Ein Abend über den Stückeschreiber
Von Elfriede Maresch
„Und derrr Haifisch, derrr hat Zähne…“ – mit schnarrendem Staccato-Sprech gab der Schauspieler Edgar M. Böhlke der Mackie Messer-Ballade die Bänkelsang-Note. Der Schauspieler stand in den Theatern von Wuppertal, Frankfurt, Düsseldorf, Mannheim und bei Regisseuren wie Hans Felsenstein und Peter Palitzsch auf der Bühne, wirkte in Film- und TV-Produktionen mit, hatte eine Professur an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Jetzt kam er mit einem literarisch-biografischen Abend um Bertolt Brecht auf die Schlossbühne in Ortenberg.Auf schöne Art ist Edgar Böhlke ein „literarischer Nachbar in Oberhessen“ geworden. Mit vielseitigen Literatur- und Darstellungsprogrammen tritt er in der Region auf, oft auch wie in Ortenberg beim Hessischen Kultursommer. Er wurde von der Vorsitzenden des Kulturkreises „Altes Rathaus Ortenberg e.V.“, Dörthe Herrler, im Rahmen der Veranstaltungen zum 40-jährigen Bestehen willkommen geheißen.
Fasziniert von Brechts Lebenswerk
Böhlkes Faszination vom Lebenswerk des „Stückeschreibers“ machte den Abend so intensiv und authentisch. Böhlke war noch mit großen Schauspielerinnen der Brecht-Generation im Gespräch, ist selbst in Brecht-Rollen aufgetreten. Mit einem Blick auf die Jugend Brechts zitierte der Schauspieler frühe Verse, eine „Karfreitagsballade“, ein „Deutsches Frühlingsgebet“, noch tastende Versuche, wenn auch mit der Inspiration durch das Luther-Deutsch, die immer von der „Hauspostille“ bis zu den großen Exilstücken immer wieder zu spüren ist. Schatten des 1. Weltkriegs: die Eindrücke als Lazarettgehilfe prägten Brechts bittere „Ballade vom toten Soldaten“, schon weit geformter und treffender als die ersten Texte.

Der junge Brecht entdeckte François Villon, schrieb sein „Baal“-Stück um die Unersättlichkeit des Lebens – Böhlke las in einem meisterhaft-lautmalerischen Ton den „Choral vom großen Baal“. München in den Wirren der 20-er Jahre: der Dichter, Gitarrenspieler, Balladensänger, knüpfte bei Max Reinhard erste Theaterkontakte. Die „Ballade vom ertrunkenen Mädchen“, die „Ballade von der Hanna Cash“: Böhlke brachte ebenso einfühlsam die Naturbilder des ersten wie den unersättlichen Überlebenswillen des zweiten Textes zum Ausdruck. Der Sprecher verband Wertschätzung mit profunder Kenntnis des Werkes, ersparte sich und den Zuhörern aber Idealisierung, nannte Brecht den „Mann, der sich mit Frauen amüsiert und gestritten hat“. Böhlke sprach „Erinnerung an die Marie A.“, längst auf festem Platz im Kanon der deutschen Liebesgedichte, ganz speziell für seine Frau Barbara Kemper im Zuschauerraum, hatte dabei aber auch ein Herz fürs Publikum: „Sie dürfen ruhig zuhören!“
Das Stück „Trommeln in der Nacht“ kam heraus, Brecht schaffte 1924 den Sprung nach Berlin. An die Stücke mit exotischen Szenerien, den rauschenden Erfolg der „Dreigroschenoper“ erinnerte Böhlke, an eine Blockade, die er selbst mitten in einem Lied in einer „Happy end“-Aufführung hatte und an die einfallsreiche Hilfe eines Schauspielkollegen. Solche persönlichen Erinnerungen fanden die Sympathie des Publikums.
Deutschland, bleiche Mutter
1933: rechtzeitig verließ Brecht samt Familie und Mitarbeiterinnen Deutschland, begab sich auf ein unruhiges Exil-Zickzack. Verbrennung von Brechts Büchern, Ausbürgerung: an die Jahre der Diktatur erinnerte Böhlke mit Brechts Gedicht „Deutschland, bleiche Mutter“, mit der Szene „Die jüdische Frau“ aus „Furcht und Elend des Dritten Reiches“. Böhlke traf die schmerzliche Hellsicht einer, der nur die Flucht bleibt, zeichnete das Ersticken einer Liebe in einem rassistischen Regime. Die Exiljahre waren trotz allem eine produktive Zeit für den Dichter. Der Sprecher las weniger bekannte und zu Klassikern gewordene Gedichte: „Schneider von Ulm“, „Fragen eines lesenden Arbeiters“ „Die Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“, „Am Grunde der Moldau wandern die Steine“. Böhlke erzählte von Brecht-Erinnerungen, die er als junger Schauspieler im Gespräch mit der großen Therese Giehse erfuhr, von Kontakten mit der langjährigen Berliner Ensemble-Akteurin Angelika Hurwicz. Das Exil-Elend wurde völlig unlarmoyant, aber umso eindrücklicher mit einer Szene aus den Flüchtlingsgesprächen heraufbeschworen: „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen…“ Michael Hahnemann war in einer Inszenierung der Frankfurter Kammerspiele der Arbeiter Kalle, Böhlke hatte den Part Ziffels übernommen und war souverän genug, eine vernichtende Kritik Peter Idens aus der „Frankfurter Rundschau“ zu zitieren: „Zweieinhalb zähe Stunden mit zwei unterforderten Schauspielern…“
Glanzvolle Jahre des Berliner Ensembles
Scheinbares Idyll in Finnland, wo „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ entstand, die Flucht über Moskau in die USA – Böhlke vergaß nicht, die zu erwähnen, die zu Brechts Werk beitrugen und zu selten Beachtung finden: die unentbehrliche Margarete Steffin, die unterwegs in Moskau starb, Brechts Frau Helene Weigel, deren Darstellungskunst unvergesslich mit Brechtschen Figuren verbunden ist, als Frau Carrar, als Mutter Courage. Ebenfalls in diese Gruppe gehören Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau. Die USA wurden keine neue Heimat, Brecht geriet in die Fänge des „Ausschusses gegen unamerikanische Umtriebe“, kehrte nach Europa zurück, erst in die Schweiz, dann nach Ost-Berlin. Es folgten die kurzen glanzvollen Jahre des Berliner Ensembles, des Epischen Theaters mit Brecht im Mittelpunkt des Kraftfeldes. Es folgte aber auch die Niederschlagung des Aufstandes am 17. Juni. Brecht, genauso unter Druck wie andere DDR-Intellektuelle, richtete einen Brief an Ulbricht, der in der Öffentlichkeit gekürzt und entstellt wiedergegeben wurde. Er schrieb den doppelzüngigen Vorschlag, das Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen – einen Text, der sich allerdings erst in seinem Nachlass fand.
Der Dichter starb 1956 und Böhlke schloss mit einer schauspielerischen Glanzleistung, der „Vorbildlichen Bekehrung eines Branntweinhändlers“ aus der „Hauspostille“. Mit schwerem Zungenschlag sprach er die Verse vom Jüngste Gericht-Alptraum und dem hehren Vorsatz das alten Sünders, seine Gewinne künftig nur für „Waisenkinder, Säufer, Greis und Dulderin“ hinzugeben – das Geschäft geht natürlich weiter.