Einer aus der ersten Stunde erzählt
Von Michael Schlag
Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) feiert sein 60-Jähriges Bestehen. Landbote-Autor Michael Schlag hatte Gelegenheit, mit Einem zu sprechen, der damals dabei war: Gerhard Dambmann, Gründungsmitglied des ZDF und zwölf Jahre Ostasienkorrespondent des Senders in Hongkong und Tokyo.Filme wurden noch im Labor entwickelt
1. April 1963 nahm das Zweite Deutsche Fernsehen seinen Sendebetrieb auf, das ZDF feiert sein 60-jähriges Bestehen mit Rückblicken und Dokumentationen. Konrad Adenauer war Kanzler der BRD, es war Kalter Krieg, China für Journalisten komplett verschlossen, die Kolonialreiche brachen zusammen. Filme wurden damals noch im Labor entwickelt anstatt über das Netz gestreamt, man schrieb noch Briefe anstatt E-Mails, umso wichtiger waren persönliche Verbindungen.
Michael Schlag: Wie fiel eigentlich die Entscheidung, das ZDF in Mainz anzusiedeln?
Gerhard Dambmann: Dafür gab es praktische Gründe und politische Gründe. Die Filme mussten damals noch transportiert werden, es gab ja keine Direktübertragung; die neue Fernsehanstalt brauchte also die Nähe zu einem internationalen Flughafen, das war der Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt. Allerdings war Hessen zu der Zeit von der SPD regiert, die Mehrheit der Bundesländer, die den Staatsvertrag schlossen, war aber CDU, dazu gehörte Rheinland-Pfalz. So fiel die Wahl auf die Landeshauptstadt Mainz.
Fernsehen war 1963 immer noch eine neue Technik, wie fand man eigentlich geeignete Redakteure, Techniker, Mitarbeiter?
Es gab kaum Leute, die schon Fernseherfahrung hatten, wo sollten sie auch herkommen? So warb man die leitenden Redakteure, Chefredakteur, Programmdirektor, Nachrichtenchef von den ARD-Anstalten ab, unter den Bonner Hörfunk-Korrespondenten war das ein ziemlicher Kahlschlag. Ich war zu der Zeit Hörfunk-Korrespondent des Hessischen Rundfunks in Bonn und interessierte mich für die neu zu gründende Hauptredaktion Dokumentarfilme. Berichterstattung aus dem Ausland, das war mein Thema.
Wie fanden Sie Ihre Mitarbeiter?
Ich selber hatte ja herzlich wenig Ahnung von Fernsehen und ohne guten Kameramann sind sie als Redakteur völlig aufgeschmissen. Ich musste mir also ein Team zusammenstellen. In der Aufbruchsstimmung wurden solche Dinge schnell entschieden, oft zählte einfach der persönliche Eindruck. Ich sprach also mit einigen Bewerbern und fragte, wo sie denn gerne mal drehen würden? Einer wollte in den Himalaya, einen anderen zog es in die USA und einer antwortete: „Mir ist das völlig egal, ob Sie mich in den Odenwald schicken oder in die Pampas; ich möchte nur Gelegenheit haben, zu zeigen was ich kann“. Der war es dann, Hermann Engel, er wurde über Jahrzehnte mein Kameramann, auch später in Tokyo. Wir sind bis heute, auf unsere ganz alten Tage eng befreundet.
Wo hatten Sie selbst die ersten Erfahrungen mit Fernsehjournalismus gesammelt?
Vor meinem Wechsel zum ZDF hatte ich erst einen Film gemacht, und zwar „Jerusalem – geteilte Stadt“ für den Sender Freies Berlin. Berlin geteilte Stadt, Jerusalem geteilte Stadt, das war ein Thema. Der SFB stellte das Kamera-Team und mir auch einen Regisseur zur Seite. Ost-Jerusalem gehörte damals zu Jordanien. Hans Klein, ein Freund und Kollege aus der Bonner Zeit, war mittlerweile Presseattaché der deutschen Botschaft in Amman und mit seiner Hilfe haben wir eine Drehgenehmigung bekommen (Anm. d. Red.: Hans „Johnny“ Klein wurde später Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung).
