Die „offene Wunde“ Bad Nauheims
Die Nachricht erschütterte die Menschen in ganz Deutschland: Am frühen Morgen des 24. Mai 1986 starben sieben junge Menschen bei einem Großbrand in der Gustav-Kayser-Straße 14 in Bad Nauheim. Eine junge Frau, die sich mit einem Sprung aus dem Fenster retten wollte, erlag ihren schweren Kopfverletzungen wenige Stunden später. Am 12. Juni verlor ein weiteres Opfer seinen Überlebenskampf. Zwölf junge Männer und Frauen überlebten das Feuer, haben aber bis heute unter den Folgen zu leiden. Ursache des Infernos war unzweifelhaft Brandstiftung. Bis heute konnte der Täter nicht ermittelt werden. Bürgermeister Armin Häuser zum 30. Jahrestag der Tragödie: „Bis heute ist sie eine offene Wunde in unserer Stadt.“
Feuersturm durchs Treppenhaus

Es sollte eine fröhliche Geburtstagsparty werden. 20 Gäste im Alter von 19 bis 30 Jahren hatte Aldo B., der fünf Monate zuvor in das Haus Gustav-Kayser-Straße 14 eingezogen war, zu der Fete am 23. Mai 1986 im zweiten Stock des 90 Jahre alten Gebäudes eingeladen. Einen Großteil hatte der Italiener bei einem Sprachkurs in Frankfurt kennen gelernt. Um Mitternacht hatten Nachbarn noch die „Happy Birthday“-Glückwünsche der Feiernden gehört. 20 Minuten später schreckte ein lauter Knall aus dem Treppenhaus die Partygäste auf. „Es folgte eine Verpuffung, danach raste ein Feuersturm durch das Treppenhaus in die Wohnung im zweiten Stock und durch das zersplitternde Glas der Wohnungstür weiter zu den Fenstern, die in dieser warmen Frühlingsnacht fast alle geöffnet waren“, schreibt Bürgermeister Armin Häuser in den aktuellen „Nachrichten aus Bad Nauheim“ auf der Homepage der Stadt.
Dramatische Rettungsversuche
Genährt von der Luftzufuhr durch die offenen Fenster breiteten sich die Flammen in Windeseile aus. Als Feuerwehrmann Peter Dietz und sein Vater mit dem Drehleiterwagen der Bad Nauheimer Brandschützer vor Ort eintrafen, hatten sich bereits drei junge Männer auf die Fensterbänke geflüchtet. Rauch und Flammen hatten auch Nachbarn alarmiert. Rund 40 bis 60 Menschen, so Dietz in einem Bericht der Wetterauer Zeitung vom Mai 1986, standen vor dem Gebäude. Teils holten sie aus ihren Schlafzimmern Matratzen, die einen Sturz der vor dem Inferno Flüchtenden aus zwölf Meter Höhe abmildern sollten. Peter Dietz, damals 24, und sein Vater konnten drei Menschen über die Drehleiter retten. Sechs junge Frauen und ein Mann starben. „Ihre eng umschlungenen, verkohlten Leichen wurden am Samstagvormittag gefunden – nachdem der Brand gelöscht war“, so die Mitteilung des Bürgermeisters. Wenige Stunden später erlag eine 23jährige Offenbacherin ihren schweren Kopfverletzungen, die sie sich bei ihrem Rettungssprung aus dem zweiten Stock zugezogen hatte. Karim A. kämpfte noch bis zum 12. Juni um sein Leben. Auch er hatte versucht, es durch einen Sprung aus zwölf Metern Höhe zu retten, war bei aber auf einem eisernen Staketenzaun aufgekommen und hatte „furchbare Verletzungen im Unterleib“ erlitten. Der 22jährige Algerier starb an ihren Folgen in einem Frankfurter Krankenhaus.
Unzweifelhaft Brandstiftung – Täter nicht ermittelt
Bei der Untersuchung des Brandes konnten Experten dessen Ursache schnell finden: Im Treppenhaus war Benzin ausgeschüttet und angezündet worden – eindeutig Brandstiftung. Nach dem Täter fahndet die Polizei bis heute. Die Spanne für das Motiv reicht von nächtlicher Ruhestörung, über ein Eifersuchtsdrama bis zu einem Racheakt der Mafia oder einem fremdenfeindlichen Hintergrund. Doch weder die intensiven Untersuchungen über mehr als ein halbes Jahr nach der Tat brachten den Ermittlern Aufschluss, noch neuere Analysemethoden und Computerprogramme 25 Jahre nach der Katastrophe. Auch nach der „Falldarstellung“ im „Kriminalreport Hessen“ in Kooperation mit dem Polizeipräsidium Mittelhessen am Sonntag, 6. April 2014 im Hessischen Fernsehprogramm ausgestrahlt, brachte keinen Fahndungserfolg.
„In jener Nacht hatte Bad Nauheim zwei Gesichter“, schreibt der heutige Bürgermeister Häuser, „das einer Stadt, in der ein Einzelner aus bis heute unbekannten Gründen eine solch grauenvolle Tat begehen konnte, und das einer Stadt der Hilfsbereitschaft, des Mit-Leidens, des Entsetzens, der Scham.“ Zum Zeitpunkt des Großbrandes war der Christdemokrat Bernd Rohde Bürgermeister der Kurstadt. „Einige der Toten waren Deutsche, andere Gäste unseres Landesdie hier die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen wollten. Es waren fröhliche, kontaktfreudige, aufgeschlossene Menschen. Wir wissen nicht, ob Neid, persönliche Rache, Ärger über laute Musik oder gar Fremdenfeindlichkeit den Täter zur Brandstiftung bewogen haben. Wir wissen nicht, ob die Tötung von Menschen beabsichtigt war. In jedem Fall ist es eine schreckliche Tat mit furchtbaren Konsequenzen, die für immer Teil unserer Geschichte sein wird. Der Respekt vor den Toten gebietet es, sich ihrer zu erinnern und die Umstände ihres Todes als Mahnung gegen Hasse, Gewalt und als Plädoyer für Menschlichkeit und ein friedvolles Miteinander im Gedächtnis zu behalten“, erklärt Häuser.
Die Menschen, die bei dem Brand ums Leben gekommen sind, stammten aus Gelnhausen, der Nähe von Frankfurt, aus Frankreich, Ägypten, dem Libanon und Algerien.
Am Haus in der Gustav-Kayer-Straße 14 erinnert eine Gedenktafel an die größte Brandkatastrophe mit neun Toten in der Kurstadt vor 30 Jahren. Auf die Ergreifung des Täters oder der Täter ist weiterhin eine Belohnung ausgesetzt. Hinweise nimmt die Polizei in Friedberg unter 06031/6010 entgegen.