Mit Büchner für die Demokratie
Der Trägerverein des Büchner-Hauses in Riedstadt-Goddelau, BüchnerFindetStatt, und die Büchner-Bühne Riedstadt-Leeheim richten zum vierten Mal ihr Büchnerland-Festival aus. An den Wochenenden 5. bis 7. und 12. bis 14. Juli 2024 gibt es Theater, Musik, Vorträge und Gespräche rund um Büchner und seine Bedeutung in der heutigen Debatte um Demokratie und gesellschaftlichen Wandel.Theater, Musik, Vorträge, Diskussionen
Aus Bremen und Berlin reisen Künstler an. Die Bürgermeister von Butzbach und Reidstadt reden öffentlich über die Zusammenarbeit der Büchner- mit der Weidig-Stadt (Samstag, 13. Juli, ab 15 Uhr im Büchnerhaus Goddelau). Im Republikanischen Café diskutieren die Autorin, Publizistin und Frauenrechtlerin Barbara Sichtermann und der Jurist und Journalist Heribert Prantl mit Bürgern. Ihr Thema: „Demokratie verteidigen! Über Verbündete und Brandmauern, Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen.” Dahinter steckt nicht nur die Frage danach, wie groß die Not sein muss, um manche Kooperation zu begründen, sondern auch, ob nicht gerade eine solche Gemeinsamkeit die Schwäche birgt, die Verschwörungsparolen der Rechtsradikalen zu bestätigen. Können der bayerische Ministerpräsident und die Sprecherin von Fridays for future glaubwürdig und erfolgreich für eine, die gleiche(?), Demokratie aktiv sein, wenn sie einander doch gleichzeitig demokratische Haltung absprechen? Ist es nicht Wasser auf die Mühlen der Querdenkenden, wenn sich sozusagen „alle“ gegen sie „verschwören“?
Das Trio „An Erminig“ (Barbara Gerdes, Andreas Derow und Hans Martin Derow) versteht sich als Botschafter für die keltische Musik und Sprache der Bretagne. „An Emining“, das in der bretonischen Fahne abgebildete Hermelin, ist das Symbol einer kulturell eigenständigen, keltischen Bretagne und so steht auch der Name der Band seit über vier Jahrzehnten für eine eigenständige Arbeit an der bretonischen Musik, stets offen für innovative Einflüsse, aber auch immer geprägt vom Respekt vor den traditionellen Wurzeln. Die Band tritt am Freitag, 5. Juli, um 18 Uhr Unter den Linden in Leeheim auf.
„Kladderadatsch – Die Revoluzzer-Revue“ wird am Freitag, 5. Juli, um 20 Uhr Unter den Linden in Seeheim geboten. Das Ensemble der Büchner-Bühne lässt Ereignisse der Revolutionsjahre 1848 und ’49 in einem satirischen Reigen aus Liedern, Texten & Szenen Revue passieren, der verdeutlicht, wie sehr Freiheitsliebe und Humor sich gegenseitig bedingen. „Kladderadatsch“ ist ein lautmalerischer Berliner Ausdruck, der etwas bezeichnet, das heruntergefallen und mit Krach in Scherben gebrochen ist. Kladderadatsch war auch der Titel einer politisch-satirischen Zeitschrift, die zum Beginn der deutschen Revolution von 1848 bis 1944 regelmäßig wöchentlich herausgegeben wurde. Dies machte den Ausdruck so populär, dass er zum politischen Schlagwort wurde, das ironisch gebraucht – vor allem von August Bebel – den Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft charakterisierte.
Sind wir noch zu retten?
„Flüchtlingsgespräche (Bertolt Brecht)“ ist das Thema einer szenische Lesung mit Oliver Kai Müller und Christian Suhr am Samstag, 6. Juli, um 15 Uhr Unter den Linden in Leeheim. Die von Brecht in den frühen vierziger Jahren geschriebenen Dialoge handeln vom Alltag der aus Deutschland Vertriebenen, vertreten durch den Intellektuellen Ziffel und den Arbeiter Kalle, die sich im Restaurant des Hauptbahnhofs von Helsinki über die internationale Lage (deutsche Truppen haben Dänemark und Norwegen besetzt und rücken in Frankreich vor) und die eigene Situation unterhalten: »Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen.« „Die beste Schule für die Dialektik ist die Emigration. Die schärfsten Dialektiker sind die Flüchtlinge. Sie sind Flüchtlinge infolge von Veränderungen und sie studieren nichts als Veränderungen. Aus den kleinsten Anzeichen schließen sie auf die größten Vorkommnisse, d.h. wenn sie Verstand haben. Wenn ihre Gegner siegen, rechnen sie aus, wie viel der Sieg gekostet hat, und für die Widersprüche haben sie ein feines Auge. Die Dialektik, sie lebe hoch!“
„Sind wir noch zu retten?“ ist das Thema der Demokratie-Werkstatt mit Thomas Freitag am Samstag, 6. Juli, um 20 Uhr Unter den Linden in Leeheim. Seit 1976 ist Thomas Freitag mit bislang 18 Soloprogrammen in Deutschland unterwegs. Kritiker charakterisieren ihn als den „Komödianten unter den Spitzenkabarettisten“. Ganz bewusst abseits des Mainstreams präsentiert er bis heute Programme, in denen er mit hoher schauspielerischer Präsenz unter einem Teppich zeitkritischer Betrachtungen pointiert seine kabarettistischen Tretminen zündet. In einer einmaligen, extra für das Büchner-Land-Festival zusammengestellten „Demokratie-Werkstatt“ sichtet er mit dem Publikum 50 Jahre Republikgeschichte und fragt aus aktuellem Anlass: „Sind wir noch zu retten?“
Pubmusik, Familiengeschichte und Grenzgänger
Mit Pubmusik von Sir Andrew beim musikalischen Frühschoppens am Sonntag, 7. Juli, um 12.30 Uhr Unter den Linden in Leeheim klingt das erste Fetival-Wochenende aus. Sir Andrew bedient alle Freunde handgemachter und ehrlicher Pubmusik. Ob irische und schottische Traditionals oder zeitgenössisches Liedgut, von Klassikern, wie „Whiskey in the jar“ oder dem „Wild Rover“ über Songs von Oasis, U2 und Neil Young bis Johnny Cash.
