eh und je der politische“ Bestseller“.

Und da ist noch ein Drittes: Wie wäre wohl die Wahl ausgegangen, wenn nicht 14 Prozent der Stimmen auf Kleinstparteien entfallen wären. Anders als bei Bundestagswahlen mussten sie keine Mindest-Prozent-Hürde überspringen und bekamen für jede gewonnene Stimme 1,18 Euro Werbezuschuss. Da gab es für fast jeden Geschmack das politische Leibgericht im Angebot, einfarbige Steckenpferde zumeist, auf die vor allem junge Leute gesprungen sind.

Rätselhaftes Wahlverhalten im Osten

Doch das eigentliche Rätsel ist das Wahlverhalten in den ostdeutschen Bundesländern, jedenfalls aus westdeutscher Sicht. Ohne ihre phänomenalen Ergebnisse dort wären AfD und BSW die Riesenaufregung nicht wert. In all diesen Ländern müssen sich jetzt die altansässigen Parteien zusammentun, um die AfD in kommenden Landtagswahlen von der Regierung fernzuhalten.

Selbst dort ansässige Gegner der AfD tun sich schwer mit einer Erklärung für den überwältigenden Wahlerfolg dieser Partei bei ihren Landsleuten. Aber es gibt im Gebiet der früheren DDR immer noch oder wieder gewachsen eine andere Mentalität als in der alten Bundesrepublik.70 Prozent der Westdeutschen sind dafür, die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren mit Waffen zu unterstützen. Dagegen halten 60 Prozent der Ostdeutschen Putin für einen guten Mann, einen trefflichen Herrscher, dem man sich nicht entgegenstellen sollte.

Rosig verklärte alte Zeiten

Die alte DDR wird in der Rückschau wieder vielfach rosig verklärt als ein allumfassend fürsorglicher Staat. Die Treuhand habe ihre schöne, in Wahrheit aber marode Industrie zu Unrecht und zu Gunsten westdeutscher Wettbewerber abgewickelt. Man redet sich gegenseitig ein, bei der Wiedervereinigung über den Tisch gezogen worden zu sein. Dabei wurde man insbesondere von der EU mit Milliarden überschüttet. Wunderbar restaurierte Innenstädte und nagelneue Autobahnen zeugen davon.

Sich für die Jugend attraktiv machen!

Die Anhänger der AfD leben vorzugsweise in einer medialen Blase. Die öffentlich-rechtlichen Sender lehnen sie als Lügenpresse ab. Sie beziehen ihre Nachrichten lieber aus dem Netz, das die Parteiführung täglich mit neuen Horrorstories und ihrer eigenen Sicht auf die Welt füttert. Die Europa-Wahl hat ein politisch-weltanschaulich geteiltes Land sichtbar gemacht. Die bisher tonangebenden Parteien der Republik sollten diese Spaltung nicht als unveränderlich gegeben hinnehmen. Desgleichen müssen sie alles tun, um die Jugend für sich zurückzugewinnen, die ihnen bei dieser Wahl den Rücken zugekehrt hat.

Dr. rer. pol. Dietrich Jörn Weder war Jahrzehnte lang leitender Umweltredakteur und Fernsehkommentator des Hessischen Rundfunks. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als freier Autor für Print- und Audiomedien. Er betreibt den Blog Wachposten Frankfurt, auf dem er Kommentare zu aktuellen Themen veröffentlicht. Wachposten

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