Bad Vilbel

Smart City Phyll

Von Jörg Albrecht

In Bad Vilbel haben die Planer immer mal wieder großartiges auf einem einstigen Acker vor, der zum Neubaugebiet „Krebsschere“ wurde. Neuestes Projekt ist die Smart City mit der rätselhaften Bezeichnung „Phyll“. Jörg Albrecht, der in Bad Vilbel den Blog „albrechtimgruenen.de“ betreibt, beschreibt die lange, wechselhafte Geschichte des Baugebietes.

Ein neuer Stadtteil

Seit vielen Jahren versucht die Stadt Vilbel, Betriebe im Neubaugebiet anzusiedeln. Jetzt werden die Pläne wieder geändert. “Phyll” soll ein Quartier neuerdings heißen.

Das Ringen um das Areal dauert nun schon mehr als zwanzig Jahre. Historisch gesehen allerdings nur ein Klacks, denn begehrt war das Land immer. Anno 1545 wurde erstmals ein Acker “vff der krebß schernn” in den Büchern des Frankfurter Dominikanerklosters erwähnt. Der Boden, einer der fruchtbarsten in ganz Deutschland, lieferte über Generationen hinweg reiche Ernten.

Um die Jahrtausendwende herum trat dann in Kraft, was gemeinhin als “fünfte Fruchtfolge” bezeichnet wird. Die Stadt Vilbel kaufte die Fläche auf und erklärte sie zum Gewerbegebiet. Auf einen Schlag stieg der Grundstückspreis um ein Vielfaches. Aktuell wird dort ein Bodenwert von 350 Euro pro Quadratmeter zugrunde gelegt, also grob gerechnet das fünfzig- bis hundertfache wie für Acker- und Grünland.

Nicht weniger als ein kompletter Stadtteil soll hier entstehen. Hauptinvestor ist nach längerem Hin und Her bis auf weiteres die in Berlin ansässige “DLE Land Development GmbH”. »Wir haben das ganze Projekt neu gedacht«, sagt der Geschäftsführer Simon Kempf. “Mit ‘Phyll’ schaffen wir die Verbindung zwischen Bad Vilbel und Chlorophyll«. Nicht auf Anhieb für jeden nachvollziehbar.

Namensfindung ist eben “eine Kunst für sich”.

Das ist geplant

Das knapp hunderttausend Quadratmeter große Gelände soll nach und nach bebaut werden. Dazu muss erneut der Bebauungsplan geändert werden. Aktuell gilt die 9. Fassung, eine 13. ist in Arbeit. Der gesamte Aktenberg umfasst mittlerweile mehr als 600 Megabyte. Was ungefähr dem hundertfachen Inhalt der Bibel entspricht. Nur nicht ganz so leicht zu studieren.

Anders als bei früheren Großprojekten ähnlicher Art gab es im Vorfeld dieses Mal sogar eine umfangreiche Präsentation durch das Architektenbüro Kadewitt. Eine einzigartige Architektur wird versprochen. Und viel Grün. Das gehört heute in jede Projektbeschreibung. Demnach wird der Standort in drei Zonen aufgeteilt. Und zwar in einen “Mobility Hub” zur Aufnahme des Verkehrs, eine “urbane Mitte” und einen Bereich mit aufgelockerter Bebauung. Die Höhe der Gebäude soll zwischen fünf und sieben Geschossen liegen.

Sie werden von zwei Hochhäusern überragt, dem abgeschrägten “Flat Iron” und dem in sich verdrehten “Hochpunkt” mit jeweils maximal 52 Metern, was die Bauten des weiter südlich gelegenen Berufsförderungswerks und die benachbarten Wohntürme noch um einiges übertrifft. Vom Dach der geplanten Hochhäuser könnte der Blick dann ungehindert in die Ferne schweifen. Die einstige Ackerfläche soll durch Straßen und Bauten knapp zur Hälfte versiegelt werden. Angepeilt wird eine Bruttogeschossfläche von rund 240 000 Quadratmetern.

Was die Vilbeler wollen

Drei Viertel davon sind für Büros und Parkplätze vorgesehen. Damit steht das Vorhaben in direkter Konkurrenz zum Nachbarstandort Frankfurt.

Allerdings ist die Nachfrage nach Büroimmobilien in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Zur Zeit stehen allein in der Mainmetropole mehr als eine Million Quadratmeter leer. Welche Marktanteile Vilbel in diesem Umfeld erobern kann, bleibt eine Wette auf die Zukunft.

Die Einwohner der Stadt setzen so oder so andere Prioritäten. Befragt, was ihnen besonders am Herzen liegt, nannten sie der Reihe nach die soziale Infrastruktur (48 Prozent), Gastronomie (43 Prozent), Wohnraum (42 Prozent) und Nahversorgung (33 Prozent). Büros waren ihnen vergleichsweise weniger wichtig. Sorgen machte ihnen außerdem das Thema Verkehr.

Die Befragung wurde im Sommer 2023 durchgeführt. Simon Kempf, Geschäftsführer der DLE Land Development GmbH, nahm dazu in einer Pressemitteilung Stellung: „Das Phyll bietet sowohl Investoren als auch künftigen Nutzern ein hervorragendes Angebot. Aber wir haben gesehen, dass es Themen gibt, bei denen wir unsere Planungen weiter anpassen können.“

Springpark ade

Neu überdacht wurden die Pläne in der Vergangenheit bereits mehrfach. 2014 war der Bad Homburger Projektentwickler Jörg-Peter Schultheis erstmals mit der Idee für ein “Silicon Valley of Europe” an die Stadt herangetreten. Das war ganz groß gedacht: Eine halbe Milliarde Euro wollte er zunächst für sein visionäres Vorhaben zuzsamenbringen, achttausend neue Arbeitsplätze schaffen und Bad Vilbel jährliche Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von zirka 40 Millionen Euro bescheren.

Auf Startupradio, dem (inzwischen verblichenen) “Podcast für Entrepreneure, Investoren und alle, die es werden wollen”, war Schultheis um Worte nicht verlegen. Hier entstehe etwas, das sich allenfalls noch mit dem kalifornischen Menlo Park oder Palo Alto vergleichen lasse. Nur eben viel, viel moderner.

Die Finanzierung stehe bereits, meldete zwei Jahre später der Bad Vilbeler Anzeiger. Und noch einmal zwei Jahre später, im März 2018, wurde kolportiert, das Unterfangen gehe nun endgültig auf die Zielgerade. Unter Investoren in aller Welt bestehe bereits ein “gigantisches Interesse”. Den Mitgliedern des Planungs-, Bau- und Umweltausschusses sei teilweise der Mund offen gestanden, hieß es über die Präsentation des nunmehr als “SmartCity Springpark Valley” vorgestellten Konzepts.

Es dauerte nicht lange, bis 2019 der erste Spatenstich inszeniert wurde. In Anwesenheit einer Reihe gut gelaunter Gäste aus Kommunalpolitik und Bauwirtschaft schwärmte Jörg-Peter Schultheis (“sichtlich enthusiasmiert”, wie die Wetterauer Zeitung berichtete) vom “größten Innovationshub Europas”. Zweitausend Interessenten hätten bereits angefragt. Auch mit der Führung von Google sei man inzwischen im Gespräch.

Die geplante Bausumme wurde noch einmal um mehr als die Hälfte nach oben korrigiert. Stattliche 800 Millionen Euro wolle die Berliner Unternehmensgruppe Cesa hier mit Hilfe von Partnern investieren, kündigte deren Geschäftsführer Achatz von Oertzen an. Das sei ein “freudiger und hoffnungsfroher Tag” für die Stadt Bad Vilbel, sagte Bürgermeister Thomas Stöhr.

40 Millionen Euro sollte allein der Verkauf des Grundstücks bringen. Zwei Millionen sollte es als Anzahlung bei Vertragsunterzeichnung geben. Die kamen offenbar nicht fristgerecht an. Das sei aber kein Problem gewesen, hieß es wenig später: Man habe die Zahlung kurzerhand gestundet und damit obendrein noch einen Zinsgewinn verbucht.

Im März 2020 berichtete dann die Frankfurter Rundschau, es sei ein weiterer, bis dahin unbekannter Investor eingestiegen. „Ziel sei es, für alle Projektphasen ein stärkeres Partner-set-up zu installieren“, hieß es bei der Pressestelle der Cesa. Mit dem neuen Geldgeber sei man sich einig, die bisherigen Pläne zu hundert Prozent in die Tat umzusetzen.

Zur Abstimmung gelangte ein Vierteljahr später eine Beschlussvorlage für die Stadtverordnetenversammlung, die mehrheitlich angenommen wurde. Ein beachtlicher Teil der Grundstücksfinanzierung werde demnach von der Taunussparkasse beigesteuert. Dieser sei bereits eine Grundschuld in Höhe von 23 Millionen Euro bewilligt worden. Darüberhinaus sei mit der Dr. Ulrich Knapp GmbH aus Stuttgart ein privater Kapitalgeber eingestiegen, der 14 Millionen Euro als nachrangiges Darlehen zur Verfügung stelle.

Ein weiteres Jahr ging ins Land. Die Cesa ging währenddessen ein Joint-Venture mit der eingangs bereits erwähnten Deutsche Landentwicklung (DLE) ein. Letztere teilte im Mai 2021 auf Anfrage der Online-Zeitung Landbote mit, man werde die Fläche wegen der Corona-Epidemie erst einmal nicht bebauen, sondern den örtlichen Vereinen zur kostenfreien Zwischennutzung für Sport- und Kulturveranstaltungen anbieten. Davon war im weiteren Verlauf freilich nicht mehr die Rede. Auf dem brachliegenden Gelände wurden stattdessen Lastwagen und Container abgestellt.

Ein endgültiger Rückzug aus dem Projekt sei nicht geplant, hieß es gleichwohl. Es werde nur kleiner ausfallen. Der Name “Spring Park Valley” werde gestrichen, der Ideengeber Jörg-Peter Schultheis sei nicht mehr an Bord. Für die Stadt Bad Vilbel sei es nur wichtig, dass an dem Projekt weiter gearbeitet werde, kommentierte deren Pressesprecher Yannick Schwander. Auf Änderungen an den Plänen habe man nach dem Verkauf des Grundstücks allerdings keinen Einfluss mehr. Eine Umwandlung zu einem Quartier für dauerhaftes Wohnen sei nach dem gegenwärtigen Stand jedenfalls nicht möglich.

