Corinna liest und liest und liest …
von Corinna Willführ
Was tun gegen den Corona Blues, die Langeweile, die die Flucht vor dem Coronavirus in die eigenen vier Wände mit sich bringt? Landbote-Autorin Corinna Willführ liest, bevorzugt John Steinbeck. Dessen Bücher stehen noch in ihrem Regal, während viele Schallplatten auf der Strecke blieben.Beatles, Dylan, Baez gingen, Steinbeck blieb
Die erste, vom eigenen Taschengeld gekaufte Single „Hey Jude“ von den Beatles: Sie hat schon vor Jahrzehnten in den damals noch allenthalben vorhandenen Plattenschrank eines Freundes gefunden. Ebenso wie Neil Youngs „Hurricaine“ oder die LP „Tea for the Tillerman“ von Cat Stevens, das „Concert for Bangladesh“, die Songs von Bob Dylan oder von Joan Baez, der Folksong-Ikone, die am 9. Januar dieses Jahres ihren 80. Geburtstag begehen konnte. Ich vermisse sie also schon, die musikalischen Wegbegleiter. Mich von den literarischen zu trennen, fiel mir indes immer schwerer.
So stehen nach so manchem Aus- und Umzug noch immer (oder wieder) die Bücher von John Steinbeck im Regal. „Vón Mäusen und Menschen“ (Of Mice and Men, 1937), „Früchte des Zorns“ (Grapes of Wrath, 1939-1940), „Die Straße der Ölsardinen“ (Cannery Road, 1945) oder „Jenseits von Eden“ (East of Eden, 1952) im Regal. Die Romane des 1902 in Salinas (Kalifornien) geborenen Schriftstellers – übrigens ein Nachkomme deutscher Auswanderer – wieder oder auch erstmals zu lesen ist reines Kopfkino, ist eine Reise in das „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ mit all den für viele Menschen uneingelöstem Versprechen auf eine bessere Zukunft. Ein jedes Buch ist dabei eine Begegnung mit einem Meister des Erzählens, der ob seiner gesellschaftskritischen Analyse seiner Zeit vielen nicht wohl gelitten war und dennoch: Für „Früchte des Zorns“ erhielt John Steinbeck 1940 den Pulitzer-Preis. 1962, zehn Jahre nach dem Erscheinen von „Jenseits von Eden“, verfilmt 1955 mit James Dean in der Hauptrolle, den Nobelpreis für Literatur. Amerika verstehen, nachzuvollziehen, wieso noch immer fast die Hälfte der US-Bürger dem Slogan des Ex-Präsidenten Donald Trump „Make America great again“ nachhängen: Die Lektüre der Werke von John Steinbeck lässt einen darüber immer wieder reflektieren.
Auf der Route 66 nach Kalifornien
Etwa mit „Früchte des Zorns“. In der dtv-Taschenbuchausgabe (übersetzt von Klaus Lamprecht) nimmt einem Steinbeck mit auf die Reise der Familie Joad von Oklahoma bis nach Kalifornien an der verheißungsvollen Westküste. Mitnichten hat ihr Aufbruch auf der ursprünglich von Chicago (Illionois) bis Santa Monica (California) langen, durchgängig befahrbaren 2451 Meilen (3945 Kilometer) langen Strecke über die Route 66 etwas mit der Abenteuerlust, die bis heute so manchen Biker eine Sehnsuchtsort ist. Und mitnichten das Gefühl von Weite und Freiheit vermittelt, wie es das Roadmovie „Easy Rider“ von 1969 selbst auch nur vermeintlich tut.
Die Joads müssen die von ihnen zwar recht, aber mit zunehmend schlechterem Ertrag bewirtschafteten Parzellen Land verlassen. Aus dem lässt sich mehr herausholen, finden die Pächter. Durch den Einsatz von großen Maschinen, von Traktoren, die gnadenlos gerade Linien über das Land ziehen, um es für den gewinnträchtigeren Anbau von Baumwolle zu bereiten. Und die dabei auch nicht Halt machen, vor den Häusern der Farmer. Gefahren werden die „Landfresser“ dabei von Männern, die selbst einmal mit ihren Familien den ein oder anderen Hektar bewirtschafteten, die aber vor „den Banken“ kapituliert haben, um sich und den Ihren den Lebensunterhalt zu sichern. Denn die Urheber der Ungerechtigkeit: Für den kleinen Mann sind sie nicht mehr greifbar.