„Edith und Mina: Geschichte einer Freundschaft“ erzählt Jürgen Flügge, Regisseur, Dramaturg und Gründer des Hof-Theaters Tromm in Grasellenbach im Odenwald, in einer szenischen Lesung am Freitag, 12. Juli, um 18 Uhr im Büchnerhaus in Goddelau. Es ist ein Teil seiner eigenen Familiengeschichte. Er findet eines Tages einen alten Koffer auf dem Speicher, voller Briefe und Postkarten seiner Mutter Mina aus der Zeit von 1934 bis in die 50er Jahre. Auch Postkarten in alten Briefumschlägen sind dabei, auf den Briefmarken die Konterfeis von Hitler und Heuss. Briefe und Karten aus den USA sind darunter, geschrieben von jüdischen Freunden, die vor den Nazis fliehen mussten. Erinnerungen werden wach an die Mutter und ihre Jugend in unserem Nachbarort Stockstadt, das auch seine Jugend prägte, an die Freundschaft zu Edith und ihrer Familie, bei der Mina als Dienstmädchen arbeitete sowie an den brutalen Alltag der jüdischen Familie, als die Nazis an die Macht kommen, aber auch an die Freundschaft zwischen Edith und Mina. All das zeigen und belegen die original Dokumente aus Minas Koffer. Geschichten und Anekdoten verweben sich zu einem Stück über eine Freundschaft, die dem nationalsozialistischen Alltag versucht zu entfliehen. An Edith Westerfeld wird seit 2014 mit einem Stolperstein in Stockstadt erinnert.
Die Grenzgänger spielen am Samstag, 13. Juli, um 19 Uhr im Büchnerhaus in Goddelau „Lieder von 1848 – Einigkeit und Recht und Freiheit“. Das Quartett um den Bremer Liedermacher und Liedersammler Michael Zachcial mag nach fünf Schallplattenpreisen, mehreren Nummer-Eins-Titeln in der Liederbestenliste und zahlreichen Radiokonzerten für viele noch ein Geheimtipp sein. Doch inzwischen füllen sie auch größere Säle und hinterlassen landauf landab ein begeistertes Publikum. Grenzgänger-Konzerte sind geprägt von unbändiger Spielfreude und gleichermaßen unterhaltsam wie intelligent gestrickt.Die Grenzgänger zeigen, wie Geschichte entsteht: in Konzerten zwischen den Genres, den Generationen und den Zeiten: Mittels verschollener und in Vergessenheit geratener Lieder, die sie unnachahmlich arrangieren und interpretieren, singen und erzählen sie aus der Perspektive der so genannten „kleinen Leute“, aus Fabrik, Straße und Alltag. In der aktuellen Besetzung klingen die Grenzgänger so druckvoll und virtuos wie selten, Frederic Drobnjak spielt an der Gitarre im Stile eines Django Reinhardt groß auf, Felix Kroll zaubert am Akkordeon ein ganzes Orchester auf die Bühne, Annette Rettich berührt am Cello und verschmilzt mit der Stimme von Michael Zachcial, der auf unverwechselbare Art unsere Geschichte und die alten Lieder mit dem Hier und Jetzt verbindet. Beim Konzert am Büchnerhaus werden Lieder aus der deutschen Revolution von 1848/49 im Mittelpunkt stehen. Zu hören sind Lieder von Herwegh bis Heine, von Fallersleben bis Marx und Freiligrath
Titelbild: Das Büchnerhaus in Goddelau. (Foto: Rieb)
Danke für die Veröffentlichung – eine Ergänzung: durch die freundliche Unterstützung des Hessischen MInisteriums für Wissenschaft und Kunst ist der Eintritt zu allen Veranstaltungen FREI!