Julian Barnes

Auf den Spuren von Schostakowitsch

von Jörg-Peter Schmidt

Wer Ostern mal was anderes als Eier verstecken möchte, dem empfiehlt Landbote-Autor Jörg-Peter Schmidt ein Buch zu verschenken: „Der Lärm der Zeit“ des englischen Schriftstellers Julian Barnes. Es handelt vom sowjetischen Komponisten Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch.

Die Angst des Komponisten um sein Leben

Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (Foto:Roger & Renate Rössing/Wikipedia)

Zu den aktuell erschienenen Romanen, die man als Geschenk zu Ostern für den Büchertisch empfehlen möchte, gehört „Der Lärm der Zeit“ von dem englischen Schriftsteller Julian Barnes, zu dessen bisherigen Bestsellern „Flauberts Papagei“ gehört. Der Autor hat sich diesmal bei seinen gründlichen Recherchen auf die Spuren des sowjetischen Komponisten Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch begeben, der vor allen mit seinen Sinfonien zu Weltruhm gelangte. Im Mittelpunkt der wahren Geschichte, die Barnes spannend und dramatisch schildert, steht die Angst des Komponisten um sein Leben und das seiner Familie.

Diese alles beherrschende, nervenaufrüttelnde Furcht hat die Ursache in einem Konzert, das am 26. Januar 1936 im Bolschoi-Theater in Moskau stattfand: Aufgeführt wurde Schostakowitschs bis dahin erfolgreiche Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. In einer besonders geschützten Loge saß die Regierungsriege des Landes, allen voran die Genossen Stalin und Molotow. Schostakowitsch, der nicht selbst dirigierte, war ebenfalls anwesend und bemerkte schnell, wie das Unglück wie ein Ungeheuer ins Theater kroch. Barnes beschreibt das Unheil aus Sicht des Komponisten, der feststellen muss, dass die Regierungsloge unglücklicherweise direkt über dem Schlagzeug und den Blechbläsern liegt. Die Mitglieder des Orchesters bekommen durch die Anwesenheit von Stalin und Co. feuchte Hände, sind höchst nervös: Das Schlagzeug wird extrem laut, die Bläser ebenso. Und noch vor Ende der Aufführung ist die Macht aus ihrer Loge verschwunden…

Vernichtende Konzertkritik

Genosse Stalin empfand sich selbst offensichtlich als Musikexperte, war aber kein Fachmann der Rechtschreibung. So konnte man davon ausgehen, dass der Artikel, der am 28. Januar 1936 in der „Prawda“ erschien, seinen Ursprung in einem Manuskript des Regierungschefs hatte (niemand in der Redaktion wagte es , Stalins Grammatik-Fehler zu korrigieren). Das Kritikerurteil über die Aufführung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ im Bolschoi-Theater war vernichtend. Und da dies offensichtlich die Meinung Stalins war, ließen auch die Redaktionen anderer sowjetischer Zeitungen den bis dahin im Blätterwald gefeierten Schostakowitsch wie ein Stück Dreck fallen.
Wie Julian Barnes in seinen Buch nun weiter berichtet, rechnete Schostakowitsch täglich damit, das Schicksal der anderen von der Regierung geächteten Menschen teilen zu müssen: Über Nacht abgeholt, in einem Lager zu landen oder getötet zu werden: Der berühmte Komponist wird spätestens jetzt nur noch von dem Gedanken beherrscht, bald sterben zu müssen.

Er wird nicht abgeholt, stirbt aber nach und nach seelisch, weil er sich selbst nicht mehr achtet. Barnes lässt den Leser Seite für Seite mitverfolgen, wie der Komponist aus Furcht vor der Macht erniedrigende Dinge tut, die er gar nicht will: Er verrät geliebte Menschen und wird zu einer Marionette Stalins, der eines Tages beschließt, den Komponisten doch wieder zu mögen…
Wenn man dieses großartige Buch zu Ende gelesen, ist man längst zu Erkenntnis gekommen, wie aktuell diese wahre Geschichte ist: Beispielsweise in der Türkei leiden derzeit so viele Menschen unter der grausamen Angst, verhaftet zu werden, weil sie der Macht „verdächtig“ erscheinen. Und diese erniedrigende Angst zerfrisst die Seele der „Verdächtigen“.
Julian Barnes hat seinen Roman also zu rechten Zeit verfasst.

Einer der besten Romane der vergangenen Monate, der zu Recht seinen Platz im Bücherschrank finden mag: „Der Lärm der Zeit“ von Juliian Barnes. (Foto: Jörg-Peter Schmidt)

Das Buch ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 20 Euro. Das Hörbuch (Argon-Adition) kostet 19,95 Euro.

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