Kein Schutz vor tödlichem Pilz
Von Corinna Willführ
Mit dem bloßen Auge ist das Falsche Weiße Stängelbecherchen kaum zu erkennen. Nur wenige Millimeter ist es groß – und doch tödlich für seinen „Wirt“: die Esche. Die Sporen des Schlauchpilzes dringen in Blätter, Zweige und Stamm ein und bewirken dort letztlich einen massiven Vitalitätsverlust der Laubbäume. Die Folge: Zunächst sterben Triebe und Blätter ab, dann die Äste, schließlich der Baum. Es ist erst wenige Jahre her, dass der Hymenoscyphus pseudoalbibus (so der wissenschaftliche Name des Schaderregers) in heimischen Wäldern entdeckt wurde. Doch seitdem hat er zu gravierenden Schäden geführt. Und bislang gibt es keine Möglichkeit, die Bäume vor dem Pilz zu schützen.
Reviere im Forstamt Schotten extrem betroffen
Besonders betroffen sind die elf Reviere im Forstamt Schotten. Denn in dem rund 12.000 Hektar großen Staatswald im Vogelsberg gibt es in Hessen das höchste Vorkommen des Edellaubbaumes. „Wir haben hier etwa 3500 Bestände, wo Eschen vorkommen. Das sind Hunderttausende von Bäumen“,
erklärt Axel Norgall, Leiter Produktion im Forstamt Schotten . Das Eschentriebsterben (ETS) bedeutet für jeden einzelnen Bestand eine Veränderung der Waldstruktur, eine Störung des Ökosystems und betriebswirtschaftliche Einbußen für die Reviere. Axel Norgall bereitet darüber hinaus der „psychologische Faktor“ bei seinen Mitarbeitern Sorge: „Die Esche als wertvolles heimisches Holz war für uns ein Hoffnungsträger. Die Förster haben viel Pflege in die Bäume gesteckt. Durch das Eschentriebsterben wird jetzt die Arbeit von Jahren vernichtet.“
Auch die von Axel Rockel. Auf seinem Computer ruft der Revierförster in Eichelsachsen die Daten zur jüngsten Fortbildungsveranstaltung über das ETS des Forstamts Schotten im vergangenen Jahr auf. Da sind Zahlen, Graphiken und Bilder zu sehen. Sie alle dokumentieren die Schäden, die
der Winzling bereits angerichtet hat und den schnellen Verlauf seiner Ausbreitung. Der für die heimische Gemeine Esche tödliche Pilz wurde Ende der 1990er Jahre über das Baltikum und Skandinavien nach Mitteleuropa „eingeschleppt“. Vermutlich über Holztransporte aus Ostasien, wo er beispielsweise an der japanischen Esche vorkommt, ohne dieser zu schaden.
Der Forstamtsbezirk von Rockel – circa 1850 Hektar – besteht zu 70 Prozent aus Laubwald. Etwa ein Fünftel davon sind Edellaubhölzer wie der Bergahorn, die Kirsche oder die immer seltener vorkommende Ulme. Der Nadelholzanteil von Fichte und Tanne macht etwa ein Viertel aus. Der Anteil der Esche liegt bei circa 15 Prozent. Die Bäume – zu erkennen an ihrer längsrissigen Rinde und den Fiederblättern – erreichen im Eichelsächser Forstgebiet durchaus eine Höhe von mehr als 30 Metern. Da sie „überall im Wald miteingemischt sind“, werden die verheerenden Schäden an den Bäumen von Spaziergängern oder Wanderern seltener bemerkt. Das „Waldsterben“ der Nadelbäume war dagegen viel leichter zu erkennen.
100 Bäume unter wissenschaftlicher Beobachtung
Grafik vom Fortstamt Schotten.Doch an der „Langen Schneise“ zwischen Eschenrod und Burkhards ist das verheerende Wirken des Schlauchpilzes nicht zu übersehen. Die Erkrankung des Eschentriebstebens wird in fünf Stufen eingeteilt – eine jede ist auf dem Areal augenscheinlich. Da stehen Dutzende Eschen, die zwischen noch belaubten Ästen sogenannte Angsttriebe ausgebildet haben. Ohne jedes Grün ragen sie zwischen noch belaubten Zweigen in den Himmel. Dazwischen Bäume mit kahlen Kronen. Nicht zuletzt: abgestorbene Eschen. Axel Rockel bückt sich, sucht auf einem abgestorbenen Trieb nach dem Falschen Weißen Stängelbecherchen. Es ist schwer, ihn ohne Lupe zu entdecken.
Einhundert Bäume sind im Forst Eichelsachsen für ein Dokumentationsprojekt zum ETS in Hessen von der Forstlichen Versuchsanstalt Göttingen, Abteilung Waldschutz, markiert worden. Sie alle waren zu Beginn der Beobachtungen im Jahr 2015 „gesund“. „Heute zeigen bereits 90 Prozent dieser Bäume Symptome der Erkrankung“, weiß Axel Rockel, ein Beleg für ihre rasante Ausbreitung.
Die indes verlief zunächst schleichend. Axel Norgall: „Erst wurden die durch den Pilz verursachten Primärschäden entdeckt. Die Eschen verloren an Feinreisig, dann die Äste in der Krone. In die geschwächten Bäume konnte beispielsweise als Parasit der Eschenbastkäfer eindringen, den Wurzelbereich der Hallimasch „befallen“. Für gesunde Bäume sind weder das Insekt noch der Pilz ein Problem. Wohl aber für bereits geschädigte Bäume.
