Putins Krieger

ZDF-Doku über russische Deserteure

Von Michael Schlag

In der vierteiligen ZDF-Dokumentation „Putins Krieger“ berichten vier Überläufer aus der Armee, aus Söldnertrupps und aus den russischen Gefängnissen. Alle waren als Offiziere in verschiedenen Kriegen Russlands und zuletzt beteiligt an dem Überfall auf die Ukraine. Bis zu dem Punkt, an dem sie sich entschlossen, nicht mehr mitzumachen. Jetzt sind sie bereit auszusagen.

Mprd,Folter, Kriegsverbrechen

Es ist schwer zu ertragen, was die Täter hier so selbstverständlich von sich geben. Sie reden über Mord, Folter, Bombardierung von Städten, Kriegsverbrechen. Trotzdem kann man sich nicht davon lösen, solche Berichte aus dem Innersten der russischen Armee hat man bisher nicht gehört – ausgesprochen von den Tätern selber.

Igor

Igor. (Fotos: ZDF)

Igor ist russischer Offiziersveteran, war von Afghanistan bis zur Ukraine in sechs Kriegen im Einsatz, zum Teil in privaten Söldnerarmeen wie der Wagner-Gruppe. Lange Zeit hatte er keinen Zweifel am Sinn seines Tuns, denn „man hatte uns immer gesagt: Wir sind da, um anderen zu helfen.“ In den Donbass-Kämpfen von 2014 habe man ihm angeboten, „bei einer Sabotageeinheit für Spezialoperationen in der Ukraine mitzumachen. Das war bei einer Söldnertruppe namens Redut. Die hatten geheime Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium.“ Igor berichtet, sie hätten Anschläge auf zivile Ziele im eigenen Lager verübt, um einen Vorwand für den Krieg in der Ukraine zu liefern. Ein Kriegsverbrechen, über das Igor bereit ist, vor Gericht auszusagen, denn „allmählich ist mir klar geworden, dass wir auf die Seite des Bösen geraten sind“.

Nikolaj

Als junger Kadett träumte Nikolaj von einer Karriere in der Luftwaffe, „wir glaubten an eine glänzende Zukunft.“ Als Offizier bei den Langstreckenbombern koordinierte er schließlich Bombenflüge nach Syrien, entgegen der offiziellen Darstellung auch gegen zivile Ziele. Später verriet er, getrieben von inneren Zweifeln, Angriffe von Kinschal-Raketen gegen ukrainische Städte. Vom russischen Geheimdienst zwischenzeitlich verhaftet, gelang ihm schließlich die Flucht aus Russland. Der ehemalige russische Luftwaffenoffizier sagte heute über den Vorwand zum Ukrainekrieg: „Ich habe Freunde und Bekannte, die in die Ukraine waren, und niemand hat dort jemals von Nazis gesprochen. Es war daher ein Schock für mich, dass wir dort friedliche Ziele bombardiert haben.“

Witalij
Witalij

15 Jahre lang diente Witalij als Major in der militärischen Spezialkampfeinheit „Taifun“. Sie operiert vor allem im russischen Gefängnisapparat, um Aufstände niederzuschlagen und ein systematisches Gewaltregime aufrechtzuerhalten. „Anfangs war ich geschockt von der Gewalt. Dann habe ich mich schnell angepasst“, erzählt Witalij. „Taifun“-Kämpfer würden auch mithelfen, Sträflinge für die Ukraine-Front in Gefängnissen zu rekrutieren. Als der in der Ukraine geborene Witalij mit seiner Einheit Kriegsgefangene in „Filtrationslagern“ foltern soll, verlässt er „Taifun“ und bald darauf Russland. Er hat sich mehrfach mit internationalen Staatsanwälten getroffen, um über das System auszusagen. „Der Internationale Gerichtshof in Den Haag muss wissen, wie Russland sein Gefängnissystem dazu einsetzt, um ukrainische Zivilisten zu foltern.“

Andrej

Ende 2021 wird Andrej mit seiner Einheit auf die Krim verlegt, und er erlebt die Grausamkeit des Krieges. Im Feuer von Granaten und Drohnen muss er in großer Höhe Installationen auf Funkmasten vornehmen. Schon im Alter von 18 Jahren habe Andrej erfahren, wie Korruption und Gewalt den Soldatenalltag bestimmen. Er entkommt in einer dramatischen Flucht, seine Familie ist darüber zerbrochen: „Mit meinen Eltern spreche ich nicht mehr, ich spreche eigentlich mit gar niemandem. Weil sie einfach alle genau das Gegenteil denken.“ Wie alle Befragten lebt er an einem geheim gehaltenen Ort und fürchtet die Rache seiner Heimat: „In der ersten Woche schreckte ich nachts aus dem Schlaf auf vor Angst, sie würden mich finden, zurück nach Russland schleppen und ganz lange wegsperren.“

Vor internationalen Staatsanwälten ausgesagt

Stimmt das Alles überhaupt, kann man diesen Männern, die über schwere Verbrechen berichten, überhaupt glauben? Die Filmautoren Florian Huber und Johannes Müller sagen: „Auch wenn diese Männer keine Heiligen sind, dürfen wir nicht vergessen: Sie riskieren ihr Leben, um nicht weiter an dem Angriffskrieg Russlands teilzunehmen und aus dem Militärapparat auszusteigen.“ Um ihre Aussagen zu verifizieren, arbeiteten die Autoren mit russischen Menschenrechts-Organisationen zusammen, die sich um Armeeaussteiger kümmern. Beteiligt war auch die Investigativ-Plattform Correctiv, außerdem hätten fast alle Überläufer mittlerweile vor internationalen Staatsanwälten ausgesagt. Für Marcus Bensmann, Reporter bei Correctiv, zeigen die Berichte, „dass sich die Armee und das Gefängnissystem in Russland über Jahrzehnte hinweg brutalisiert haben.“ Das sei der Hauptgrund für die Menschenrechtsverletzungen der russischen Armee, sei es in Tschetschenien, in Syrien oder jetzt in der Ukraine.

„Putins Krieger“ von Florian Huber und Johannes Müller, ZDF 2024. In der vierteilige Dokureihe (jeweils 30 Minuten) stehen subjektive Erzählungen im Vordergrund. Begleitet wird die Reihe von einer 45-minütigen Dokumentation zum politischen und historischen Kontext.

zdf.de/dokumentation/putins-krieger

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