Nachdem der Film gesendet war, meinte Hans Klein zu mir: „Du musst an deine Karriere denken.“ Wie wäre es denn, der deutsche Botschafter in Jordanien schreibt Deinem Intendanten, wie fabelhaft Ihr hier gearbeitet habt. Allerdings habe der Botschafter keine Ahnung von Fernsehen und „das Beste wird sein, Du schreibst das selber“. Ich habe dann einen Brief aufgesetzt, wie gut wir waren, der ging, unterzeichnet vom deutschen Botschafter in Amman, nach Berlin. Drei, vier Wochen später kommt ein Brief zurück, vom Büro des SFB-Intendanten. Der deutsche Botschafter in Jordanien habe sich sehr anerkennend über unsere Arbeit ausgesprochen und der Intendant würde dem Botschafter gerne für seine freundlichen Zeilen danken. Nun kenne sich der Intendant aber gar nicht mit Jordanien aus, „das Beste wird also sein, wenn Sie ihm einige Zeilen entwerfen.“ So habe ich es dann gemacht.
Von welchen Themen handelten die ersten Auslandsdokumentationen im ZDF?
Mir ging es eigentlich immer darum, das Leben der Menschen zu zeigen. Mit dem Konzept haben wir uns in der Redaktion zwei Serien ausgedacht, die erste nannten wir „Kleine Leute“. Das war eine Fernsehserie über die einfachen Leute in aller Welt, ein Briefträger in New York, eine Stewardess in London, ein Reisbauer auf Bali. Die zweite Serie handelte von berühmten Ausbildungsstätten, darunter die Harvard Universität in den USA, die Päpstliche Universität Gregoriana im Vatikan, die Staatsuniversität Todai in Tokyo. Diese Serien hatten immer sechs Folgen.
Es gab nicht im Entferntesten die technischen Strukturen der Kommunikation, die wir heute haben. Welche Rolle spielten damals persönliche Verbindungen?
Persönliche Verbindungen waren Alles, das A und O der Arbeit. Am 13. April 1971, an das Datum erinnere ich mich genau, klingelte abends um halb zehn bei mir in Hongkong das Telefon. Am Apparat der Leiter der Nachrichtenagentur Xinhua („Neues China“) in Hongkong. Hongkong war britische Kronkolonie und Xinhua im Grunde die inoffizielle diplomatische Vertretung der Volksrepublik. „Wenn Sie wollen, können Sie morgen früh nach Kanton reisen, in die Volksrepublik; Visa liegen an der Grenze in Lo Wu bei der Passkontrolle.“ Das müssen Sie sich vorstellen: Jahrelang hatten wir auf diesen Tag gehofft, China hatte sich von der übrigen Welt völlig isoliert, alle lauerten darauf, hier drehen zu können. Es gab nur eine Verbindung zwischen Hongkong und China, das war die Fußgängerbrücke in Lo Wu. Da nahmen uns am nächsten Morgen die Kollegen des chinesischen Fernsehens im Empfang. In Kanton war Messe, dort konnten wir Aufnahmen machen. Nach heutigen Maßstäben war das nichts Sensationelles, denn China war wirklich ein sehr rückständiges Land. Es gab im Wesentlichen Billigware, komischerweise erinnere ich mich vor Allem an Thermosflaschen.

Trotzdem war es eine aufregende Geschichte, zum ersten Mal seit der Machtübernahme der Kommunisten ein westdeutsches Fernsehteam in China. Und wir durften nicht nur auf die Messe, wir konnten auch in der Stadt drehen. Die Straßen verstopft mit Fahrrädern, mit unseren Autos konnten wir uns kaum bewegen. Dann haben unsere chinesischen Kollegen gesagt, hier in der Nähe ist eine Kaserne, wollen Sie die mal sehen? Natürlich wollten wir das, wer hatte denn schon Soldaten der Volksbefreiungsarmee gefilmt. Der Sender hat das in der Heimat natürlich bekannt gemacht und die FAZ brachte sogar eine Notiz auf ihrer Titelseite: „ZDF dreht in China“. 1:0 für uns, würde ich sagen; mein Verhältnis zum ARD-Kollegen in Hongkong hat darunter allerdings etwas gelitten.
Aber wie kamen die Chinesen ausgerechnet auf Sie?
Die Geschichte geht etwas weiter zurück, in meine Anfangsjahre beim ZDF in Mainz. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua hatte zum ersten Mal einen Korrespondenten in Bonn. Der lebte ganz bescheiden in Bad Godesberg, die Deutschen haben von ihm so gut wie keine Notiz genommen. Aber ich dachte, um den kümmere ich mich mal. Wir sind zusammen essen gegangen, ich habe auch veranlasst, dass er zum ZDF eingeladen wurde, so hat sich ein Kontakt entwickelt. Denn es war klar: Der berichtet doch nach Hause, wer hier besonders nett zu ihm ist und wer nicht. Der Kollege hieß Wang Shu, er wurde später der erste Botschafter Chinas in der Bundesrepublik. Also, die Beziehungspflege hat sich für mich ausgezahlt. Das setzte sich im Jahr darauf fort. 1972 besuchte zum ersten Mal ein deutscher Politiker die Volksrepublik, das war Gerhard Schröder (CDU), damals Vorsitzender des Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Ich konnte für das ZDF den Besuch begleiten, und wir wurden in der Großen Halle des Volkes vom Ministerpräsidenten Zhou Enlai empfangen. Das war schon ein herausragendes Erlebnis, die Öffnung Chinas so nah mitzuerleben.
Der Flugverkehr war für die Berichterstattung aus dem Ausland sehr wichtig, Filmrollen mussten nach Hause transportiert und auch noch entwickelt werden.
Und das hatte seine Tücken. 1973 wurden amerikanische Soldaten aus jahrelanger nordvietnamesischer Kriegsgefangenschaft freigelassen, zu der Zeit war ich ZDF-Korrespondent für Ostasien mit Sitz in Hongkong. Das philippinische Flugzeug der „Operation Homecoming“ landete auf der Clark Air Base, einem riesigen amerikanischen Stützpunkt auf den Philippinen und jeder, der in Asien eine Kamera hatte, wollte natürlich dabei sein. Wir konnten die Rückkehr der Helden und den Empfang auf dem Rollfeld drehen, das Problem war nur: Wie kriegen wir die Filme nach Deutschland? Clark Air Base ist ein Militärflughafen, es gab keine Zivilflüge und auch keine Zollabfertigung. Die amerikanischen Presseleute sagten uns: Es ist schon alles vorbereitet. Nach der Zeremonie steht ein Hubschrauber bereit, da könnt Ihr Eure Filmbeutel abgeben und der Hubschrauber fliegt sie rüber zum Zivilflughafen von Manila, darunter auch unseren Beutel für die ZDF Heute-Redaktion. Nur kam der Heute-Beutel nie auf dem Flughafen in Manila an, die Filme der anderen Nationen auch nicht. Der Hubschrauber landete nämlich nicht am vereinbarten Ort, sondern an einem Platz, den nur die Mitarbeiter vom amerikanischen Fernsehen kannten. So hatten die Amerikaner die Story als Einzige und konnten sie an die ganze Welt verkaufen. Diesmal 1:0 für die Amerikaner. Jedenfalls hatten wir gelernt, dass man in Amerika im Wettbewerb mit härteren Bandagen kämpft als bei uns.
Filmische Rückblicke auf 60 Jahre ZDF sind abrufbar in der ZDF-Mediathek: zdf.de/dokumentation/zeitreise-bilder-aus-60-jahren
Ich kenne Hermann Engel, er war Kameramann und lebte im Jahre 1982 bis 1986 in Rio. Können Sie mir mitteilen, wo er heute lebt?
Ich bin Jasmin Mitter und lebe in Traun/OÖ.
Email: j.mitter@siethomgroup.com