Wie geht es weiter?

“Coming soon”, heißt es heute von Seiten der Cesa. Man wolle in der Stadt der Quellen möglichst bald flexible Arbeitswelten schaffen. Für den Anfang ist dafür ein Teilbereich in unmittelbarer Nachbarschaft von Rewe und Aldi vorgesehen. Dieses Grundstück fällt, abweichend vom Rest des Geländes, unter den Bebauungsplan “Quellenpark Südwest”. Darin wird es als sogenannte „Außenbereichsinsel im Innenbereich“ eingestuft, was die Planung deutlich beschleunigt.

Als erstes Vorhaben will die Cesa einen sechsgeschossigen Bau mit dem Namen “Pioneer” hochziehen. Darin würden Büros, Gastronomie und Veranstaltungsräume untergebracht, heißt es; angedacht sei auch eine Teilnutzung als Hotel. Das Bauschild steht jedenfalls schon 

Als “Krebsschere” geistert der ehemalige Acker seit einem Vierteljahrhundert durch die Debatte. Großartige Pläne wurden auf den Tisch gelegt und klanglos beerdigt. Gewaltige Investitionen wurden an die Wand gemalt und entpuppten sich als reines Wunschdenken. Und immer wieder hieß es, sei das Bauvorhaben sei endgültig in trockenen Tüchern. Was man bis heute nicht wirklich behaupten kann.

Da war zum Beispiel die fantastische Idee eines “Silicon Valley of Europe”, vorgetragen vom Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Unternehmenszweck bis dahin im Betrieb von Friseursalons bestanden hatte. Dann wurde der Einstieg eines „sehr bedeutenden, sehr erfahrenen und finanziell sehr leistungsfähigen Bauträgers“ angekündigt, dessen Name jedoch ein Geheimnis blieb.

Dann wurde ein privater Kapitalgeber aus Stuttgart mit ins Boot genommen, der ein breit aufgestelltes Portfolio mitbrachte und in der Folge nicht weiter in Erscheinung trat.
Zwischendurch hieß es, Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Projektes seien nicht erlaubt, denn dahinter ständen “wohlhabende Familien” beziehungsweise zwei »bedeutende deutsche Familien«, welche in der Vergangenheit bewiesen hätten, enorme Summen aufbringen zu können.

Bedenken, die gelegentlich im Stadtparlament und anderswo geäußert wurden, wurden in der Regel mit der Begründung aus dem Weg geräumt, dass es sich um Grundstücksgeschäfte handele, die nun mal vertraulich seien.

Unternimmt man den Versuch, den einzelnen, nicht näher spezifizierten Hinweisen auf potentielle Großinvestoren nachzugehen, verläuft die Suche allerdings rasch im Sand. Das ganz große Geld scheint einstweilen noch einen Bogen um Bad Vilbel zu machen.

So kann man vorläufig nur spekulieren, wer tatsächlich mit welchen Summen und mit welcher Perspektive in das Projekt einsteigen könnte. Das hängt davon ab, wie sich der Immobilienmarkt in Zukunft entwickelt. Gewerbeflächen sind zur Zeit wenig gefragt, drei- bis viermal höhere Preise werden für neue Wohnquartiere aufgerufen.

Die Stadt hat dennoch wissen lassen, dass sie keine weiteren Wohngebiete dieser Größenordnung festschreiben will. Denn in Vilbel sei der Bedarf jetzt gedeckt. Man habe hier praktisch keine Obdachlosen – und wenn es überhaupt Wohnungssuchende gäbe, seien sie mehrheitlich nicht vermittlungsfähig. Noch mehr zahlungskräftige Klientel aus dem benachbarten Frankfurt wolle man auch nicht anlocken.

Kaufmännisch betrachtet stehen sich am Ende zwei finanzielle Interessen gegenüber. Wer ein Grundstück im Neubaugebiet gekauft hat, sucht nach Wegen, es zum höchstmöglichen Preis zu verwerten. Wer ein Grundstück verkauft hat, kann Einnahmen nur noch in Form einer regelmäßig fließenden Gewerbesteuer kassieren.

“You can’t eat the cake and have it” oder wie der Schweizer zu sagen pflegt: “Du chasch nit dr Füfer und s Weggli ha”. Denn hier steckt die Stadt Vilbel nun wahrhaftig in der Krebsschere. Noch gilt der Plan, dort ausschließlich Gewerbe und nur in geringem Umfang Wohnungen zu genehmigen. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Wenn ein neuer Investor am Horizont auftaucht, werden Bebauungspläne in der Quellenstadt früher oder später an seine Wünsche angepasst.

Der Artikel mit allen Quellenangaben steht hier: albrechtimgruenen.de

Titelbild: Mit dierser Animation wirbt die DLE Land Developement auf der Internetseite phyll-bad-vilbel.de für ihr Projekt.

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