Flucht aus Syrien 2

Dies sind die Fesseln

fidaa5Fidaa Dahoud stammt aus Tartus in Syrien, einer Hafenstadt am Mittelmeer. Vor ihrer Flucht aus dem Bürgerkrieg studierte sie Journalismus. In ihrem zweiten Essay für den Landboten schreibt sie über den aus ihrer Sicht unheilvollen Einfluss der Religion. Übersetzung aus dem Englischen von Michael Schlag. Die Fotos stammen von ihrem Bruder Wael Dahoud, der als Fotograf in Tartus lebt.

Wege zum Glück weisen

Jeder Glaube und jede Lehre sollte das Leben der Menschen glücklicher machen, uns Wege zum Glück weisen und die Möglichkeit geben, auch andere Menschen dorthin zu führen. Doch was tut uns Religion an: ein enges und Furcht einflößendes Gefängnis für Körper und Seele, ein tiefes dunkles Grab für Herzen und Gedanken. Soll das so bleiben bis an das Ende der Tage?

Es ist doch lächerlich, dass die meisten unserer Geistlichen und Gelehrten Rede um Rede halten, Artikel um Artikel schreiben, nur um uns zu versichern, dass der Mensch nicht geschaffen wurde, selbst Gelehrter zu werden und Großes zu erreichen. Dass er nicht zu zweifeln hat an der Weisheit, Stärke und Fähigkeit Gottes, dass er nicht den Kampf mit Natur und Leben aufnehmen soll. Sondern dass er geschaffen wurde, ein schwacher und unwissender Sklave zu sein, der nur aus Erde gemacht wurde und im Schmutz wieder verschwinden wird.

fidaa9

Tollheit hat unsere Geistlichen erfasst, wenn sie verkünden, dass Gott gerade den ehrlichen und rechtschaffenen Menschen Seuchen und Elend schickt, ganz gleich wie stark Vertrauen und Glaube auch sein mögen. Es ist doch seltsam, dass die Unglücklichen sich jede Woche an solchen Reden berauschen und sie nachsprechen. Kein Zweifel, es ähnelt dem Verhalten eines Drogensüchtigen, wenn er Stoff bekommt. Geistliche Reden hören oder seine Droge bekommen, beides führt zur gleichen Betäubung und beides führt den Menschen weg vom eigenen, selbstbestimmten Leben. Statt dessen freuen wir uns noch über das falsche Glück und die wunderbaren Farben des Elends.

Bessere Lebensbedingungen

Wir brauchen aber nicht Betäubung, sondern wirksame Medizin: bessere Lebensbedingungen, politisch und wirtschaftlich. Wir wissen es doch gut: In Zeiten, als Europa unter den Zwängen der Religion stand, war es schwach. Erst als es sich von der Unterdrückung durch die Religion befreite, sich auf Industrie und Handel konzentrierte, begann der Aufstieg zu einem kraftvollen Leben, wie wir es uns bis heute nicht vorstellen können. Europa wäre nicht fähig gewesen, sich zu dem heutigen Lebensraum zu entwickeln – wo Millionen Menschen aus anderen Ländern hinwollen – hätte es sich nicht lange vorher aus seiner Sklaverei von Gott und dem Jenseits befreit.

fidaa8

Die Wenigsten wählen sich ihre Religion bewusst aus, kaum jemand sucht sich selbst eine Ideologie, in deren Namen er jeden Tag andere Menschen umbringt. Meist ist die Religion schon mit der Geburt festgelegt, später wird man sie für die einzig Richtige halten und Gott dafür danken. Welche das ist, ist eine Frage der Geografie: Wirst Du in Saudi-Arabien geboren, dann bestimmt nicht als Christ; kommst Du in Europa zur Welt, dann meistens nicht als Moslem, in Indien erblickst Du das Licht der Welt als Hindu und so weiter. Aber eigentlich lässt sich alles, was den Gläubigen ausmacht, auf der ganzen Welt in ein Wort fassen: Menschliche Würde. Alles Weitere sind Hirngespinste und Luftschlösser. Der arabische Dichter Abu Al-Alaa Al-Ma’arri, der um das Jahr 1000 im heutigen Syrien lebte, schrieb noch deutlicher: „Es gibt auf der Welt zwei Arten von Menschen: Der eine hat Religion, aber keinen Verstand; der Andere hat Verstand, aber keine Religion.

fidaa7

Ein Gedanke zu „Flucht aus Syrien 2“

  1. Lieber Landbote,

    Fidaa Dahouds Text empfinde ich als heidnischer Humanist und toleranter Atheist dankbar als wohltuende Bestätigung.
    Grüße von Peter Gwiasda

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert