Gasthaus bedroht

Die Kneipe im Dorf lassen

Von Corinna Willführkneipe

Der Tourismus in Hessen meldet Rekordzahlen. Doch von dem Plus an Gästen profitieren vor allem Städte mit attraktiven Sehenswürdigkeiten. In ländlichen Regionen kämpfen Wirte in traditionellen Gasthäusern ums Überleben. Die Aktion „Gasthaus trifft Rathaus“ sorgt sich um das Kulturgut Dorfkneipe.

„Gasthaus trifft Rathaus“ will Kulturgut retten

Das Gasthaus „Zur Germania“ in Wernborn hatte einen stattlichen Saal. Zu sehen nur noch auf historischen Ansichtskarten. Der „Felsenkeller“ in Kransberg war Jahrzehnte Treffpunkt für Alt und Jung. Heute ist die Speisekarte im Aushang leer.kneipe2 „Zum Grünen Baum“, „Zur Linde“, „Zur schönen Aussicht– Namen, wie sie viele Lokale im Vogelsberg, im Spessart, dem Taunus trugen. Orte, an denen die Familie am Sonntag zum Essen einkehrte, sich die Männer zum Skat trafen, am Stammtisch palavert wurde. Lokale, in denen man die närrischen Tage, die Kerb, aber ebenso Hochzeiten und Familienfesten feierte.

1200 Gaststätten in Hessen geschlossen

Wie in der „Martinsklause“, der Schenke aus Remsfeld, einem Ortsteil der Gemeinde Knüllwald in Nordhessen. Allein: die „Martinsklause“ ist, wenn auch original getreu wieder aufgebaut, ein „Museumsstück“ im Hessenpark in Neu-Anspach. Anders als um die „Martinsklause“ ist es um die Dorfkneipe in Hessens ländlichen Regionen schlecht bestellt. Die Zahl der Gaststätten, der „gutbürgerlichen Lokale“ in Hessen, ging von 3000 Lokalen in 2001 auf derzeit rund 1800 zurück. Tendenz weiter fallend. Jährlich werden es circa 150 weniger. Eine Entwicklung, die die Kampagne „Gasthaus trifft Rathaus“ aufzuhalten versucht.

Zwischen Feldberg und Lahn liegt der Gasthof „Zur frischen Quelle“ im Ortsteil Laubach der Gemeinde Grävenwiesbach im Hochtaunuskreis. Bereits in der dritten Generation betreibt die Familie Schubert das Lokal. Ein Restaurationsbetrieb, der „einen Steinwurf“ zu den touristischen Sehenswürdigkeiten (oder eben zwischen ihnen) liegt: dem Großen Feldberg als höchster Erhebung des Taunus, der Saalburg bei Bad Homburg, dem Weilburger Schloss oder dem Limburger Dom. Seniorchef Ehrhard Schubert sorgt sich selbst noch nach zwei Schlaganfällen weiterhin um das Wohl seiner Gäste. Unterstützt wird er von seiner Ehefrau Ute und Tochter Ramona „die für einen reibungslosen und freundlichen Service“ sorgen. Ein Familienbetrieb, der noch viele Jahre erhalten werden soll.

Kneipe3
Endstation Hessenpark: Die Martinsklause im Freilichtmuseum. (Fotos: Willführ)

Nur wenige Kilometer von Grävenwiesbach: In der engen Ortsdurchfahrt von Kransberg hängt mitten im Dorf das Schild „Zum Felsenkeller Gasthof und Metzgerei“. Der Aushang für Speisen und Getränke indes ist leer. In Langenhain-Ziegenberg wird schon seit Wochen der Pächter für ein Laden-Lokal gesucht. Ins Gebäude der Hausberg-Schenke in Hoch-Weisel ist die Pizzeria-Jolly eingezogen.

Konkurrenz und Kostendruck

Die Liste der Gründe, warum sich die Gastronomie im ländlichen Raum immer weniger lohnt, ist lang: „Konkurrenz und Kostendruck, scheinbar endlos steigende bürokratische Belastungen, behördliche Auflagen, ein veränderte Gästeverhalten und der demografische Wandel“ listen die Initiatoren der Kampagne „Gasthaus trifft Rathaus“ auf. Es sind dies: die DEHOGA Hessen, der Hessische Tourismusverband und der Hessische Städte- und Gemeindebund. Sie werben sie mit einer Art Roadshow in verschiedenen hessischen Kreisen für den Erhalt der Kneipe im Dorf als „wertvolles Kulturgut“. Zugleich auch für mehr Wertschätzung der Arbeit der Wirte und ihres Personals, die nicht selten der „sozial-gastronomische Knotenpunkt in den Gemeinden und Regionen“ sind.

„Die Stammtischler sterben weg“

Oder es bislang waren. Denn der „Stammtisch“ als Treff zum Austausch über die Politik, die „große“ in Berlin oder die „kleine“ im örtlichen Rathaus, die Fußballergebnisse, ob die der Bundesliga oder der Kreisvereine, ist ein Auslaufmodell. „Die Stammtischler sterben ja weg“, sagt Egon Kröckel. Kröckel ist Wirt des Gasthauses „Zum Jossatal“ in Mernes, einem Stadtteil von Bad Soden-Salmünster im Main-Kinzig-Kreis. „Früher hatte ich am Montag 16 Mann beisammen. Der Stammtisch hat sich aber aufgelöst. Altersbedingt.“ Die Kleintierzüchter, die Angler, die Handballer, die Schützen – sie haben mittlerweile meist ein eigenes Vereinsheim – und die Kegelbahn ist längst im Bürgerhaus zu finden.

Aber was machen die Jungen? Die treffen sich bei einer Burger-Kette, holen sich schnell einen Döner von der Bude an der Straße. Der Familienausflug, einst als besonderes Ereignis in der Woche mit der Einkehr in einem Gasthof verbunden, gehört der Vergangenheit an. Führt er doch mittlerweile eher ins Einkaufszentrum oder ins Möbelhaus – das Abendessen eingeschlossen. Die Roulade mit Rotkraut und Püree für 4,95 Euro – ein Preis, den kein Gasthaus bieten kann.

Kommunalpolitiker sensibilisieren

Der demografische Wandel bedroht indes nicht nur die Stammtische, sondern wird auch Auswirkungen auf die touristische Nachfrage in Hessen haben. Zwei Zahlen im Vergleich: Heute unternehmen 181,5 Millionen Menschen Tagesausflüge nach Hessen. Bis zum Jahr soll ihre Zahl auf 173,3 Millionen Tagesgäste zurückgehen – so einer der Zukunftstrends für den Tourismus in Hessen, erstellt auf der Basis von Angaben des Hessischen Landesamtes für Statistik.

Alarm zu schlagen, wie es die Initiatoren von „Gasthaus trifft kneipe4Rathaus“ tun, ist also durchaus berechtigt. Ebenso wie ihr Anliegen, die politisch Verantwortlichen vor Ort auf die Folgen des „Kneipensterbens“ für ihre Bürgerinnen und Bürger, die Attraktivität ihrer Kommune und deren Zukunft im Tourismus zu sensibilisieren. Doch das allein wird nicht genügen. Vielmehr sind gute Ideen gefragt – und Informationen über die Fördermöglichkeiten des Landes.

Mut zu Innovationen

Mit einer guten Idee hat Gertrud Stöckl von der „Landsteiner Mühle“ in Weilrod ihr Lokal wieder zu einem Treffpunkt für Vereinsfeste gemacht. Die Gastronomin überweist am Jahresende zehn Prozent vom Umsatz einer Vereinsfeier auf das Konto des Vereins. Egon Kröckel aus Mernes hat sich ein „Spessarträuber-Examen“ ausgedacht. Um dieses zu bestehen, müssen die Teilnehmer sich im Speerwerfen und Holzsägen bewähren, bevor sie sich zu einem üppigen Mahl an den Tisch setzen. Ehrhard Schubert setzt mit seinem Familien-Team auf besondere Menüs, beispielsweise zum Valentins- oder zum Muttertag.

Mut zu Innovationen in der Gastronomie macht das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durch Fördermittel aus den Programmen „Dorfentwicklung“ und „Leader“. Aus beiden Töpfen können Mittel der Europäischen Union, des Bundes und des Landes angefordert werden. „Beide Förderangebote haben einen strategisch vergleichbaren Ansatz. Sie basieren auf der Annahme, dass die ländlichen Gemeinden und Regionen ihre Stärken und Schwächen am besten kennen“, so Dr. Anna Runzheimer im Interview für das Verbandsmagazin „Die Gastgeber Hessen“ in der Ausgabe 03/2014.

Konkret für das Programm „Dorfentwicklung“: Wirte, die ihr Lokal umbauen oder beispielsweise ihre Gartenterrasse attraktiver gestalten wollen, können sich an ihre Kreisverwaltung wenden, um von den Fördergeldern zu profitieren. Jährlich stehen 22 Millionen Euro für die Dorfentwicklung bereit.

Konkret für das Leader-Programm: Es fördert Unternehmen mit maximal zehn Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von maximal zwei Millionen Euro pro Jahr. Um einen Antrag bei der jeweiligen Kreisverwaltung stellen zu können, muss das geplante Anliegen zunächst mit der Region und dem dort ansässigen Regionalmanagement abgesprochen sein. „Die Region entscheidet, ob das Projekt den gewünschten Beitrag zur Umsetzung des Regionalen Entwicklungskonzeptes leistet“, so Dr. Anna Runzheimer. Im Topf jährlich: sechs Millionen Euro. Der Wirt, der seine Resopaltische und den Linoleumboden gegen Plastikstühle und Billigbodenkacheln austauschen will, wird sich vergeblich um Mittel aus den Landestöpfen bemühen. Auch die Hoffnung, dass sein Lokal einmal in ein (Freilicht-) Museum kommt, ist wenig realistisch.

Der Einschätzung von Egon Kröckel, ein Gasthaus auch heute noch in ländlicher Region erfolgreich betreiben zu können, indes ist nichts entgegenzusetzen: „Das Essen muss gut sein und der Wirt auch. Dann läuft der Laden.“

www.dehoga-hessen.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert