Zum Schwanen

Als mit Mist und Milch bezahlt wurde

von Jörg-Peter Schmidt

In früheren Jahrhunderten bezahlten die Gäste ihre Rechnungen in Gasthäusern oft mit Mist oder Milch ihres Viehs. Diese erstaunliche Tatsache war kürzlich zu erfahren, als die Gastwirtschaft „Zum Schwanen“ in Staufenberg-Mainzlar (Kreis Gießen) zur Feier eines Jubiläums einlud. Denn der einstige Wirt Walter Vogel wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt geworden. Zahlreiche Bürger aus Staufenberg und Umgebung waren in die warme, gemütliche Stube gekommen, die ein uriger alter Ofen mit Holzscheiten beheizt. Die heutige Wirtin Antje Vogel, die mir ihrem Ehemann Matthias die Gaststätte jetzt in der etwa zehnten Generation betreibt, richtete mit ihrem Team die Feieraus und freute sich, dass die Resonanz so groß war.

Es durfte kein Gezänk geben

Es gab  Kaffee und Kuchen und im Mittelpunkt des Interesses stand eine Ausstellung über die Geschichte des Lokals, die Walter Vogels Tochter Birgit Kessler-Vogel und ihr Ehemann Gerhard Kessler liebevoll vorbereitet hatten. Bevor die beiden die Ausstellung eröffneten, sprach Bürgermeister  Peter Gefeller zum Auftakt. Er hatte alte Urkunden mitgebracht, die Barbara Wagner aus dem Stadtarchiv herausgesucht hatte. Der Bürgermeister berichtetet, dass 1811 Großherzog Ludwig diesem Mainzlarer Gasthaus urkundlich die Erlaubnis erteilte,  eine Gastwirtschaft mittels Anbringung eines „Schildes als solches kenntlich zu machen“ und als öffentliches Gewerbe in Ortschaften und Hauptstraßen zu betreiben.  Er verlangte allerdings im Text der  Urkunde, dass es in der Gaststätte kein Gezänk, keine Schlägereien geben dürfe. Auch sollten die Getränke rein, also „unverfälscht“ sein. 

Ein historisches Fotos von der Gaststätte. Auf der Aufschrift des Hauses stand damals noch „Wirthschaft Schwanen“, also mit „h“ in der Mitte.

Gerhard Kessler erläuterte, warum Mainzlarer Wirtshäuser einen so guten Zuspruch hatten: Das Dorf lag an der bedeutenden Handelsstraße „Durch die Langen Hessen“. Sie verband Frankfurt/Main mit Leipzig und war eine von Kaufleuten, Fuhrmännern, Reisenden und Heerzügen rege genutzte Route. Die Gasthöfe des Dorfes boten Unterkunft und Verpflegung für Mensch und Vieh. Im Umfeld des Straßenkreuzes gab es zeitweise bis zu fünf dieser sogenannten Ausspannwirtschaften, von denen als einzige das Gasthaus „Zum Schwanen“ bis heute überlebt hat. Noch Anfang des 20.

Walter Vogel bei der Arbeit im „Schwanen“.

Jahrhunderts machten Viehhändler im „Schwanen“ Station, bevor sie am nächsten Morgen mit ihrem Vieh zu den Märkten nach Gießen, Grünberg oder Frankfurt/Main weiterzogen. Die Händler schliefen in der „guten Stubb´“ des Hauses und bezahlten bar. Die Treiber übernachteten im Stall bei den untergestellten Tieren. Der angefallene Mist der Tiere blieb bei dem Wirt, auch hatte dieser am nächsten Morgen den Anspruch auf die frisch gemolkene Milch. Diese wurde zu Butter und Käse verarbeitet, beides konnte dann in der Gastwirtschaft wieder umgesetzt werden. Der Mist als Dünger ermöglichte dem Gastwirt eine größere Ackerzahl zu bewirtschaften als es ihm sonst möglich gewesen wäre. Aber auch andere Marktbetreiber übernachteten auf dem Gelände der Gastwirtschaft. Sie schliefen meist bei der Ware im Planwagen, die Zugpferde wurden im Stall untergestellt.

Preis für Schnitzel und Brot: 1,60 Mark

Kessler fuhr fort. „Das wohl vor 1700 erbaute alte Gebäude des Gasthofes wurde 1927 niedergelegt. Es war ein zweistöckiger verputzter Fachwerkbau, dessen Balkenwerk auf einem hohen Steinsockel stand. Der große gewölbte Keller wurde zur Lagerung für die Bier- und Schnapsfässer genutzt. Beim Abriss fand man im Mauerwerk eine Münze aus dem Jahre 1615. Auf der Grundfläche des alten Gebäudes wurde 1928 der heutige rote Backsteinbau errichtet. Das jetzige Scheunen-/Stallgebäude stammt aus dem Jahr 1953. Vorher stand hier das noch aus der Zeit der Ausspannwirtschaft stammende Stallgebäude. In den einzelnen Ställen befanden sich immer noch entlang der Wände lange Sandsteintröge mit Anhängeringen für das hier einst untergestellte Marktvieh. Zwischen ca. 1770 und 1835 verfügte das Gastaus über ein Brauhaus.“ Ursprünglich war die Familie Benner für die Bewirtung zuständig; mit dem Namen Andreas Benner (1682 – 1752) fangen die Überlieferungen an. 1843 heiratete Anna Margarete Benner Johannes Vogel, so dass der Name Vogel erstmals in der „Schwanen“-  Chronik verbürgt ist. Johannes Vogel war zeitweise „Großherzoglicher Bürgermeister“, vorwiegend aber Wirt: Gasthauswirt und Landwirt. Aufgrund seiner  Tätigkeit als Bauer entstand im Dorf für ihn und das Gasthaus schnell der Spitzname „Bauersch“, der bis heute noch im Mainzlar Gültigkeit hat.

Antje Vogel (links) zapfte das erste Bier für die Feier; neben ihr 
Birgit Kessler-Vogel und Bürgermeister Peter Gefeller. (Fotos: privat/Jörg-Peter Schmidt)

Weiteres war bei der Besichtigung der zahlreichen Dokumente der Ausstellung im „Schwanen“ zu erfahren.  Gezeigt wurde auch die Urkunde von 1811, die für Wirt Johann Benner bestimmt war und ihm – wie bereits erwähnt – auch das Anbringen des Gastwirt-Schildes erlaubte. Zu sehen war  auch ein Foto, auf dem erkennbar ist, dass dasWort „Wirtschaft“ früher mit einem h in der Mitte geschrieben  „Wirthschaft“. Zur Ausstellung  gehörten zudem Fotos beispielsweise von Familienfeiern, den Kirmesveranstaltungen und  Faschings. Bei der Kirmes 1951 betrug der Preis für ein Schnitzel mit Brot 1,60 Mark.

Die Gäste studierten die Dokumente lange und so manche Erinnerung wurde. Schade, dass diese wunderbare Ausstellung nur einen Tag lief. Aber vielleicht ergibt sich ein anderes mal die Gelegenheit, manche der Fotos noch einmal zu zeigen. Auf jeden Fall, da war man sich einig, war es eine Feier, die des runden Geburtstags von Walter Vogel würdig war.

 

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