Und im Vogelsberg gibt es dank der nährstoffreichen Böden auf dem vulkanischen Basaltgestein das höchste Aufkommen an Eschen in Hessen. „Der Flächenanteil im Staatswald Schotten beläuft sich immerhin auf rund 800 Hektar. Das sind etwa acht Prozent des 12000 Hektar umfassenden Zuständigkeitsbereiches“, so Norgall.
Dem langfristigen Absterben der Edellaubbäume müssen die Experten machtlos zusehen. Denn bislang gibt es keine Methoden dem Falschen Weißen Stängelbecherchen zu Leibe zu rücken. Weder manuell, noch chemisch, noch durch Resistenzen. Befallene Eschen müssen geschlagen werden, um einer weiteren Verbreitung des Pilzes nicht noch Vorschub zu leisten. Doch das Holz der kranken jungen Eschen kann gerade noch zu Holzhackschnitzeln verarbeitet werden.
„Wertvolles Holz, das uns jetzt genommen wird“
Das wirtschaftliche Defizit, das dem Forstamt Schotten, durch das Eschensterben in den nächsten Jahren droht, schätzt Axel Norgall auf mehrere Millionen Euro. Weitaus schlimmer sind aber die ökologischen Störungen. Was den Experten außerdem umtreibt, ist „dass das Eschentriebsterben die Förster auch psychologisch kaputt macht.“ Denn die Eschen waren Hoffnungsträger in den heimischen ldern. Ein wertvolles Holz, „das uns jetzt genommen wird.“
Von einem winzig kleinen Pilz in der Natur. Doch auf die Natur und auf deren Selbstheilungskräfte“ hoffen alle Revierförster. Axel Rockel schaut deshalb nicht nur in lichte Eschenkronen, sondern auch auf den Waldboden. Er deutet auf junge Ahorn-Bäume, auf kleine Eichen. „Die haben wir nicht gepflanzt. Dass sie hier sind, haben wir dem Eichelhäher zu verdanken. Er verbreitet ihre Früchte. Nicht umsonst wird der Vogel „der erste Förster Gottes genannt“, sagt Rockel mit ein wenig Wehmut. Denn eine Wiederaufforstung wird der Eichelhäher allein nicht hinbekommen. Sie ist vielmehr mit intensivem Arbeitseinsatz und erheblichen Kosten verbunden. Mit circa 3000 Euro pro Hektar rechnet der Förster für eine Wiederaufforstung, nicht eingerechnet, was beispielsweise zur Sicherung gegen Wildverbiss investiert werden muss.
Kampf gegen den Pilz noch besser koordinieren
So schlecht die Aussichten sind: Die Waldexperten wollen vor dem Falschen Weißen Stängelbecherchen nicht kapitulieren. In ihrem Kampf gegen den Schlauchpilz soll sie der dieser Tage eingestellte 25-jährige Forstamtinspektor Peter Seufert als Betriebsassistent unterstützen. Axel Norgall: „Zu seinen Aufgaben wird es in Kooperation mit den Kollegen in den Forsten gehören, zu sehen, wie wir die Erkrankungssymptome an den Bäumen besser erfassen können. Zudem, wie eine Auszeichnung der verschiedenen Krankheitsstufen an den Eschen erfolgen kann und wo, welche Neupflanzungen erforderlich sind.“
Dass Neupflanzungen nach dem Absterben oder Fällen der erkrankten Eschen nötig sind, ist für Norgall keine Frage. „Unser Primärziel ist es, sicherzustellen, dass der Wald wieder wächst.“ Angepflanzt werden könnten Douglasien, Lärchen, Eichen oder Ahorne. Und für diese muss es einen Schutz gegen Pflanzenfresser geben. Heißt: gegen den Verbiss von Hirschen und Rehwild. Der lässt sich organisieren und kontrollieren – anders als die Verbreitung des Falschen Weißen Stängelbecherchens.
Was noch wissenswert ist:
Die Gemeine Esche gehört zu den Ölbaumgewächsen. Sie kann eine Höhe von 40 Metern erreichen und bis zu 300 Jahre alt werden. Das Holz der Fraxinus Excelsior wird wegen seiner Festigkeit und Elastizität geschätzt. Nach Buche und Eiche ist die Esche das wichtigste Laubnutzholz in Deutschland. Eine besondere Bedeutung hat der Baum in der Nordischen Mythologie. In der isländischen Edda trägt er den Namen Yggdrasil und gilt als Weltenbaum.
Yggdrasil ruht auf drei Wurzeln. Unter jeder entspringt eine Quelle. Die Quelle Mimirs verleiht Weisheit und Wissen. Am Urdbrunnen sitzen die Götter zu Gericht. An der Quelle Hvergelmir entspringen alle Flüsse. „Auch die Menschen stammen in der nordischen Mythologie von der Esche ab. Drei Götter, darunter Odin, finden zwei Baumstämme. Ask und Embla. Ask kann als Esche identifiziert werden. Um welchen Baum es sich bei Embla handelt, ist unklar. Es könnte sich um die Ulme oder Erle handeln. Aus Ask formen die Götter den ersten Mann, aus Embla die erste Frau“ (Wikipedia).