War Goethe Rapper?

Maren Bonacker recherchiert

von Jörg-Peter Schmidt

Wer hätte das gedacht: Die Ballade „Der Zauberlehrling“ erinnert im Stil ein wenig an die Texte von Rappern! War Johann Wolfgang von Goethe der erste “Rapper“? Dass der Verfasser des „Werther“ überhaupt seiner Zeit voraus war und bei Kindern und Jugendlichen „in“ ist, verdeutlichte Maren Bonacker (Foto) in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar anhand zahlreicher Beispiele.

Rapper Goethe

Die auf Kinder- und Jugendmedien spezialisierte Journalistin, die auch der Jury für den Deutschen Jugendliteraturpreis angehört, hielt ihren Diavortrag auf Einladung der Goethe-Gesellschaft vor etwa 40 Zuhörern und war eigenen Aussagen zufolge selbst erstaunt, wie viele kinderliterarische Goethe-Adaptionen sie bei der Vorbereitung in Büchern, CD’s und Filmen gefunden hatte.
Dass Kinder das rätselhafte, geheimnisvolle „Hexen-Einmal-Eins“ aus dem „Faust“spannend und witzig finden, wusste Bonacker aus eigener Erfahrung zu berichten: „Mich haben die Reime als Fünfjährige richtig begeistert.“ Hier der Text des „Hexen-Einmal-Eins:

„Du mußt verstehn!
Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwei lass gehn,
Und Drei mach’ gleich,
So bist Du reich.
Verlier’ die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:
Und Neun ist Eins,
Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!“

Thomas Le Blanc dankte im Namen der Goethe-Gesellschaft Maren Bonacker für den Vortrag, für den es langen Applaus gab. (Fotos: Jörg-Peter Schmidt)

Zwiespältiger Erlkönig

Wie die Referentin allerdings festgestellt hat, sind die Meinungen bei den jungen Lesern zum düsteren „Erlkönig“, beipielsweise von Franz Schubert und Carl Loew musikalisch umgesetzt („Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind…“), eher zwiespältig, schwanken zwischen Faszination, Traurigkeit und Angst angesichts des Todes des Jungen am Ende des Poems.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? –
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ –

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? –
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. –

„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ –

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau. –

„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ –
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Besonders beliebt scheint, wie eingangs erwähnt, die 1797 entstandene Ballade „Der Zauberlehrling“ zu sein, so Bonackers Eindruck. Dies bestätigte eine der Zuhörerinnen des Vortrags, die berichtete: Eine vierte Klasse der Grundschule in Dillenburg-Manderbach hatte die Reime um den Lehrling, der in Abwesenheit seines Zaubermeisters die Tücken der Magie mächtig unterschätzt, mit großem Spaß in einem Rap mit vielen untermalenden Bewegungen einstudiert. Das Gedicht, aus dem verschiedene Stellen regelrecht sprichwörtlich geworden sind („Die ich rief, die Geister werde ich nun nicht los“) ist nicht nur Vorlage für illustrierte Bücher, sondern auch für das erzählende Kinderbuch, Hörbücher und nicht zuletzt für den mit der klassischen Musik von Paul Dukas untermalten Zeichentrickfilm der Disney-Studios „Fantasia“ (1940) geworden. Verschiedene Rap-Fassungen des „Zauberlehrlings“ finden sich in modernen Schulmaterialien.

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen:
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!

Walle! walle
manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein.

Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!

Willst am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten
und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.

Seht da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder;
krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Nass und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.

„In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu seinem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.“

Der Knabe lebt, das Pferd ist tot!

Maren Bonacker, die zum festen Team der Phantastischen Bibliothek Wetzlar gehört, informierte darüber, dass für Kinder und Jugendliche einige interessante Biographien über Goethe als Bücher und Hörbücher erschienen sind (beispielsweise von Gertrud Fussenegger). Zudem hätten sich Heinz Erhardt und Otto Waalkes auf humorvolle Art des „Erlkönigs“ angenommen. Hier die Fassung von Heinz Erhardt

Wer reitet so spät durch Wind und Nacht ?
Es ist der Vater. Es ist gleich acht.
Im Arm den Knaben er wohl hält,
er hält ihn warm, denn er ist erkält‘.
Halb drei, halb fünf. Es wird schon hell.
Noch immer reitet der Vater schnell.
Erreicht den Hof mit Müh und Not —
der Knabe lebt, das Pferd ist tot!
Goethe-Helden tauchten aber auch ganz aktuell im Comic in einer Donald-Duck-Variante („Hier bin ich Ente, hier darf ich sein“) auf. Die große Überraschung, dass seit Sommer 2016 sogar eine Goethe-Figur von Playmobil auf dem Markt sei, die in Weimar reißenden Absatz finde, rundete den Vortrag ab. Nach langem Applaus dankten Angelika Kunkel und Thomas Le Blanc im Namen der Goethe-Gesellschaft mit einem Geschenk. In gemütlicher Runde blätterten die Zuhörer abschließend noch lange in den sehr unterschiedlich illustrierten Büchern, die allesamt in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar ausgeliehen werden können.

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