Tafeln sind nicht nur gut

Kritiker: Tafeln verfestigen Almosen-Kultur

Von Klaus Nissen

Besser als die bundesweit gut organisierten Lebensmittel-Sptafelenden wäre ein echter Rechtsanspruch auf ein Leben ohne Armut, meinten manche beim Gesellschaftspolitischen Forum der Kirchen in Friedrichsdorf.

Tafeln sind nicht nur gut

Es ist ein Erfolgsmodell: Rund 900 Tafeln versorgen in Deutschland 1,5 Millionen arme Menschen mit noch guten Lebensmitteln, die nahe am Verfallsdatum liegen. Das ist einerseits tätige Nächstenliebe – andererseits nur ein Almosen ohne Rechtsanspruch, meinten manche beim Gesellschaftspolitischen Forum der evangelischen und katholischen Kirche am 16. März 2015 in der Friedrichsdorfer Philipp-Reis-Schule (Hochtaunuskreis).

Gerhard Herbert
Gerhard Herbert. Foto: Klaus Nissen

Als schärfster Kritiker meldete sich Gerhard Herbert, der frühere Leiter der sozialen Dienste in Bad Homburg.  Er habe sich früher bei der Tafel engagiert, dann aber aufgehört. Denn „die Tafeln bewirken, dass sich die Politiker sozialpolitisch zurückziehen“. Den pensionierten Sozialarbeiter stört, dass die inzwischen mächtige Tafel-Organisation keine konkreten politischen Forderungen stelle. Zum Beispiel einen Mindestlohn von zehn Euro, einen höheren Hartz IV-Satz oder Mietzuschüsse für arme Menschen. „Denn 30 Prozent der Tafel-Kunden wären keine, wenn wir erträgliche Mieten hätten.“

Natürlich sind Tafeln nur ein „Pflästerchen“ gegen die Armut, sagte die Bad Homburgerin und Tafel-Ehrenamtliche Maria Wighardt-Arnold. Aber die Hilfe sei wichtig und gebe auch den Helfern die Gewissheit, Gutes zu tun. Wighard-Arnold fühlt sich nicht dafür zuständig, auch noch politischen Druck auszuüben, damit die Reichen den Armen mehr Geld überlassen.

Jürgen Banzer, Maria Wihardt-Arnold, Meinhard Schmidt-Degenhard (4)
Jürgen Banzer, Maria Wighardt-Arnold und Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard. Foto: Klaus Nissen

Die Tafeln müssten noch mehr Lobbyarbeit für die Interessen der ärmeren Bevölkerung machen, findet Alexander Dietz vom Diakonischen Werk in Hessen. Man dürfe es den Politikern nicht durchgehen lassen, dass sie zu wenig gegen die Armut unternehmen. Ihnen fielen bisher immer nur arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ein. Aber das reiche nicht aus. „Wir lindern Armut, tun aber nichts gegen die Wegwerfgesellschaft“, sagte Dietz. Die Tafeln seien nötig und segensreich. Aber sie bewirkten auch, dass das Almosen-Geben als ausreichend empfunden werde. In die gleiche Kerbe schlugen einige Philipp-Reis-Schüler aus dem Leistungskurs Politik der zwölften Klasse. „Jeder Sechste ist von Armut gefährdet – hat die Politik da nicht versagt?“ fragte ein junger Mann. Ein anderer: „Die Armut wird eher verfestigt als bekämpft.“

Die Welt wird nie ganz gerecht, sagt der Ex-Sozialminister

Viele blickten dabei auf den früheren hessischen Sozialminister und jetzigen CDU-Landtagsabgeordneten Jürgen Banzer. Er saß in der von Meinhard Schmidt-Degenhard moderierten Diskussion ebenfalls auf der Aula-Bühne. „Der Staat darf sich nicht auf dem Ehrenamt ausruhen“, sagte Banzer. Aber er könne auch nicht alle Bedürfnisse der Menschen abdecken. Hilfe sei nur für jene Menschen sinnvoll, die sich nicht selbst helfen können. Armut sei relativ, und eine echte Verteilungsgerechtigkeit werde man wohl nie durchsetzen können. Es sei „nicht gut, die Tafeln vor Ort in politische Auseinandersetzungen zu treiben“.

Alexander Dietz, rechts Jürgen Banzer
Die Politiker fällt bei der Armutsbekämpfung zu wenig ein, sagt Alexander Dietz vom Diakonischen Werk zum CDU-Landtagsabgeordneten Jürgen Banzer. Foto:  Nissen

Banzer ließ bei der Diskussion keinen Ehrgeiz erkennen, selbst etwas gegen die auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich zu unternehmen. Das sieht er als Aufgabe des in Berlin sitzenden Bundesverbandes der Tafeln. Der sei mit seinen politischen Forderungen „schon auf dem Weg. Es kann aber noch mehr werden.“ Der Tafel-Bundesvorsitzende Jochen Brühl zeigte sich am 19. Februar per Pressemitteilung besorgt, weil die Armut in Deutschland so gewachsen sei wie lange nicht. „Daher fordern wir die Politik auf, endlich eine nationale Strategie zur Bekämpfung und Vermeidung von Armut zu entwickeln und umzusetzen.“ Konkrete Forderungen nannte der Tafel-Präsident nicht.

Mehr über die Bad Homburger und die deutschen Tafeln:

https://landbote.info/tag/bad-homburger-tafel/

www.tafel.de

www.bad-homburger-tafel.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert