Zu Fuß zur Liebsten
Von Corinna Willführ
Der Liebe wegen ging er zu Fuß. Zwei Jahre lang. So ist es überliefert, regelmäßig von Bad Homburg nach Frankfurt. Also jeweils etwa 22 Kilometer, zumindest ist das die Länge des Wegs, der heute seinen Namen von der Kurstadt im Hochtaunuskreis bis in die Mainmetropole trägt: Hölderlin-Pfad.Susette Gontard wird zur Diotima
In drei Stunden soll der Dichter sein Ziel erreicht haben: das Haus der Kaufmannsfamilie von Jakob Friedrich Gontard. In eben dieser war er von 1796 bis 1798 Hauslehrer. Für einen wie, zwar hochgebildet, aber mittellos, Ende des 18. Jahrhunderts keine ungewöhnliche Anstellung. Doch traf er dort nicht nur auf die Kinder des Hauses, sondern auch auf Susette Gontard. Die Frau, in die er sich verliebte und die ihn zur Figur der Diotima inspirierte, der zentralen weiblichen Figur in seinem Hauptwerk, dem Briefroman „Hyperion“.
In 2020, am 20. März 1770, jährte sich der Geburtstag Hölderlins zum 250. Mal. Ein Jahrestag, den nicht nur die Stadt Bad Homburg mit zahlreichen Veranstaltungen würdigen wollte. Allein: Auch diese sind bis auf weiteres wegen der Corona-Pandemie abgesagt. So ist auch die Ausstellung im Gotischen Haus, dem Städtischen Museum, nicht zugänglich. Was dort aktuell zu sehen wäre: die größte Münzsammlung mit Konterfeis des Dichters.
22 wenig dramatische Kilometer
Den Weg zu gehen, zu Zweit oder eben wie Hölderlin allein von Bad Homburg nach Frankfurt, ist nicht untersagt. Der Pfad mit dem Namen des Dichters startet am Eingang des Bad Homburger Landgrafenschlosses, direkt gegenüber vom Sinclair-Haus. Vom Sinclair-Haus war auf landbote.info schon mehrfach zu lesen. Nicht von ungefähr. Die dortigen Ausstellungen mit Kunstwerken rund um das Thema Natur lohnen auch eine weitere Anreise. Also zum Vormerken, wenn denn die Türen nicht mehr verschlossen sind. Doch auch für Friedrich Hölderlin, geboren in Lauffen am Neckar, war der Name Sinclair in Bad Homburg, von besonderer Bedeutung. Konkret: Isaac von Sinclair, sein Studienfreund, stand dem Dichter auch in schwieriger Zeit bei. So verschaffte er in seiner Zeit als Hessen-Homburger „Regierungschef“ seinem ehemaligen Kommilitonen die Stelle eines Hofbibliothekars. Selbst als Isaac von Sinclair wegen Hochverrats angeklagt war, sorgte er sich noch um seinen Freund.
Die 22 Kilometer des Hölderlin-Pfads: Sie sind wenig dramatisch. Über Oberursel führen sie nach Kalbach, einem nördlichen Frankfurter Stadtteil, über das heutige Freizeitgelände am ehemaligen Flugplatz Bonames bis in die Adlerflychtstraße, wo bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Villa der Gontards stand. Auf historischen Bildern ist auch das „Weißer Hirsch“ genannte Anwesen der Bankiersfamilie, direkt angrenzend an das Areal der Weißfrauenkirche, noch zu sehen.
Das Leben Friedrich Hölderlins lässt sich indes durchaus als dramatisch bezeichnen. Geboren wird er als erstes Kind von Vater Heinrich Friedrich Hölderlin, der in Laufen Verwalter des ehemaligen Dominikanerinnenklosters ist. Früh verliert er seinen Vater. Die Mutter, eine Pfarrerstochter, heiratet erneut. Doch auch sein Stiefvater stirbt, als Friedrich neun Jahre alt ist. Er besucht die Lateinschule in Nürtingen, später die Klosterschulen in Denkendorf und Heilbronn. Er nimmt sein Studium auf, befreundet sich mit Wilhelm Schelling, mit Georg Wilhelm Hegel, hört in Jena Vorlesungen von Fichte.
Und muss sich, so gebildet und belesen er ist, als Hauslehrer verdingen. So auch von 1796 bis 1798 im Hause der Kaufmannsfamilie von Jakob Friedrich Gontard. „Eine Anstellung dieser Art für mittellose, aber hochgebildete Poeten war in jenen Zeiten nicht unüblich. Und auch kein Einzelfall war die zunehmend konfliktträchtigere Dreieckskonstellation: Einerseits der geschäftstüchtige Hausherr (Gontard verzehnfachte das Vermögen der Familie), dort zwei jüngere und, wie sich an den Briefwechseln zeigt, „höchst empfindsame Seelen“.
Hyperion zieht es auf seine heimatliche Insel
Die eine der empfindsamen Seelen: Friedrich Hölderlin, die andere Susette Gontard, die Ehefrau des Frankfurter Kaufmanns. In seinem zentralen Werk, dem Briefroman „Hyperion“, ist sie Vorbild für die Diotima. Kein Werk, das leicht zu lesen ist. Ein Ausschnitt zur Erklärung des Inhalts, der Seite Wikipedia entnommen: „Auf einer kleinen griechischen Insel aufgewachsen, zieht Hyperion in die Welt, um die Sitten und Gebräuche der Völker kennen zu lernen. In Smyrna schließt er Freundschaft mit Alabanda, mit dem er schwärmerisch das Bild einer freien und schönen Gesellschaft entwirft. Ihre Wege trennen sich jedoch bald. Während Alabanda für den revolutionären Umsturz durch eine Verschwörergruppe („Bund der Nemesis“) eintritt, setzt Hyperion auf eine evolutionäre Entwicklung. Resigniert und melancholisch zieht sich Hyperion auf seine heimatliche Insel zurück, gewinnt jedoch durch die Begegnung mit dem Mädchen Diotima wieder Kraft und Selbstbewusstsein. In den Ruinen von Athen beschließt Hyperion unter dem Einfluss Diotimas Erzieher seines Volkes zu werden.“
Im Jahr 1802 stirbt Susette Gontard an Röteln. Da verkehrt Hölderlin schon längst nicht mehr im Hause der Kaufmannsfamilie. Doch ihr Tod trifft ihn schwer. Drei Jahre später wird ihm bescheinigt, dass er „vom Wahnsinn in die Raserei“ gekommen sei. Ein Urteil, das nicht zuletzt dazu führt, dass er am 11. September 1806 von Bad Homburg gewaltsam nach Tübingen gebracht wird. Mit der Diagnose, dass er noch kaum mehr als drei Jahre zu leben habe. Doch in einem Turmzimmer – heute noch eine der am meisten besuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt – lebte der Dichter von Hymnen, Elogien und Oden noch bis zu seinem Tod im Jahr 1843. Mehr als drei Jahrzehnte länger als es ihm die ärztlichen Diagnosen vorhergesagt hatten.
Neugierig geworden auf diesen Dichter, der ungeachtet seines nicht einfach zugänglichen Werks zu den bedeutendsten deutschen Dichter im Ausland gehört: Im Januar 2020 hielt Dr. Barbara Dölemeyer anlässlich des Hölderlin-Jahres in der Villa Wertheimer einen Vortrag über Leben und Wirken des Dichters, nicht nur, aber insbesondere in Bad Homburg. Der Rundgang der Historikerin führt in kleine Gassen, zu heute unscheinbaren Häusern, über die sie Daten und Fakten, Fotos und Abbildungen über die Zeit des Dichters in Bad Homburg zusammengetragen hat. Ein Fundus, der allen zugänglich ist, die nicht an dem Vortrag teilnehmen konnten. Ebenso eine ausführliche Quelle für alle Interessierten, die einen Besuch der Hölderlin-Veranstaltungen in 2020 in Bad Homburg geplant hatten, um mehr über seine Zeit und sein Leben zu erfahren.