So brechen die Joads denn gen Westen auf. Mit dabei der „verlorene Sohn“ Tom. Vier Jahre saß er im Gefängnis McAlester, kam dann auf Bewährung frei. In Notwehr hatte er bei einem Streit im Suff einen Kumpel erschlagen. Sein Vater sagt, er hätte an seiner Stelle das Gleiche getan, der jüngere Bruder ist fast schon ein wenig enttäuscht, dass Tom nicht aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Wer ist gut, wer ist böse? Tom hat einen Menschen getötet – und wird, nicht zuletzt indem er seine Bewährungsauflage, den Staat nicht zu verlassen, missachtet, zum Retter der Familie. Der Entscheidungsgeber, was zu tun ist, ist er aber dabei mitnichten. Vielmehr ist es seine „Ma“. Auf dem Treck gen Westen sterben der Großvater, die Großmutter. Toms Schwester, noch ein Teenager wird bald ein Kind zur Welt bringen. Mit ihrer Hoffnung, die auch von einem Prediger, der eigentlich keiner mehr sein will, weil er nicht mehr an einen Gott glaubt, sondern ihm das Leben in all seinen Facetten als „heilig“ gilt, erreichen die Joads mit ihrem letzten Hab und Gut Kalifornien.
Als Klassenkämpfer verurteilt
„Einst gehörte Kalifornien zu Mexiko und das Land den Mexikanern, und eine Horde von zerlumpten, tollwütigen Amerikanern brach herein. Und ihr Hunger nach Land war so groß, dass sie sich das Land nahmen, dass sie es stahlen. Sutters Land, Guerreros Land, die Urkunden nahmen und sie zerrissen und sich darüber stritte, diese rasenden, hungrigen Menschen, und mit Gewehren das Land bewachten, das sie gestohlen hatten. Sie bauten Häuser auf und Scheunen, sie pflügten die Äcker und legten Samen in das Land. Und diese Dinge waren nun ihr Besitz, und aus dem Besitz wurde Eigentum.“ Als die Joads nach der Wüstennacht bei Anbruch des Morgens in der Nähe von Tehachapi das grüne Tal sahen, die Reihen von Weinreben, die Obstplantagen, die Kornfelder, lässt Steinbeck Toms Vater sagen „Allmächtiger Gott“.
Mit seinen Schilderungen über die elende Situation, die die Menschen (nicht nur) aus Oklahoma gen Westen trieb, machte sich John Steinbeck mitnichten nur Freunde. So wurde ihm Volksverhetzung vorgeworfen, die „Früchte des Zorns“ waren zeitweilig in Kalifornien (!) verboten, ihr Autor wurde als „Klassenkämpfer verurteilt“ (Info zur dtv-Taschenbuchausgabe, 24. Auflage 2016)
Und wie ging es nun weiter mit der Familie Joad in Kalifornien? Was erfährt man neu oder wieder in die „Straße der Ölsardinen“ über die Geschichte Nordamerikas, was in „Jenseits von Eden“? Alles in den Büchern eines Autors, der ein „Meister der Erzählkunst“ ist. Und wer die Verfilmung von „Jenseits von Eden“ von 1955 mit James Dean in der Hauptrolle vielleicht in seiner DVD-Sammlung hat, unbedingt nochmal ansehen.
Bestellen lassen sich die Romane von John Steinbeck ebenso wie so ziemlich alle Bücher auch weiterhin über örtliche Buchhandlungen. Viele haben in der Corona-Pandemie einen Bestell- und Abholservice eingerichtet. Dauert vielleicht einen Tag länger als bei Amazon, aber was macht das schon.
Jenseits von Eden
John Steinbeck wird als das dritte Kind einer Einwandererfamilie, der Vater deutschstämmig, die Vorfahren der Mutter aus Irland, am 27. Februar 1902 geboren. Er wächst mit drei Schwestern in der Gegend um seine Heimatstadt Salinas in Kalifornien auf. 1919 beginnt er an der Stanford University sein Studium, belegt ein breites Spektrum an Fächern von Naturwissenschaften bis zu klassischer Literatur, macht aber in keinem einen Abschluss. Seine ersten Versuche als Schriftsteller in New York sind nicht von Erfolg gekrönt. 1929 erscheint sein erster, nur wenig beachteter Roman: „Eine Handvoll Gold“ (Cup of Gold). Elf Jahre später ist nicht nur sein Buch „Grapes of Wrath“ ein Medienereignis, sondern wird auch in der Verfilmung mit Henry Fonda als Tom Jaud (Regie: John Ford) ein mit zwei Oscars prämierter Welterfolg. 1955 dann der Film mit Kultstatus: „Jenseits von Eden“ in der Regie von Elia Kazan und mit James Dean als Cal Trask (deutsche Stimme: Dietmar Schönherr). Weniger bekannt: Ende der 1940er Jahre ist der Schriftsteller mit dem Fotografen Robert Capa auf einer Reise durch Russland. Sein Reisebericht erscheint unter dem Titel: „A Russian Journal“. Zwei Jahre nach seinem wohl größten literarischen Erfolg mit „Jenseits von Eden“ hat der US-Autor auf einer Europareise seinen ersten Schlaganfall, einen zweiten erleidet er 1961. Am 20. Dezember 1968 stirbt John Steinbeck, geboren im sonnigsten Staat der Westküste, in der größten Stadt seines Landes, weit entfernt von den Orten, zu denen die Menschen in „Früchte des Zorns“ aufbrachen, in New York. Seine letzte Ruhestätte befindet sich indes ebendort: in Salinas, California.