Drei interessante journalistische Projekte
Von Klaus Nissen
Wie der Landbote stoßen seit 2014 auch die Krautreporter und die Recherchebüros correct!v und Open Data City in neue journalistische Gefilde vor. Was geschieht dort?
Krautreporter und Co.
Schauen wir in die mediale Zukunft: Klar ist nur, dass alles anders wird. Der Landbote selbst ist ein Beispiel. Seine Macher waren ursprünglich meist Printjournalisten, die seit Jahrzehnten für gedruckte Tageszeitungen arbeiteten. Das ist vorbei. Jüngere und zunehmend auch ältere Menschen lesen keine großen bedruckten Papierbögen mehr. Dies und gravierende Managementfehler trieben die Frankfurter Rundschau in die Insolvenz. Weitere Zeitungen werden folgen.
Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat den Wandel am 12. März beim Forum Medienzukunft der Landesanstalt für den Privaten Rundfunk und neue Medien in Frankfurt beschrieben: Was in Deutschland zum Thema wurde, bestimmten über Jahrzehnte die öffentlich-rechtlichen Rundfunkredakteure, die Macher der wenigen politischen Magazine wie Spiegel und Stern, – und 14 000 Redakteure der Tageszeitungen. Ihnen konnte ziemlich schnuppe sein, welche Themen das Publikum interessiert. Es hatte ja kaum Möglichkeiten, sich medial zu äußern.
Jeder kann ein Medium aufmachen
„Die Zeiten der Arroganz sind vorbei“, sagt Bernhard Pörksen. Das Internet machte alles anders: Jeder kann nun einen Blog oder ein Online-Magazin gründen und mit seinen beliebig subjektiven Beiträgen Publikum finden. Es gibt keine zentrale Institution mehr, die das Thema diktiert. Radikale finden ihre Foren, „Affekt-Aficionados“ melden sich überall zu Wort. Die öffentliche Debatte erweitert sich um „nicht mehr eingrenzbare Erregungszonen“, so Bernhard Pörksen. Im Internet stößt man nun auf „bizarre Parallel-Realitäten.“
Es geschieht auch Gutes. Wer als etabliertes Medium ein großes Publikum finden und halten will, muss auch die von den Lesern gewünschten Themen aufgreifen. Das Volk ist nun zur „fünften Gewalt“ in unserer Gesellschaft geworden, meint der Professor aus Tübingen. Das sei ein „Agenda-Setting von unten“.
Außerdem treten neue Enthüller auf den Plan, die unsere komplexe Gesellschaft etwas transparenter machen. Bei der Tagung in Frankfurt stellten sich einige vor: Die Krautreporter, das junge Team von correct!v und die Initiative Open Data City.
Die Krautreporter
Die Gruppe um Alexander von Streit betreibt ihren Blog krautreporter.de seit Mitte Oktober 2014. Inzwischen wurden dort rund 300 Artikel veröffentlicht. „Wir wollen Geschichten von den Rändern der Gesellschaft bringen“, so der 45-jährige Gründer. Darunter sind richtige Perlen. „Wie ich meine Karre in Kasachstan verkaufte“, schildert zum Beispiel der Hamburger Christian Litz. Aktuell befasst sich Theresa Bäuerlein mit dem „G-Punkt – das gynäkologische Rätsel“. Und man lernt, wie gerade in Israel der Wahlkampf auf Facebook ausgetragen wird. Die meisten Geschichten kommen überraschend, formal ist der Blog textbasiert und bietet wenige Fotos und Videos.
Finanziell sind die in einer Berliner Bürogemeinschaft arbeitenden Krautreporter laut Alexander von Streit vorerst gesichert. 2014 gelang es ihnen, per Crowdfunding binnen eines Monats eine Million Euro einzusammeln. Im Moment zahlen 18 000 Abonnenten freiwillig fünf Euro im Monat für die Nutzung der ansonsten frei zugänglichen Webseite.
www.krautreporter.de
Das correct!v-Team
Ebenfalls in Berlin betreiben seit Juli 2014 die 15 jungen Angestellten den Blog correctiv.org. Ihre Arbeitgeberin ist die gemeinnützige Puls GmbH aus Essen, hinter der die Brost-Stiftung steht. Eine steinreiche Zeitungsverleger-Familie aus Essen hat die correct!v-Leute mit drei Millionen Euro ausgestattet. Man habe noch weitere Mäzene, berichtete der Redakteur Jonathan Sachse in Frankfurt. Wer die Initiative unterstützt, zahlt in der Regel zehn Euro pro Monat.
Correct!v organisiert zum Beispiel Crowdfunding-Kampagnen für aufwendige Reportageprojekte. Da geht es um Berichte über Straßenkinder in Deutschland oder die Abrechnungspraxis von Zahnärzten. Über gewerbliche Gefängnisse und den Alltag illegaler Einwanderer. Es gibt auch einen „Mafia-Blog“. Correct!v nimmt sich Zeit, sammelt viele Daten und veröffentlicht eine Geschichte erst, wenn sie komplett durchrecherchiert ist. Das Endprodukt kann ganz unterschiedlich sein: Am Ende kommt ein Artikel, eine Webseite, ein Lehrbuch, ein Comic oder gar ein Theaterstück dabei heraus. So erforscht correct!v, welche Institutionen die von deutschen Gerichten verhängten Geldbußen erhalten und welche technischen Mängel das über der Ukraine abgeschossene Passagierflugzeug MH 17 hatte. Gerne arbeitet correct!v mit anderen Medien oder Institutionen zusammen. Medienpartner könnten die Arbeit des Recherchebüros frei verwenden.
In Planung sind laut Jonathan Sachse Online-Workshops zur praktischen Anwendung des Informationsfreiheitsgesetzes und eine Recherche über die deutschen Sparkassen, an der sich jeder Interessierte beteiligen könne.
www.correctiv.org
Open Data City
Diese Gruppe betreibt von Berlin aus Datenjournalismus, so ihr Geschäftsführer Marco Maas. Er erforscht zum Beispiel das kommende „Internet der Dinge“ und ließ seine Wohnung mit Sensoren spicken. Um herauszufinden, welche Information diese Geräte schließlich über den Bewohner liefern. Marco Maas fiel dabei auf, dass nicht nur das Smartphone die neue Informationszentrale sein kann. Er fragt: „Warum ist der Wecker eigentlich keine Kommunikationsplattform?
Ein anderes Projekt ist Lobby-Plag: Da wird erforscht, wie sich Gesetze vom ersten Entwurf bis zum Inkrafttreten durch den Einfluss von Lobbyisten verändern. Ausprobiert wird laut Maas auch, ob und wie Roboter-Journalismus funktioniert – auf Daten basierte automatische Berichte über Fußballspiele, das kommende Wetter oder die Entwicklung der Benzinpreise.
www.opendatacity.de