Bei den GI`s war nichts zu holen
Mit welchen Problemen sich die Menschen vor 60 Jahren beschäftigen mussten, lässt den heutigen Leser lächeln. Michael Elsaß fand Interessantes im Jahresprotokoll des Landkreises Friedberg von 1955.
Landkreis Friedberg vor 60 Jahren
Im Archiv des Landratsamts schlummert ein Dokument mit lebensprallem Inhalt und drögem Titel: „Der Landkreis Friedberg/Hessen im Rechnungsjahr 1955“ heißt die Schrift. Sie verzeichnet, was dem damaligen Landrat Erich Milius erwähnenswert schien.
Mit Bedauern wird in dem Bericht festgestellt, dass sich die Hoffnungen, die der deutsch-amerikanische Truppenvertrag vom Mai 1955 bezüglich der Unterhaltsverpflichtungen amerikanischer Besatzungsangehöriger weckte, „bisher in keiner Weise erfüllt haben“. Hintergrund ist, dass im Jugendamt Friedberg 2090 (!) Amtsvormundschaften anhängig waren – in 296 Fällen handelte es sich dabei um Besatzungskinder. Zu gut deutsch: Die Väter zahlten nicht, und bei den GI’s war jede Zwangsvollstreckung ergebnislos.
Der Mindestunterhaltssatz für uneheliche Kinder, deren Mütter keinen gelernten Beruf besaßen, ist im Laufe des Jahres 1955 von 35 auf 45 Mark im Monat erhöht worden. Begründung: „Die ständig ansteigenden Lebenshaltungskosten machten diese Erhöhung notwendig.“ Die Kindsväter waren damals ähnlich wenig motiviert wie heute, für ihre Kinder freiwillig Unterhalt zu zahlen. So mussten in mehr als 140 Fällen eine Unterhaltserhöhungsklage eingereicht werden.
Der Landkreis Friedberg umfasste die vier Städte Friedberg, Bad Nauheim, Bad Vilbel und Butzbach und 67 Landgemeinden. Größte Stadt war Friedberg mit 16 000 Einwohnern vor Bad Nauheim mit 14 000, Bad Vilbel mit 11 000 und Butzbach mit 9 000 Bewohnern. Bad Vilbel ist heute fast dreimal so groß. Der gesamte Altkreis Friedberg hatte 1939 noch 96 800 Einwohnerund wuchs bis Ende 1954 auf fast 144000 Seelen an. Heute liegt die Zahl der Einwohner in diesem Teil des Kreises bei rund 200 000 Menschen. 1972 wurde er mit dem Altkreis Büdingen zum Wetteraukreis vereinigt.
Neues Landratsamt der Wetterau
Das heutige denkmalgeschützte Landratsamt in Friedberg war anno 55 nagelneu. Behördenchef Milius schrieb damals: „Die Kreisverwaltung verließ die Hohenstaufenburg im Norden Friedbergs, in der sie zu Gaste war, und bezog das neue, kreiseigene Verwaltungsgebäude Kaiserstraße 136 im Süden der Stadt. Da ein Kreis sich nicht in jedem Jahrhundert ein neues Haus zu bauen pflegt, verdient dieses Ereignis einen besonderen Hinweis.“ Stolz zeigte sich Milius, „dass es endlich keinen sich drängenden und dadurch unwirsch gestimmten Besucherstau“ mehr gebe. Es sei sogar zu spontanen Bekundungen der Anerkennung und des Dankes seitens des Publikums gekommen.
Die vielen, meist ehrenamtlichen Bürgermeister trafen sich damals wie heute zu Dienstversammlungen. Doch während heute die Verteilung der Flüchtlinge eine Hauptrolle spielt, thematisierte man damals die Feuerwehr. Es gab einen Vortrag über „Schlauchmaterial – Pflege und Aufbewahrung“, und Kreisbrandinspektor Häuser berichtete über die Prüfung der Kraftspritzen. Großes Interesse und Heiterkeit löste laut Jahrgangsschrift der Kurzvortrag von Oberstudiendirektor i. R. W. K. Philipps aus Bad Nauheim über „volkskundliche Eigentümlichkeiten im Kreise Friedberg“ aus. Schade, dass dieser Vortrag nicht mehr erhalten ist.
Nur noch neun Schulen mit Schichtunterricht
In den Bau neuer Schulen wurde damals kräftig investiert. Milius notierte: „Damit hat sich die Zahl der Schulen, in denen noch Schichtunterricht gehalten werden muss, auf neun verringert.“ Und die Kreisfinanzen waren bescheiden. Die Kreisumlage brachte gerade mal 2,15 Millionen Mark ein. Die Hundesteuer erzielte 126 Mark, die Jagdsteuer erbrachte 7.277 Mark. Gleichwohl gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen den Jahren 1955 und 2015: Die Einnahmen lagen mit (damals 8,4 Millionen Mark) über den Ausgaben (von damals 8,1 Millionen Mark).